Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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268 Weltanschauung und Weltbegriff<br />
formen muß jeweils e<strong>in</strong>e entsprechende H<strong>in</strong>blicknahme auf<br />
e<strong>in</strong>e entsprechende E<strong>in</strong>heit se<strong>in</strong>. Im Satz >a = b< liegt e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>blick<br />
auf e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit, d. h. auf e<strong>in</strong> für sich subsistierendes D<strong>in</strong>g,<br />
e<strong>in</strong>e Substanz. Den Begriff e<strong>in</strong>er solchen E<strong>in</strong>heit nennt Kant<br />
Kategorie. Das re<strong>in</strong>e Denken repräsentiert sich also <strong>in</strong> den Kategorien,<br />
genauer gesprochen: Ich denke e<strong>in</strong>e Kategorie, d. h.<br />
ich bewege mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Form des Verb<strong>in</strong>dens, bei dem ich<br />
notwendig auf e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit h<strong>in</strong>blicken muß, <strong>die</strong> mir e<strong>in</strong>en Leitfaden<br />
gibt für <strong>die</strong> Art des E<strong>in</strong>igens. Kant formuliert das an e<strong>in</strong>er<br />
versteckten Stelle nachträglich, wo es nicht Thema ist: »Die<br />
transzendentale Analytik gab uns e<strong>in</strong> Beispiel, wie <strong>die</strong> bloße<br />
logische Form unserer Erkenntnis den Ursprung von re<strong>in</strong>en<br />
Begriffen apriori enthalten könne, welche vor aller Erfahrung<br />
Gegenstände vorstellen, oder vielmehr <strong>die</strong> synthetische E<strong>in</strong>heit<br />
anzeigen, welche alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e empirische Erkenntnis von Gegenständen<br />
möglich macht.« (A 321, B 377). Denn um empirische<br />
Gegenstände zu erkennen, muß ich nicht nur empirisch anschauen,<br />
sondern sie als D<strong>in</strong>ge mit Eigenschaften denken.<br />
Das Grundproblem der Kritik der re<strong>in</strong>en Veqmnft ist aber<br />
nun <strong>die</strong> E<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Anschauung mit e<strong>in</strong>em re<strong>in</strong>en<br />
Denken, d. h. e<strong>in</strong>er möglichen apriorischen E<strong>in</strong>igung von Zeit<br />
und Kategorie. Kant erörtert auf der 2. Stufe das Wesen e<strong>in</strong>er<br />
solchen <strong>in</strong>neren Möglichkeit von re<strong>in</strong>er Anschauung und Kategone.<br />
Die Synthesis apriori und <strong>die</strong> E<strong>in</strong>heit e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Rezeptivität<br />
mit e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Spontaneität muß möglich se<strong>in</strong>. Re<strong>in</strong>e<br />
Anschauung und re<strong>in</strong>es Denken müssen sich e<strong>in</strong>igen. Jedes der<br />
beiden muß zum andern e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Verwandtschaft haben.<br />
Re<strong>in</strong>e Anschauung als Rezeptivität muß <strong>in</strong> gewisser Weise den<br />
Charakter des Denkens haben, sie muß spontan se<strong>in</strong>. Umgekehrt,<br />
wenn das re<strong>in</strong>e Denken mit der Anschauung sich e<strong>in</strong>igen<br />
soll, muß das re<strong>in</strong>e Denken nicht nur spontan se<strong>in</strong>, sondern e<strong>in</strong>e<br />
Verwandtschaft mit der Anschauung haben, d. h. rezeptiv se<strong>in</strong>.<br />
Wenn also beide Vermögen zu sich e<strong>in</strong>e Verwandtschaft haben<br />
und e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>igung möglich seiH: soll, dann muß es e<strong>in</strong> Zwi-<br />
§ 34. Kants Weltbegriff 269<br />
schengebilde geben, das den Charakter der spontanen Rezeptivität<br />
und zugleich den der rezeptiven Spontaneität hat. Dies ist<br />
nach Kant <strong>die</strong> transzendentale E<strong>in</strong>bildungskraft. Sie ist das<br />
merkwürdige Vermögen e<strong>in</strong>er spontanen Rezeptivität und e<strong>in</strong>er<br />
rezeptiven Spontaneität; und das Wesen der ontologischen Erkenntnis<br />
liegt <strong>in</strong> der transzendentalen E<strong>in</strong>bildungskraft.<br />
Wie weit <strong>die</strong>se Interpretation sich von der bisherigen entfernt,<br />
können Sie daraus ersehen, daß <strong>die</strong>ses Vermögen vom<br />
Neukantianismus konsequent heraus<strong>in</strong>terpretiert wurde, weil<br />
man dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Rest von Psychologie sah. Man hat <strong>in</strong> der<br />
Marburger Schule das Problem so aufgerollt, daß man alles aus<br />
dem 're<strong>in</strong>en Denken entwickelte; W<strong>in</strong>delband und Rickert haben<br />
<strong>die</strong> E<strong>in</strong>heit bei der - Anschauung und Denken - ohne<br />
E<strong>in</strong>bildungskraft gesucht. Wir müssen aber zeigen, daß <strong>in</strong> der<br />
Tat <strong>die</strong> transzendentale E<strong>in</strong>bildungskraft <strong>die</strong>sen Charakter hat,<br />
und'daß daher <strong>die</strong> Zeit auf <strong>die</strong> transzendentale E<strong>in</strong>bildungskraft<br />
zurückgeht ebenso wie <strong>die</strong> Kategorie. Das, wonach wir zu<br />
Anfang gefragt haben, <strong>die</strong> unbekannte Wurzel, wie er sagt, ist<br />
<strong>die</strong> transzendentale E<strong>in</strong>bildungskraft selbst. Es ist charakteristisch,<br />
daß Kant vor der transzendentalen E<strong>in</strong>bildungskraft e<strong>in</strong>e<br />
metaphysische Angst bekam und sie aus se<strong>in</strong>em Werk auszumer:ren<br />
versuchte.<br />
Soviel ist klar, daß Kant im Zentrum se<strong>in</strong>es eigenen Problems<br />
unter dem Titel der transzendentalen E<strong>in</strong>bildungskraft auf e<strong>in</strong><br />
Phänomen stößt, das - was er auch merkte - dem, was der<br />
Tradition und se<strong>in</strong>er eigenen Überzeugung gemäß als GrundphänQmen<br />
des menschlichen Dase<strong>in</strong>s anzusetzen ist, vollkommenrzuwiderläuft.<br />
Sobald man <strong>die</strong> E<strong>in</strong>bildungskraft als zentrales<br />
Vermögen e<strong>in</strong>führt, stürzt <strong>die</strong> ganze bisherige Idee der<br />
<strong>Philosophie</strong> - deshalb das Ausweichen Kants. Für uns ist es nun<br />
wichtig zu sehen, wie <strong>die</strong>se transzendentale E<strong>in</strong>bildungskraft<br />
aussieht.<br />
Die E<strong>in</strong>bildungskraft überhaupt ist gemäß der traditionellen<br />
Anthropologie e<strong>in</strong> Vermögen, das <strong>in</strong>nerhalb der allgeme<strong>in</strong>en<br />
Klassifizierung <strong>in</strong> <strong>die</strong> S<strong>in</strong>nlichkeit gehört, als Vermögen der