Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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236 Weltanschauung und Weltbegriff<br />
schreiten der Reflexion erhält sich <strong>die</strong> Verb<strong>in</strong>dung von Erfahrung<br />
über das Leben und Entwicklung des Weltbildes.«2 Diese<br />
Interpretation der Wirklichkeit vom Innenleben her nennt Dilthey<br />
<strong>die</strong> Weltanschauungen. »In der Struktur der Weltanschauung<br />
ist immer e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Beziehung der Lebenserfahrung zum<br />
Weltbilde enthalten, e<strong>in</strong>e Beziehung, aus der stets e<strong>in</strong> Lebensideal<br />
abgeleitet werden kann.«3<br />
Nach <strong>die</strong>ser Kennzeichnung haben wir also e<strong>in</strong> Dreifaches <strong>in</strong><br />
der Struktur der Weltanschauung: Lebenserfahrung, Weltbild<br />
und, aus der Beziehung beider entspr<strong>in</strong>gend, Lebensideal. »Sonach<br />
ist <strong>die</strong> Struktur der Weltanschauung e<strong>in</strong> Zusammenhang,<br />
<strong>in</strong> welchem Bestandteile von verschiedener Provenienz und verschiedenem<br />
Charakter vere<strong>in</strong>igt s<strong>in</strong>d.«4 Dilthey nimmt dabei<br />
<strong>die</strong> Wortbedeutung von Weltanschauung noch im S<strong>in</strong>ne von<br />
Betrachten des Vorhandenen im weitesten S<strong>in</strong>ne, »Welterkenntnis«,<br />
theoretische Haltung, - denn nur dann hat es S<strong>in</strong>n, den<br />
Gebrauch des Titels für das gekennzeichnete verwickelte Phänomen<br />
noch ausdrücklich zu rechtfertigen: »Die Anwendung<br />
des Namens Weltanschauung auf e<strong>in</strong> geistiges Gebilde, das<br />
Welterkenntnis, Ideale, Regelgebung und oberste Zwecksetzung<br />
e<strong>in</strong>schließt, rechtfertigt sich dadurch, daß nie <strong>in</strong> ihr <strong>die</strong> Intention<br />
zu bestimmten Handlungen gesetzt ist, sie sonach nie<br />
bestimmtes praktisches Verhalten e<strong>in</strong>schließt.«5 Dilthey will sagen:<br />
Weltanschauung ist nie direkt praktisch; deshalb kann sie<br />
als e<strong>in</strong>e Art theoretischer Haltung benannt werden. Doch das ist<br />
e<strong>in</strong>e reichlich künstliche Begründung und e<strong>in</strong>e Verkennung der<br />
eigentlichen und zentralen Bedeutung von »Welt«. Dilthey hält<br />
sich an <strong>die</strong> äußerlichste Bedeutung des Wortes.<br />
Dilthey unterscheidet drei Grundformen der Weltanschauung:<br />
<strong>die</strong> religiöse, <strong>die</strong> künstlerische und <strong>die</strong> philosophische. Die<br />
2 Wilhelm Dilthey, Das Wesen der <strong>Philosophie</strong>. In: Kultur der Gegenwart I,<br />
4; 1907. S. '57 f. (Gesammelte Schriften V, S. '579 f.).<br />
3 A.a.O., S. '58 (S. '580).<br />
4 Ebd.<br />
5 Ebd.<br />
§ 32. Was ist Weltanschauung? 237<br />
letztere nennt er Metaphysik 6 und unterscheidet drei Typen<br />
philosophischer Weltanschauung: Erstens den Materialismus<br />
und den auf <strong>die</strong> Naturerkenntnis gegründete,n Positivismus,<br />
zweitens den objektiven Idealismus, drittens den Idealismus der<br />
Freiheit. Auf e<strong>in</strong>e nähere Analyse der Weltanschauung bei Dilthey<br />
können wir hier nicht weiter e<strong>in</strong>gehen.<br />
In e<strong>in</strong>er umfassenderen und philosophisch anders orientierten<br />
Weise hat dann Karl Jaspers das Problem der Weltanschauung<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er »Psychologie der Weltanschauungen« (1919; 3.<br />
Aufl. 1925) behandelt. Dieses Werk zeichnet sich vor allem gegenüber<br />
der Dilthey'schen Arbeit durch den Reichtum und <strong>die</strong><br />
Fülle möglicher Weltanschauungen, <strong>die</strong> E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichkeit der<br />
Interpretation und <strong>die</strong> Breite der Darstellung aus. Aber <strong>in</strong> der<br />
Wesensbestimmung der Weltanschauung ist Jaspers an Dilthey<br />
orientiert. Drei Momente werden untersucht: E<strong>in</strong>stellung,<br />
Weltbild und Leben des Geistes; entsprechend ist <strong>die</strong> Gliederung<br />
des Werkes. Auch hierauf ist nicht weiter e<strong>in</strong>zugehen.<br />
Zuletzt hat dann, vor allem nach der soziologischen Seite,<br />
Max Seheler Wesentliches zur Aufhellung des Wesens der Weltanschauung<br />
beigetragen.<br />
Wir fragen vielmehr <strong>in</strong> der Richtung, nach der <strong>die</strong> grundsätzlichen<br />
Probleme liegen, <strong>die</strong> vor allem der Erörterung bedürfen.<br />
Was ist Weltanschauung - nicht <strong>die</strong>se oder jene<br />
bestimmte Weltanschauung und <strong>die</strong> Möglichkeit ihrer Abwandlung,<br />
sondern was ist das Wesen und <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Möglichkeit<br />
von so etwas wie Weltanschauung überhaupt? Wir fragen,<br />
nicht um nur e<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>en Leitbegriff zu haben für das<br />
Studium der konkret und faktisch möglichen Weltanschauungen;<br />
sondern wir drängen mit <strong>die</strong>ser Wesens frage <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue<br />
zentrale Dimension des Problems. Es geht uns nicht um <strong>die</strong><br />
»Psychologisierung« der Welt (Jaspers), ebenso wenig um <strong>die</strong><br />
6 Nur auf Grund <strong>die</strong>ser wiederum äußerlichen Auffassung des Wesens von<br />
Metaphysik kann Dilthey zu semer Skepsis bezüglich deren Moghchkeit kommen.