Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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334 Weltanschauung und In-der-Welt-se<strong>in</strong><br />
sensmäßig und durchgängig. Wer daher <strong>in</strong> faktischen, konkreten<br />
Entscheidungen kompromißlos, entschieden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Richtung<br />
wählt und handelt, bewegt sich metaphysisch gesehen<br />
doch gerade <strong>in</strong> der Nichtigk'eit der Streuung, sofern er <strong>die</strong> Härte<br />
und Lieblosigkeit se<strong>in</strong>es Vorgehens <strong>in</strong> Kauf nehmen, d. h. irgendwie<br />
damit fertig werden muß.<br />
In der <strong>in</strong>neren Notwendigkeit e<strong>in</strong>er ständigen Ausgleichung<br />
<strong>die</strong>ser Streuung - mag sie faktisch gel<strong>in</strong>gen oder nicht -bekundet<br />
sich demnach auch <strong>die</strong> Nichtigkeit des verstehenden Handelns.<br />
Diese erhält aber nun noch dadurch ihre besondere<br />
Schärfe, als jeder <strong>die</strong>ser Bezüge durch <strong>die</strong> Geworfenheit bestimmt<br />
ist, d. h. das Mitse<strong>in</strong> mit Anderen ist e<strong>in</strong>geschränkt auf<br />
e<strong>in</strong>en bestimmten Umkreis, das Se<strong>in</strong> bei Vorhandenem ist e<strong>in</strong>geschränkt<br />
auf e<strong>in</strong>e bestimmte Zugänglichkeit, Art, Nähe und<br />
Weite der Offenbarkeit des Seienden, der Bezug zu sich selbst ist<br />
e<strong>in</strong>geschränkt auf bestimmte Möglichkeiten des Sichverstehens<br />
und der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit sich selbst.<br />
Jedes Dase<strong>in</strong> muß sich als geworfenes auf e<strong>in</strong>e bestimmte<br />
Situation vere<strong>in</strong>zeln. Diese Vere<strong>in</strong>zelung~ bedeutet aber nicht<br />
etwa Isolierung, sondern sie br<strong>in</strong>gt je das Dase<strong>in</strong> im Ganzen<br />
se<strong>in</strong>er Bezüge <strong>in</strong>mitten des Seienden. Wie das Problem der Vere<strong>in</strong>zelung<br />
des Dase<strong>in</strong>s mit dem zusammenhängt" was man<br />
gewöhnlich das Pr<strong>in</strong>zip der Individuation nennt, kann ich hier<br />
nicht erörtern, ebensowenig <strong>die</strong> Raum- und Zeit-»stelle«, hier<br />
re<strong>in</strong> Ordnungsschema, das dem Seienden zugehört, aber doch<br />
äußerlich ist. Hier dagegen geht es um Individuation aus dem<br />
Seienden selbst: Zeitlichkeit.<br />
Für uns ist wichtig, daß <strong>in</strong> der Vere<strong>in</strong>zelung notwendig e<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>schränkung der Wahrheit des Dase<strong>in</strong>s liegt. Die Offenbarkeit<br />
des Seienden ist <strong>in</strong> sich zugleich Verborgenheit, Un-wahrheit<br />
im wesentlichen S<strong>in</strong>ne, und zwar nicht etwa nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
quantitativen S<strong>in</strong>ne, daß wir nicht alles wissen und kennen und<br />
unsere Mittel und Wege beschränkt s<strong>in</strong>d. Die Schranke kommt<br />
nicht so sehr von außen, von der Fülle des Seienden. Die Unwahrheit<br />
ist nicht so sehr <strong>die</strong> del'"bloßen Verborgenheit, sondern<br />
§ 37. Konkreteres Verständnis der Transzendenz 335<br />
<strong>die</strong> Unwahrheit, <strong>die</strong> wir eigentlich so nennen - Sche<strong>in</strong>, Täuschung,<br />
Benommenheit, Bl<strong>in</strong>dheit. Nicht <strong>die</strong> quantitative E<strong>in</strong>schränkung<br />
des Wißbaren ist es, sondern <strong>die</strong> qualitative<br />
E<strong>in</strong>schränkung bezüglich dessen, was faktisch zugänglich ist.<br />
Diese im Dase<strong>in</strong> selbst geschehende Unwahrheit und damit<br />
Nichtigkeit läßt sich leicht demonstrieren. Mit Absicht wähle<br />
ich e<strong>in</strong> Beispiel, das uns gewiß nicht <strong>in</strong> Verdacht br<strong>in</strong>gt, altmodische<br />
D<strong>in</strong>ge zu erzählen, das aber vor allem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er extremen<br />
Form den Sachverhalt demonstriert.<br />
Die Apparatur des Radios hat <strong>die</strong> Grenzen des direkt Erfahrbaren,<br />
Wißbaren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ungewöhnlichen Weise von uns weg<br />
verlegt, ja <strong>in</strong> gewisser H<strong>in</strong>sicht überhaupt beseitigt. Die Möglichkeit<br />
der Wahrheit ist gesteigert, <strong>die</strong> Chancen des Nichterfahrens<br />
s<strong>in</strong>d wesentlich verr<strong>in</strong>gert.<br />
Wie stellt sich nun so e<strong>in</strong> Radiobesitzer zu <strong>die</strong>sen Möglichkeiten?<br />
Man wird sagen, auch hier muß er auswählen; er muß sich<br />
auf e<strong>in</strong> Programm und je e<strong>in</strong>e Nummer desselben beschränken;<br />
er kann nicht alles hören, auch wenn er den ganzen Tag dem<br />
Apparat widmet. In der Tat zeigt sich hier <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />
e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schränkung, <strong>die</strong> Notwendigkeit der Un-wahrheit im<br />
S<strong>in</strong>ne der Verborgenheit des nicht Aufnehmbaren. Alle<strong>in</strong> das ist<br />
nicht das Entscheidende; wir sehen vielmehr, daß viele - <strong>die</strong> Zahl<br />
1st hier gänzlich belanglos - überhaupt nicht irgende<strong>in</strong>e Möglichkeit<br />
des Hörens wählen, sondern es darauf absehen, von e<strong>in</strong>er<br />
Welle auf <strong>die</strong> andere zu spr<strong>in</strong>gen. Der Radiobesitzer, dem <strong>die</strong><br />
ungeheure Möglichkeit von Erfahrbarem gegeben ist, macht<br />
sich zum Sklaven se<strong>in</strong>es Apparats. Er verstellt sich den Zugang zu<br />
den D<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise, wie das der Nichtbesitzer gar nicht<br />
kann. Er br<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Unwahrheit und e<strong>in</strong>en Sche<strong>in</strong> <strong>in</strong> das Dase<strong>in</strong>,<br />
wierer nicht leicht größer gedacht werden kann. Ja, er br<strong>in</strong>gt sich<br />
m gewisser Weise überhaupt um das Verständnis von Wahrheit<br />
und Unwahrheit. Das ist aber e<strong>in</strong> Geschehnis, das Wesentliches<br />
anzeigt, nämlich den Aufstand der Unwahrheit und des Sche<strong>in</strong>s<br />
aus dem und im Dase<strong>in</strong> selbst. Im Großen zeigt sich dasselbe, z. B.<br />
m dem Faktum, daß <strong>die</strong> Wissenschaften heute zu e<strong>in</strong>em groß-