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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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50 Die Frage nach dem Wesen der Wissenschaft<br />

a) Der traditionelle Wahrheitsbegriff<br />

Wir fragen daher jetzt ganz allgeme<strong>in</strong>: Wie steht es mit dem<br />

Wahrheitsbegriff, der <strong>die</strong> heutige und frühere Bestimmung des<br />

Wesens der Wahrheit maßgebend leitet? Die Antwort wird lauten:<br />

Der traditionelle Wahrheitsbegriff trifft nicht das ursprüngliche<br />

Wesen der Wahrheit. Damit erhebt sich aber <strong>die</strong><br />

Frage: Wie ist dann Wahrheit ursprünglicher zu bestimmen<br />

und zwar so, daß daraus verständlich wird, warum es daz~<br />

kommt, Wahrheit gewöhnlich als Satzwahrheit zu fassen? Wir<br />

werden <strong>die</strong>se herrschende Auffassung bei ihrem großen Alter<br />

und ihrer weitreichenden Bedeutung nicht e<strong>in</strong>fach beiseiteschieben,<br />

sondern wir müssen aus der positiven Klärung des<br />

Wesens der Wahrheit zugleich den Grund für <strong>die</strong>se herrschende<br />

Auffassung f<strong>in</strong>den und damit <strong>die</strong> E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> das relative Recht<br />

<strong>die</strong>ser Auffassung gew<strong>in</strong>nen.<br />

Wir haben also e<strong>in</strong> Doppeltes zu zeigen: Erstens, daß Wahrheit,<br />

<strong>die</strong> traditionell als Eigenschaft des Urteils, als adaequatio<br />

<strong>in</strong>tellectus et rei, gefaßt wird, <strong>in</strong> etwas anderem gründet, d. h.<br />

was man im Urteil als Wahrheit faßt, ist zwar e<strong>in</strong>e echte Bestimmung,<br />

aber <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Möglichkeit der Wahrheit liegt <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Ursprünglicheren, und <strong>die</strong>ses Ursprüngliche gilt es zweitens<br />

näher zu kennzeichnen.<br />

Das s<strong>in</strong>d sche<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong>fache Überlegungen, <strong>in</strong> denen freilich<br />

etwas ganz Wesentliches zur Sprache kommt. Angesichts solch<br />

sche<strong>in</strong>bar trivialer Überlegungen sieht es so aus, zumal wenn<br />

man sie öfters schon durchgesprochen hat, als könnte man e<strong>in</strong>en<br />

solchen Zusammenhang zwischen abgeleiteter und ursprünglicher<br />

Wahrheit e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong> für alle Mal wissen. Es ist charakteristisch,<br />

daß man all <strong>die</strong>se Wesenszusammenhänge nie so wissen<br />

kann, wie man irgende<strong>in</strong>e Kenntnis hat, sondern daß ich sie mir<br />

immer wieder aneignen muß und bei jeder Neuaneignung sich<br />

mir e<strong>in</strong> neuer Abgrund zeigt. Das Wesen des E<strong>in</strong>fachen und<br />

Selbstverständlichen ist es, daß es der eigentliche Ort für <strong>die</strong><br />

Abgründigkeit der Welt ist. Und <strong>die</strong>ser Abgrund öffnet sich nur,<br />

§ 10. Wahrheit als Satz wahrheit 51<br />

wenn wir philosophieren, aber nicht, wenn wir glauben, dergleichen<br />

schon zu wissen.<br />

b) Wahrheit als Charakter e<strong>in</strong>es Satzes:<br />

Verb<strong>in</strong>dung von Subjekt und Prädikat<br />

Die These der traditionellen Logik und Erkenntnislehre im weitesten<br />

S<strong>in</strong>ne lautet: Wahrheit ist e<strong>in</strong>e Eigenschaft der Aussage.<br />

Wir wollen uns <strong>die</strong>se These zunächst an e<strong>in</strong>em Beispiel erläutern,<br />

das wir allen weiteren Überlegungen dann zugrundelegen.<br />

Wahrheit als Charakter e<strong>in</strong>es Satzes ist <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>fachsten Form<br />

e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung von Subjekt und Prädikat, S - p. In <strong>die</strong>ser<br />

Verb<strong>in</strong>dung soll der Ort für das se<strong>in</strong>, was wir Wahrheit e<strong>in</strong>es<br />

Satzes nennen. Nehmen wir e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Beispiel:»Diese Kreide<br />

ist weiß.« In <strong>die</strong>ser Aussage wird <strong>die</strong> Bestimmung »weiß«,<br />

das Prädikat, dem Subjekt »Kreide« zugesprochen. 'Die Griechen,<br />

besonders Aristoteles (De <strong>in</strong>terpret. 5,17a 8; 6,17a 25),<br />

haben für <strong>die</strong>ses Zusprechen <strong>die</strong> Bezeichnung Xat"Uq>(l(JLC;. Dieser<br />

Ausdruck heißt: »von oben herunter auf etwas zu«, bedeutet also<br />

gewissermassen von oben herunter auf <strong>die</strong> Kreide zu sagen, sie<br />

sei weiß, ihr <strong>die</strong> Bestimmung, <strong>die</strong>ses Prädikat zuzusprechen.<br />

Sage ich von demselben Gegenstand: Diese Kreide ist nicht<br />

blau, so wird ihr das »blau« abgesprochen. Diese Form der Aussage<br />

nennen <strong>die</strong> Griechen aru)q>amc;, das heißt, ich spreche e<strong>in</strong>er<br />

Sache etwas ab, von ihr weg. Diese Scheidung ist dann später,<br />

im Ausgang der Antike und zu Anfang des Mittelalters, <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />

late<strong>in</strong>ische Term<strong>in</strong>ologie übergegangen, und seitdem heißt<br />

xm:acpums; affirmatio, oder wie Boethius noch sagt: adfirmati0 6 ;<br />

und cmocpuats; heißt negatio. In der traditionellen Logik bedeuten<br />

<strong>die</strong>se Ausdrücke also e<strong>in</strong> bejahendes bzw. verne<strong>in</strong>endes<br />

l~rteil (verum - falsum). Beide Formen, <strong>die</strong> xm:uq>amc; wie <strong>die</strong><br />

UJToq:,U(JlS; können nun jeweils entweder wahr oder falsch se<strong>in</strong>,<br />

(, Vgl Roethius, De <strong>in</strong>terpretatione. Patrologia Lat<strong>in</strong>a, ed. J.-P. Migne. Bd.<br />

M. I'drtO 1891, S. 364 A.

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