Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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54 Die Frage nach dem Wesen der Wissenschaft<br />
über das, was hier Gegenstand der Aussage ist" kann ich auch<br />
e<strong>in</strong>e andere Aussage machen, beispielsweise: »Dieser materielle<br />
Körper ist leicht«.<br />
Mit der üblichen Theorie des Satzes und der Aussage kann<br />
man z. B. Sätze wie »es regnet« oder »es blitzt«, also sogenannte<br />
impersonale Sätze, oder »<strong>die</strong>ser Mensch existiert«, d.h. Existenzialaussagen,<br />
<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er Weise <strong>in</strong>terpretieren. Diese e<strong>in</strong>fache<br />
Satzdef<strong>in</strong>ition ist, wenn man im ganzen <strong>die</strong> Probleme des Satzes<br />
und der Wahrheit übersieht, fragwürdig. Im Verlauf der Entwicklung<br />
der neuzeitlichen Logik, vor allem bei Leibniz, wird<br />
<strong>die</strong>se Beziehung des Prädikats zum Subjekt, <strong>die</strong>se connexio, genauer<br />
gefaßt als determ<strong>in</strong>atio, so daß das Prädikat <strong>die</strong> Grundfunktion<br />
des Bestimmens hat. Es bestimmt das Subjekt, und<br />
entsprechend dem Unterschied von positivem und negativem<br />
Urteil wird auch e<strong>in</strong>e positive und negative determ<strong>in</strong>atio unterschieden.<br />
Dieser Unterschied ist <strong>in</strong>sofern wesentlich, als er<br />
zwei Begriffe <strong>in</strong> sich birgt, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> neuzeitliche, vor allem <strong>die</strong><br />
kantische und spätere Metaphysik von besonderer Bedeutung<br />
s<strong>in</strong>d, nämlich den Begriff der Realität und der Negation. Baumgarten<br />
bestimmt, was er unter determ<strong>in</strong>atio und determ<strong>in</strong>are<br />
versteht: Quae determ<strong>in</strong>ando ponuntur <strong>in</strong> aliquo, (notae et praedicata)<br />
sunt determ<strong>in</strong>ationes, altera positiva, et affirmativa,<br />
quae si vere sit, est realitas, altera determ<strong>in</strong>atio negativa, quae si<br />
vere sit, est negatio. 7 »Das, was <strong>in</strong> der Weise des Bestimmens <strong>in</strong><br />
etwas gesetzt wird, nämlich <strong>die</strong> Merkmale und <strong>die</strong> Prädikate,<br />
s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Bestimmungen. Die e<strong>in</strong>e Art der Bestimmungen ist<br />
positiv, und <strong>die</strong>se positive, zustimmende Bestimmung des Subjekts<br />
durch das Prädikat heißt, wenn sie e<strong>in</strong>e wahre positive<br />
Bestimmung ist, Realität.«<br />
Diesen Begriff der Realität als e<strong>in</strong> positives wahres Prädikat<br />
muß man von vornhere<strong>in</strong> festhalten, um überhaupt <strong>die</strong> Fragestellung<br />
der »Kritik der re<strong>in</strong>en Vernunft« zu verstehen. Der<br />
7 Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica. Zweite Ausgabe Halle<br />
1743. § 36, S. 11.<br />
§ 10. Wahrheit als Satzwahrheit 55<br />
Ce enbegriff zu Realität ist <strong>die</strong> Negation, während wir heute <strong>in</strong><br />
7<br />
g Erkenntnistheorie ,Realität <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganz anderen S<strong>in</strong>ne<br />
der ..<br />
ebrauchen wie Kant und <strong>die</strong> alte Metaphysik. Ubrigens geht<br />
~ieser Begriff der realitas schon auf <strong>die</strong> Scholastik, vor allem <strong>die</strong><br />
Sätscholastik, auf Suarez zurück; realitas bedeutet nichts and~res<br />
als essentia, Wesen, Sachhaltiges, Positives, e<strong>in</strong>em Etwas<br />
zugesprochenes Wesen. Mit Rücksicht auf spätere wichtige<br />
Cberlegungen erwähne ich, daß <strong>die</strong>ser Begriff der Realität mit<br />
dem Satz, der determ<strong>in</strong>atio, und zwar dem positiven Satz <strong>in</strong><br />
Zusammenhang gehört.<br />
Wenn man- also sagt: Die Wahrheit hat ihren Ort <strong>in</strong> der Aussage<br />
bzw. im Satz, dann ist <strong>die</strong>se These zunächst zweideutig.<br />
VIan weiß nicht, wo nun <strong>die</strong> Wahrheit sitzt, <strong>in</strong> der prädikativen<br />
Beziehung oder <strong>in</strong> der Beziehung der Prädikation auf das, worüber<br />
ausgesagt wird. Nun hörten wir schon, daß offenbar <strong>die</strong><br />
Zusammengehörigkeit von p zu S als prädikative Beziehung <strong>in</strong><br />
ihrer Gehörigkeit sich gewissermaßen normiert auf dem Weg<br />
<strong>die</strong>ses Bezuges zu dem, worüber ausgesagt wird. Diese prädikative<br />
Beziehung ist dann e<strong>in</strong>e gehörige, wenn sie sich dem<br />
Vorliegenden, der Sache, »res«, worüber sie prädiziert und aussagt,<br />
anmißt, angleicht. Angleichung heißt late<strong>in</strong>isch adaequatio,<br />
und »adaequatio <strong>in</strong>tellectus ad rem« ist <strong>die</strong> alte scholastische<br />
Def<strong>in</strong>ition für veritas. Wir nennen daher <strong>die</strong> Beziehung der<br />
Prädikation zum Worüber der Aussage veritative Beziehung,<br />
ohne damit schon zu sagen, daß <strong>die</strong>se abgeleitete Beziehung das<br />
Wesen der Wahrheit ausmache.<br />
Die Wahrheit liegt also nicht <strong>in</strong> der Beziehung des Prädikats<br />
zum Su bjekt, sondern <strong>in</strong> der Beziehung der ganzen prädikativen<br />
Beziehung zu dem, worüber ausgesagt wird, zum Aussagegegenstand.<br />
Wir können im Satz <strong>die</strong> prädikative Beziehung von<br />
derjenigen scheiden, <strong>die</strong> <strong>die</strong> adaequatio und damit <strong>die</strong> veritas<br />
hetrifft, und <strong>die</strong> wir deshalb veritative Beziehung des Satzes<br />
nennen.<br />
I )as Eigentümliche ist, daß <strong>die</strong> prädikative Beziehung <strong>in</strong> ge<br />
WIsser 'Weise unabhängig ist von dem Sachgehalt dessen, was