Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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232 Weltanschauung und Weltbegriff<br />
auch mit mehr oder m<strong>in</strong>der sicherem Takt, wo wir von wissenschaftlichen<br />
Erörterungen zu weltanschaulichen Thesen übergehen<br />
und umgekehrt. Wir s<strong>in</strong>d über<strong>die</strong>s heute nicht nur<br />
überaus tolerant gegenüber der Vielfältigkeit von Weltanschauungen,<br />
sondern auch aufgeschlossen und fe<strong>in</strong>hörig für deren<br />
Verschiedenartigkeit <strong>in</strong> Kunst, Religion, <strong>Philosophie</strong>, Politik. Ja,<br />
wir machen uns schon e<strong>in</strong>en besonderen geistigen Genuß daraus,<br />
solche Unterschiede aufzuspüren, zu beobachten, und wir<br />
neigen dazu, es uns als besonderes Ver<strong>die</strong>nst anzurechnen, wenn<br />
wir e<strong>in</strong>e entsprechende Duldsamkeit aufbr<strong>in</strong>gen und alles und<br />
jedes gelten lassen. Alles Gelten-lassen und alles Verstehen gilt<br />
sogar als besonderes Zeichen e<strong>in</strong>er verme<strong>in</strong>tlichen Überlegenheit<br />
und Freiheit, wo es im Grunde nur e<strong>in</strong>e versteckte Feigheit<br />
und Ohnmacht ist, der Mangel an Mut zur Wahrhaftigkeit, <strong>die</strong><br />
als menschliches Wollen immer und notwendig »e<strong>in</strong>seitig« ist<br />
und den Kampf fordert, der heute schon be<strong>in</strong>ahe als unanständig<br />
gilt. Dar<strong>in</strong> zeigt sich <strong>die</strong> ru<strong>in</strong>ierende Wirkung Nietzsches<br />
bzw. se<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Nachbeter, <strong>die</strong> das, was ihm Mittel der<br />
Kritik war, zum Selbstzweck machen.<br />
Über<strong>die</strong>s ist charakteristisch: Ausdrückliches Aufmerken auf<br />
Weltanschauung, Begriff derselben, Erörterungen darüber, Bemühung<br />
darum tauchen immer da und dann auf, wo und wann<br />
e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitlich geschlossene und alle<strong>in</strong>herrschende - und eben<br />
als solche dann gar nicht merkliche - Weltanschauung verloren<br />
geht, zerbrochen ist. Ob e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche und durchgängig<br />
herrschende Weltanschauung wirklich e<strong>in</strong> Ideal ist, läßt sich<br />
nicht ohne weiteres sagen. Tatsache ist, daß immer mit dem<br />
Zerbrechen e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>heitlichen Weltanschauung und Kultur das<br />
Problem der Weltanschauung lebendig wird.<br />
Aber trotzdem, ja gerade deshalb, weil alles sich uns <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
weltanschaulichen Färbung aufdrängt und wir <strong>in</strong> solchen Auffassungen<br />
uns bewegen, automatisch fragen, was für e<strong>in</strong>e Weltanschauung<br />
steckt dah<strong>in</strong>ter, wird <strong>die</strong> Verlegenheit besonders<br />
groß, wenn wir sagen sollen, was denn nun Weltanschauung sei.<br />
Der Grund <strong>die</strong>ser Verlegenheitr der man meist sehr prompt<br />
§ J2. Was ist Weltanschauung? 233<br />
ausweicht, liegt zunächst <strong>in</strong> der Unsicherheit des Horizontes,<br />
auS dem heraus wir umgrenzen, was Weltanschauung sei. Daß<br />
<strong>die</strong>ser Horizont der Bestimmbarkeit des Wesens der Weltanschauung<br />
schwankend ist, hat mehrfache Gründe, denen wir im<br />
e<strong>in</strong>zelnen hier nicht nachgehen. Das Faktum besteht.<br />
Bei der Frage nach dem Wesen der-Wissenschaft ist der Bestimmungshorizont<br />
von Anfang an e<strong>in</strong>deutiger: Wissenschaft ist<br />
eme Art von Erkenntnis - aber Weltanschauung? Zwar sche<strong>in</strong>en<br />
wir IZU verstehen, was »Welt« heißt und was »Anschauung«<br />
besagt. Aber es zeigt sich auch sofort, daß wir mit Weltanschauung<br />
nicht me<strong>in</strong>en e<strong>in</strong> Anschauen, Betrachten als Beobachten,<br />
weder e<strong>in</strong> vorwissenschaftliches noch e<strong>in</strong> wissenschaftliches Betrachten<br />
- ß-ewQLu; Schauen me<strong>in</strong>t auch nicht aesthetisches,<br />
künstlerisches Betrachten, <strong>die</strong>s so wenig, daß wir eben dem<br />
Künstler selbst je e<strong>in</strong>e Weltanschauung zusprechen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> und<br />
auS se<strong>in</strong>em Werk spricht. Anschauung ist auch nicht irgend e<strong>in</strong><br />
besonders geheimnisvoller Akt von Intuition, e<strong>in</strong> besonderes<br />
Vermögen, D<strong>in</strong>ge zu sehen, <strong>die</strong> anderen verborgen s<strong>in</strong>d. Weltanschauung<br />
ist ke<strong>in</strong> bloßes Betrachten der D<strong>in</strong>ge, ebensowenig<br />
e<strong>in</strong>e Summe von Wissen über sie; Weltanschauung ist immer<br />
Stellungnahme, und zwar solche, <strong>in</strong> der wir uns aus eigener<br />
Überzeugung halten, sei es aus eigener und eigens gebildeter,<br />
sei es aus solcher, <strong>die</strong> wir lediglich mit- und nachmachen, <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
wir h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geraten s<strong>in</strong>d.<br />
Mehr noch: Diese Überzeugung ist nicht etwas, was wir lediglich<br />
»haben«, wovon wir gelegentlich Gebrauch machen, <strong>die</strong><br />
wir anbr<strong>in</strong>gen, so wie e<strong>in</strong>e gewonnene E<strong>in</strong>sicht, e<strong>in</strong>en bewiesenen<br />
Satz, sondern <strong>die</strong> Weltanschauung ist <strong>die</strong> bewegende<br />
Grundkraft unseres HandeIns und ganzen Dase<strong>in</strong>s, auch dann<br />
und gerade dann, wenn wir uns nicht ausdrücklich auf sie berufen<br />
und im ausdrücklichen bewußten Rückgang auf sie e<strong>in</strong>e<br />
Entscheidung treffen.<br />
»Anschauung« hat hier eher <strong>die</strong> Bedeutung von »Ansicht«,<br />
wenn wir sagen: Ich b<strong>in</strong> der und der Ansicht, wobei wir uns auf<br />
etwas berufen, wovon wir gewiß überzeugt s<strong>in</strong>d, was wir dem