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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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28 Die Frage nach dem Wesen der Wi5senschajt<br />

fehlen schien, war e<strong>in</strong>e Unruhe wach geworden. Wir spürten<br />

e<strong>in</strong>e Erstarrung im akademischen Wissenschaftsbetrieb und <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>s mit <strong>die</strong>ser Erstarrung e<strong>in</strong>e Spezialisierung, <strong>die</strong> nicht etwa<br />

<strong>die</strong> Kräfte der Aneignung anspannte - solche Kraftzumutungen<br />

können auch heute noch heilsam se<strong>in</strong> -, sondern e<strong>in</strong>e Spezialisierung,<br />

h<strong>in</strong>ter der sich e<strong>in</strong>e Ohnmacht verbarg, <strong>die</strong> Ohnmacht,<br />

den primären und ursprünglichen Se<strong>in</strong>sgehalt der Wissenschaft<br />

noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher und direkt zur Existenz sprechender Weise zu<br />

vermitteln.<br />

Zu <strong>die</strong>ser Erstarrung und <strong>die</strong>ser Sucht zur Spezialisierung im<br />

Betrieb der akademischen Wissenschaft kam e<strong>in</strong> weiteres, was<br />

wir nur ahnten und nur unklar auszudrücken vermochten: Es<br />

konnte nicht länger verborgen bleiben, daß bei allen Fortschritten<br />

der E<strong>in</strong>zelwissenschaften der Zusammenhang zwischen den<br />

Wissenschaften und ihrem Gehalt auf der e<strong>in</strong>en und e<strong>in</strong>em lebendigen<br />

wirkungskräftigen Bildungsideal auf der anderen Seite abgerissen<br />

war, und <strong>die</strong>ser Riß nur noch künstlich verdeckt wurde.<br />

So entstand e<strong>in</strong>e wachsende Unsicherheit über <strong>die</strong> Stellung<br />

der Wissenschaft als solche, sowohl <strong>in</strong> der Zeit der Zugehörigkeit<br />

zur Universität als auch <strong>in</strong> ihrer späteren Auswirkung im<br />

Dase<strong>in</strong>. Diese Unsicherheit <strong>in</strong> der existenziellen Stellung der<br />

Wissenschaft im Dase<strong>in</strong> hatte aber für uns vor dem Krieg dadurch<br />

noch e<strong>in</strong>e besondere Schärfe, als wir von den positiven<br />

<strong>in</strong>neren Möglichkeiten der Wissenschaft und ihrer zentralen<br />

Dase<strong>in</strong>sfunktion überzeugt waren und uns deshalb <strong>die</strong> Intensität<br />

der Arbeit, auch der Mitarbeit im Erstarrten und Spezialisierten,<br />

nicht abschwächen ließen. Schließlich wurde <strong>die</strong>se<br />

Unsicherheit durch das Versagen der <strong>Philosophie</strong> ke<strong>in</strong>eswegs<br />

behoben, weil deren Interpretation der Wissenschaft, von der<br />

wir noch hören werden, uns etwas zu vergessen und zu verbergen<br />

schien, was wir nur spürten, aber außerstande waren zu<br />

fassen. Dabei möchte ich gleichwohl <strong>die</strong> positive Funktion der<br />

Wissenschaftstheorie He<strong>in</strong>rich Rickerts festhalten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> deutsche<br />

<strong>Philosophie</strong> <strong>in</strong> der Zeit vor dem Krieg maßgeblich beherrscht<br />

hatte; sie war gegenüber allem Positivismus, wie er sich<br />

§ 8. Frage nach der Wissenschaft aus threr Krisis 29<br />

rundum breitmachte, grundsätzlich überlegen. In <strong>die</strong>se Situation,<br />

<strong>die</strong> ich aus eigener Erfahrung nur ganz allgeme<strong>in</strong> hier<br />

gekennzeichnet habe und <strong>die</strong> heute im Rückblick natürlich<br />

weit deutlicher zu übersehen ist, als sie uns damals offenbar<br />

war, brach der Krieg here<strong>in</strong>.<br />

Nach dem Krieg wurde <strong>die</strong>se kritische Situation nicht verschärft,<br />

sondern gleichsam nur popularisiert. Diese <strong>in</strong>nere Not<br />

gegenüber der Wissenschaft, <strong>die</strong> wir nicht gegen sie ausspielten,<br />

wurde jetzt Thema von Broschüren und nun, wie solche Ansteckung<br />

sich verbreitet, war jeder mit der Wissenschaft unzufrieden.<br />

Jeder glaubte auch schon Mittel zu haben, abhelfen zu<br />

können und <strong>die</strong> Universität zu reformieren. Verschärft hatte sich<br />

der allgeme<strong>in</strong>e Widerwille gegen <strong>die</strong> Wissenschaft und der Ruf<br />

nach Revolution der Wissenschaft, nicht weil das Spezialistentum<br />

und <strong>die</strong> Erstarrung sich gesteigert hätten, sondern wegen<br />

Neuerungssucht und dem phantastischen Glauben, mit Hilfe<br />

von Programmen <strong>die</strong> Wissenschaft ändern zu können. Man vergaß,<br />

erst e<strong>in</strong>mal sich E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wissenschaft zu verschaffen,<br />

um sie, wenn schon, von <strong>in</strong>nen her umzubilden. Die Krisis<br />

war nicht schärfer und ernster, sondern nur lauter geworden.<br />

Was aber früher uns schon fehlte, <strong>die</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>es Verständnisses<br />

der Wissenschaft als solcher im Ganzen ihres Wesens,<br />

<strong>die</strong>ser Mangel zeigt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en breiten Folgen, ohne daß<br />

es im Grunde bis heute erkannt wäre.<br />

Daß <strong>die</strong> Stellung der e<strong>in</strong>zelnen Existenz zur Wissenschaft <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e Krisis kommen kann, hat doch am Ende dar<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Grund, daß überhaupt unbestimmt und ungeklärt ist, wie denn<br />

so etwas wie Wissenschaft im menschlichen Dase<strong>in</strong> als solchem<br />

wesensmäßig steht. Es ist das Problem des existenzialen Wesens<br />

der Wissenschaft.<br />

Wenn es andererseits gel<strong>in</strong>gen sollte, <strong>die</strong>se Frage nach dem<br />

Wesen der Wissenschaft als wirkliches Problem sichtbar und<br />

spürbar zu machen und gar e<strong>in</strong>e Wesenserklärung des existenzialen<br />

Wesens der Wissenschaft zu erreichen, ist damit ke<strong>in</strong>eswegs<br />

<strong>die</strong> faktische Krisis des E<strong>in</strong>zelnen behoben. Im Gegenteil,

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