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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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34 Die Frage nach dem Wesen der Wissenschaft<br />

ist. Zwar s<strong>in</strong>d ihre Resultate unbestreitbar, aber es s<strong>in</strong>d Fragen<br />

wachgeworden, ob denn das ganze mediz<strong>in</strong>ische Erkennen <strong>in</strong><br />

denjenigen Horizont gestellt sei, daß <strong>in</strong>nerhalb des Ganzen <strong>die</strong>ser<br />

Erkenntnisse e<strong>in</strong>e solche Existenzform wie <strong>die</strong> des Arztes<br />

unmittelbar erwachsen kann. Es besteht <strong>die</strong> merkwürdige Tatsache,<br />

daß <strong>die</strong> jungen Menschen mediz<strong>in</strong>ische Kenntnisse haben,<br />

aber nie erfahren, was e<strong>in</strong> Arzt ist, daß mediz<strong>in</strong>ische<br />

Erkenntnis und Existenz als Arzt <strong>in</strong>nerlich zusammenhängen,<br />

daß mith<strong>in</strong>, wenn man so sagen darf, <strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> irgendwo<br />

e<strong>in</strong> fauler Fleck ist, solange <strong>die</strong>ses Verhältnis nicht geklärt ist.<br />

Dasselbe Problem - mit den entsprechenden Abwandlungen -<br />

entsteht und ist latent <strong>in</strong> allen Wissenschaften, auch <strong>in</strong> denjenigen,<br />

<strong>die</strong> sche<strong>in</strong>bar gar ke<strong>in</strong> Verhältnis zur Praxis haben.<br />

Wenn unsere Behauptung, daß <strong>die</strong> Wissenschaft <strong>in</strong> sich selbst<br />

praktisch ist, zurecht besteht, muß es mit dem theoretischen<br />

Charakter der Wissenschaft e<strong>in</strong>e eigene Bewandtnis haben. Was<br />

>theoretisch< besagt, muß sich dann aus dem Wesen der Wahrheit<br />

der Wissenschaft bestimmen.<br />

So kündigt sich schon an, daß am Ende <strong>die</strong>se zweitgenannte<br />

Krisis mit der an dritter Stelle genannten und vorh<strong>in</strong> besprochenen<br />

<strong>die</strong>selbe geme<strong>in</strong>same Wurzel hat, daß irgendwo ursprünglich<br />

begründet se<strong>in</strong> muß, warum sowohl <strong>die</strong> Stellung des<br />

E<strong>in</strong>zelnen zur Wissenschaft als auch <strong>die</strong> Stellung der Wissenschaft<br />

im Ganzen der Kultur jeweils als zwar notwendige, aber<br />

doch nachträgliche und äußerliche Zugaben zur Wissenschaft<br />

gefaßt werden. Zur Wissenschaft gibt es also »auch noch«, gewissermaßen<br />

von außen angeklebt, e<strong>in</strong> persönliches Verhältnis,<br />

und <strong>die</strong> Wissenschaft hat »auch noch« e<strong>in</strong>e praktische Beziehung<br />

zu den übrigen Möglichkeiten des Dase<strong>in</strong>s. Dieses »auch<br />

noch« ist aber das Anzeichen, daß das, wovon <strong>die</strong> Rede ist, nicht<br />

aus dem Wesen der Wissenschaft begriffen ist, und zwar deshalb<br />

nicht, weil es bei der herrschenden Auffassung der Wissenschaft<br />

nicht begriffen werden kann.<br />

Die geme<strong>in</strong>same Wurzel der beiden Krisen kann nicht gefaßt<br />

werden, weil das Wesen der Wissenschaft von vornhere<strong>in</strong> nicht<br />

§ 8. Frage nach der Wissenschaft aus ihrer Krisis 35<br />

zureichend bestimmt, d.h. unterbestimmt ist. Der Horizont für<br />

e<strong>in</strong>e mögliche Wesens bestimmung der Wissenschaft ist sowohl<br />

zu schmal als auch zu dunkel. Es sche<strong>in</strong>t demnach, daß wir <strong>die</strong><br />

Wurzel der Krisis unmittelbar treffen, wenn wir uns auf <strong>die</strong> an<br />

erster Stelle genannte Krisis bes<strong>in</strong>nen, <strong>die</strong> nach unserer Formulierung<br />

den <strong>in</strong>neren Wesens bau der Wissenschaft selbst betrifft.<br />

Aber wir sahen schon <strong>in</strong> den bisherigen Überlegungen, daß <strong>die</strong><br />

Kdsen immer nur e<strong>in</strong>e Anweisung darauf geben, wo ihre Wurzel<br />

zu suchen ist, nicht aber, wo <strong>die</strong>se selbst zu f<strong>in</strong>den ist.<br />

~<br />

c).Die Krisis im <strong>in</strong>neren Wesensbau der Wissenschaft selbst<br />

Die Krisis im Wesensbau der Wissenschaft bekundet sich <strong>in</strong><br />

dem, was man heute mit e<strong>in</strong>em Schlagwort gern als Grundlagenkrise<br />

bezeichnet. So spricht man von e<strong>in</strong>er Grundlagenkrise<br />

der Mathematik. Obwohl sie für Mathematiker und Philosophen<br />

heute noch völlig undurchsichtig ist, hat gerade sie e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Popularität erreicht, weil <strong>die</strong> Krise e<strong>in</strong>e Wissenschaft<br />

betrifft, <strong>die</strong> man seit Jahrtausenden für schlechth<strong>in</strong> unerschütterlich<br />

hielt, <strong>in</strong> der es - nach der Vorstellung ungeschichtlicher<br />

Wissenschaft - von e<strong>in</strong>er Entdeckung zur nächsten weiterg<strong>in</strong>ge.<br />

Aber <strong>die</strong>se Grundlagenkrisis besteht nicht nur <strong>in</strong> der Mathematik,<br />

und sie besteht nicht nur erst heute, sondern <strong>die</strong>se Krisis<br />

wohnt <strong>in</strong> jeder Wissenschaft, seitdem es Wissenschaft gibt. Das<br />

heißt: Was sich <strong>in</strong> dem Schlagwort Grundlagenkrisis anzeigt,<br />

gehört zum Wesen der Wissenschaft.<br />

Von außen gesehen ist es zunächst merkwürdig, daß <strong>die</strong> Wissenschaften,<br />

<strong>die</strong> der Grundlagenkrisis unterliegen, nicht <strong>in</strong> sich<br />

zusammenbrechen, sondern im Gegenteil oft - denken wir nur<br />

an <strong>die</strong> heutige Physik und auch <strong>die</strong> Biologie - <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen<br />

Entwicklung stehen. Man spricht von Grund-Iagen-krisis, Erschütterung<br />

der Fundamente - und dennoch gerät der Bau nicht<br />

<strong>in</strong>s Wanken. Weil das Bild von Grundlage, Fundament und Bau<br />

nicht allzu viel aussagt, gilt es näher auszumachen, was hier<br />

Grundlage e<strong>in</strong>er Wissenschaft bedeutet.

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