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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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86 Wahrheit und Sem<br />

a) Zusammenvorhandense<strong>in</strong> - Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong><br />

Nehmen wir als e<strong>in</strong>faches Beispiel zwei Felsblöcke, <strong>die</strong> an e<strong>in</strong>er<br />

Geröllhalde liegen. Wir können sagen: sie s<strong>in</strong>d zusammen, aber<br />

nicht mite<strong>in</strong>ander vorhanden. Zwei Wanderer dagegen, <strong>die</strong> an<br />

der Halde vorbei steigen, s<strong>in</strong>d mite<strong>in</strong>ander. Der Unterschied ist<br />

e<strong>in</strong>fach zu fassen: <strong>die</strong> zwei Ste<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d materielle Körper, <strong>die</strong><br />

zwei Wanderer Lebewesen und zwar vernünftige, <strong>die</strong> mit Hilfe<br />

ihrer Vernunft sich gegenseitig erfassen. Die Menschen s<strong>in</strong>d<br />

zwar auch nebene<strong>in</strong>ander vorhanden, aber über<strong>die</strong>s haben sie<br />

e<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong> von <strong>die</strong>sem Nebene<strong>in</strong>ander, der e<strong>in</strong>e erfaßt den<br />

anderen. Demnach wäre ihr Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> nichts anderes als<br />

e<strong>in</strong> bewußtes Zusammenvorhandense<strong>in</strong>.<br />

Diese Kennzeichnung des Unterschieds zwischen Zusammenvorhandense<strong>in</strong><br />

und Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> ist auf den ersten<br />

Blick e<strong>in</strong>leuchtend und sche<strong>in</strong>t zutreffend zu se<strong>in</strong>. Sie trifft<br />

etwas, weil sie auf e<strong>in</strong>e Verschiedenheit den F<strong>in</strong>ger legt: Die<br />

Felsblöcke s<strong>in</strong>d nicht nur bewußtlos, als hätten sie ihr Bewußtse<strong>in</strong><br />

verloren und könnten deshalb vom Bewußtse<strong>in</strong> nicht<br />

Gebrauch machen, sondern sie haben wesensmäßig ke<strong>in</strong> solches.<br />

Es ist ihnen, zwischen denen e<strong>in</strong>e Wechselwirkung bestehen<br />

mag, also schlechth<strong>in</strong> versagt, ihr Nebene<strong>in</strong>ander zu e<strong>in</strong>em<br />

gegenseitig sich erfassenden zu machen. Die beiden Menschen<br />

als vernünftige Lebewesen können das. Aber wird durch das<br />

gegenseitige Sicherfassen das Nebene<strong>in</strong>ander zu e<strong>in</strong>em Mite<strong>in</strong>ander?<br />

Nehmen wir an, <strong>die</strong> beiden Wanderer kommen alsbald<br />

um e<strong>in</strong>e Biegung des Pfads zu e<strong>in</strong>er unerwarteten Aussicht auf<br />

das Gebirge, so daß sie beide plötzlich h<strong>in</strong>gerissen s<strong>in</strong>d und<br />

schweigend nebene<strong>in</strong>ander stehen. Es ist dann ke<strong>in</strong>e Spur von<br />

gegenseitigem Sicherfassen, jeder steht vielmehr benommen<br />

von dem Anblick. S<strong>in</strong>d <strong>die</strong> beiden jetzt nur noch nebene<strong>in</strong>ander<br />

wie <strong>die</strong> beiden Felsblöcke, oder s<strong>in</strong>d sie <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Augenblick<br />

gerade <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise mite<strong>in</strong>ander, wie sie es nicht se<strong>in</strong> können,<br />

wenn sie unentwegt zusammen schwatzen oder gar sich gegenseitig<br />

erfassen und auf ihre Komplexe beschnüffeln?<br />

§ lJ. Se<strong>in</strong>sart und Offenbarkeit 87<br />

Wenn also <strong>in</strong> jenem H<strong>in</strong>gerissense<strong>in</strong> von dem Anblick, <strong>in</strong> dem<br />

von e<strong>in</strong>em gegenseitigen Erfassen gewiß ke<strong>in</strong>e Rede ist, gleichwohl<br />

gerade e<strong>in</strong> ursprüngliches Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> liegt, dann<br />

kann sich <strong>die</strong>ses Mite<strong>in</strong>ander nicht durch e<strong>in</strong> gegenseitiges Erfassen<br />

konstituieren. Das ist denn auch so wenig der Fall, daß<br />

vielmehr umgekehrt alles gegenseitige Sicherfassen von Dase<strong>in</strong><br />

und Dase<strong>in</strong> das Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> beider schon voraussetzt. Gegenseitiges<br />

Sicherfassen ist fun<strong>die</strong>rt im Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong>.<br />

Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> sagt also mehr, ja etwas anderes als: Zwei<br />

;\fenschen kommen gleichzeitig irgendwo vor. Bisher ergab sich<br />

negativ: 1. Das Mite<strong>in</strong>ander ist nicht e<strong>in</strong> Zugleich-auch-se<strong>in</strong>,<br />

nur daß eben <strong>die</strong>ses Se<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> wäre. 2. Das Mite<strong>in</strong>ander ist<br />

auch nicht e<strong>in</strong> Zusammenvorhandense<strong>in</strong> so zwar, daß <strong>die</strong> Vorhandenen<br />

dabei e<strong>in</strong> gegenseitiges Wissen von sich haben, ke<strong>in</strong><br />

Zugleich-auch-se<strong>in</strong>, nur mit Bewußtse<strong>in</strong> begleitet.<br />

Aber wor<strong>in</strong> liegt nun positiv das Wesen des Mite<strong>in</strong>ander? Wir<br />

hörten zuletzt, das gegenseitige Erfassen setze das Mite<strong>in</strong>andersem<br />

schon voraus, d. h. gegenseitiges Erfassen ist allererst auf<br />

dem Grunde des Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong>s möglich. Das sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e<br />

nichtssagende Trivialität zu se<strong>in</strong>, denn wenn zwei sich gegenseitig<br />

erfassen sollen, dann müssen sie allerd<strong>in</strong>gs hierzu jeder<br />

wirklich da se<strong>in</strong>. Aber ist das geme<strong>in</strong>t, wenn wir sagen, das<br />

:vIite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> sei <strong>die</strong> Voraussetzung für gegenseitiges Erfassen?<br />

Ganz und gar nicht. Diese Voraussetzung, daß faktisch zwei<br />

l\1enschen wirklich se<strong>in</strong> müssen, um sich gegenseitig wirklich<br />

als wirklich zu erfassen, bedarf ke<strong>in</strong>er Erörterung. Wir fragen<br />

mcht nach dem, was wirklich se<strong>in</strong> muß, damit anderes sich<br />

verwirkliche, sondern was möglich se<strong>in</strong> muß, damit anderes<br />

SIch ermögliche. Damit gegenseitiges Sicherfassen überhaupt<br />

als sölches möglich sei, muß zuvor e<strong>in</strong> Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> möglich<br />

se<strong>in</strong>., Nur auf dem Grunde <strong>die</strong>ser Möglichkeit des Mite<strong>in</strong>ander<br />

besteht <strong>die</strong> nachgeordnete der gegenseitigen Erfassung von Dasem<br />

und Dase<strong>in</strong>.<br />

Nun sahen wir schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em anderen Zusammenhang, wie<br />

alles Erfassen Offenbarkeit voraussetzt. Damals g<strong>in</strong>g es um das

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