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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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22 Was heißt Philosophw?<br />

als das e<strong>in</strong> heutiger Großstadtliterat auch nur zu ahnen vermöchte.<br />

Nur weil das handwerkliche Verstehen latent schon e<strong>in</strong><br />

unmittelbares und maßgebendes Verstehen des Ganzen der<br />

Welt war, deshalb konnte dann der Ausdruck aocplu sich erweitern<br />

und jedes Verstehen bedeuten, <strong>in</strong>sbesondere das Verstehen<br />

der Grundmöglichkeiten des Dase<strong>in</strong>s im Ganzen, das Ganze der<br />

D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> den Menschen offenbar werden. Dies ist als nmödu<br />

zu verstehen. Deshalb war lange Zeit <strong>in</strong> der Antike <strong>Philosophie</strong><br />

gleichbedeutend mit nmödu XOLVWS;, was wir ungefähr mit »Bildung«,<br />

jedoch nicht mit unserem heutigen »Allgeme<strong>in</strong>bildung«<br />

übersetzen können. So stellt Cicero im H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> frühe<br />

Ausbildung des Begriffs »<strong>Philosophie</strong>« fest: Omnis rerum optimarum<br />

cognitio atque <strong>in</strong> iis exercitatio philosophia nom<strong>in</strong>ata<br />

est.'\ »Alles wurde <strong>Philosophie</strong> genannt, was e<strong>in</strong> Verständnis der<br />

D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> ihrem eigentlichen Wesen und e<strong>in</strong> Sichauskennen <strong>in</strong><br />

<strong>die</strong>sem Wesen selbst ist.«<br />

Mit <strong>die</strong>ser Erweiterung des Kreises des Verstehbaren und mit<br />

der Ausweitung des Begriffs aocplu nicht nur auf Musik und<br />

Dichtkunst, sondern auch auf Wissenschaft und jede Art der<br />

Bildungsmöglichkeit geht aber charakteristischerweise e<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>schränkung e<strong>in</strong>her: Dieses Verstehen erfährt an sich selbst<br />

Grenzen. Je mehr der Mensch <strong>die</strong> Welt im Ganzen verstehen<br />

lernt, erfährt er, daß <strong>die</strong>ses Verstehen nicht ohne weiteres da ist<br />

und <strong>in</strong> Besitz genommen werden darf. Das Verstehen bedarf<br />

e<strong>in</strong>er besonderen und ständigen Bemühung, <strong>die</strong> von vornhere<strong>in</strong><br />

getragen se<strong>in</strong> muß von e<strong>in</strong>er ursprünglichen Neigung zu den<br />

D<strong>in</strong>gen. Diese Neigung, <strong>die</strong>se <strong>in</strong>nere Freundschaft mit den D<strong>in</strong>gen<br />

selbst ist das, was mit CPLAlU bezeichnet wird - e<strong>in</strong>e Freundschaft,<br />

<strong>die</strong> wie jede echte Freundschaft ihrem Wesen nach um<br />

das, was sie liebt, kämpft.<br />

Je mehr der aocpos; e<strong>in</strong> Verstehender wird, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ursprünglich-freien,<br />

vertrauenden Verhältnis zu den D<strong>in</strong>gen un-<br />

, Vgl. M. Tullii ClcerOnIS de oratore, hbri tres, wlth mtroduction and notes<br />

by Augustus S. WJ!kms, Oxford 1892, III, 60 (16), S. 439.<br />

§ 7. Der Ausdruck "<strong>Philosophie</strong>« 23<br />

ausgesetzt um deren Verständnis kämpft, entdeckt er sich als<br />

cpLAOaocpos;. Dieses Verstehen ist daher nichts, was ohne Zutun<br />

sich verwirklichte, sondern was <strong>in</strong> <strong>die</strong> Freiheit der Existenz<br />

aufgenommen werden muß und alle<strong>in</strong> so existent wird.<br />

Der Ausdruck cpLAoaocpos; ist zuerst nachweisbar bei Heraklit,<br />

(Diels: Fragment 35t. Im 5. und 6. nachchristlichen Jahrhundert<br />

f<strong>in</strong>den wir bei »<strong>E<strong>in</strong>leitung</strong>en <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong>« von<br />

Exegetenschulen <strong>in</strong> Alexandria sechs verschiedene Def<strong>in</strong>itionen:<br />

5<br />

1. yvwms;twv OVtWV TI OVtU fatl<br />

2. yvwms; {}dwv tE XUt uV{}Qwnlvwv nQuYWltWV<br />

6. CPLAlU aocplus;<br />

}<br />

uno TOU<br />

UnOXEL!lEvOU<br />

Weil <strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>die</strong>se freie Neigung hat und somit e<strong>in</strong>e<br />

freie Grundmöglichkeit der Existenz ist, deshalb steht sie <strong>in</strong><br />

Gefahr, mißbraucht und verkehrt zu werden. Die <strong>Philosophie</strong><br />

kann sich gebärden, als sei sie e<strong>in</strong>e solche, auch wenn sie <strong>die</strong>s<br />

doch nicht ist. Sie wird zum Sche<strong>in</strong> und gew<strong>in</strong>nt gerade als<br />

Sche<strong>in</strong> <strong>die</strong> größte Macht und Verführung. Das heißt: Mit dem<br />

Erwachen des Verständnisses davon, daß <strong>die</strong>ses Weltverstehen<br />

1m Ganzen <strong>die</strong> CPLAlU - <strong>die</strong> freiwillige, kämpfende, echte Nei-<br />

4 Hermann Dlels, Du' Fragmente der VorsokratIker. Erster Band, 4. Aufl.,<br />

Berl<strong>in</strong> 1922. S. 85.<br />

5 Ammon. III Porph. Isag. (Comm. III Arist. Graeca IV, 3) p.l ff.; Davld Pro!.<br />

(Comm. III Amt. Gr. XVIII, 2) p. 20, 25 ff.; Elias (Comm. <strong>in</strong> Amt. Gr. XVIII, 1)<br />

p.7, 26 ff.

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