Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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16 Was heifJt Philosophle?<br />
phie sei mit dem Mangel der Unwissenschaftlichkeit behaftet.<br />
Wenn etwas nicht Wissenschaft se<strong>in</strong> kann und nicht se<strong>in</strong> soll,<br />
dann kann ihm <strong>die</strong> Unwissenschaftlichkeit nicht als Gebrechen<br />
zugerechnet werden. Aber wir hörten schon: ><strong>Philosophie</strong> ist<br />
nicht Wissenschaft< besagt nicht, sie sei unwissenschaftlich,<br />
wenn unwissenschaftlich besagt: gegen <strong>die</strong> Normen und Me<br />
thoden der Wissenschaft verstoßend. Nicht unwissenschaftlich,<br />
weil auch nicht »wissenschaftlich« ~ ke<strong>in</strong>e möglichen Prädikate<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em primären S<strong>in</strong>ne. Nur das e<strong>in</strong>e ist vorläufig deutlich.<br />
Die These sagt: <strong>Philosophie</strong> gehört nicht unter <strong>die</strong> »Gattung«<br />
Wissenschaft, wenn wir e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong>sen formallogischen Term<strong>in</strong>us<br />
gebrauchen dürfen.<br />
Aber so e<strong>in</strong>deutig <strong>die</strong>se Auskunft ist, sie befriedigt nicht angesichts<br />
des geschichtlichen Faktums, daß Denker wie Kant und<br />
Hegel sich bemühten, <strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong> zum Rang e<strong>in</strong>er Wissenschaft<br />
zu erheben. Vielleicht ist das Verhältnis der <strong>Philosophie</strong><br />
zur Wissenschaft, gerade wenn <strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong> etwas auf nichts<br />
anderes Zurückführbares ist, e<strong>in</strong> ganz eigentümliches, das wir<br />
mit der Erklärung »<strong>Philosophie</strong> fällt nicht unter <strong>die</strong> Gattung<br />
Wissenschaft« längst nicht erfaßt haben.<br />
In der Tat, <strong>Philosophie</strong> ist nicht deshalb ke<strong>in</strong>e Wissenschaft,<br />
weil sie an das Ideal e<strong>in</strong>er Wissenschaft nicht heranreichte,<br />
darunter zurückbleiben müßte, weil ihr das, was Wissenschaft<br />
als solche bestimmt, fehlte, sondern weil ihr das, was <strong>die</strong> Wissenschaft<br />
nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em abgeleiteten S<strong>in</strong>ne hat, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ursprünglichen<br />
Weise zukommt. <strong>Philosophie</strong> ist ke<strong>in</strong>e Wissenschaft<br />
~ nicht aus Mangel, sondern sie kann nicht Wissenschaft<br />
se<strong>in</strong> aus Überfluß, der dabei e<strong>in</strong> grundsätzlicher ist, nicht nur<br />
e<strong>in</strong> quantitativer.<br />
Wir sagten schon, der Ausdruck »wissenschaftliche <strong>Philosophie</strong>«<br />
sei ebenso wie der Ausdruck »hölzernes Eisen« zweideutig.<br />
Weit besser entspricht dem Ausdruck »wissenschaftliche<br />
<strong>Philosophie</strong>« <strong>die</strong> Bezeichnung »rundlicher Kreis«. Hier wird<br />
dem Kreis etwas zugesprochen, was ihm nicht zukommt; denn<br />
der Kreis ist eben nicht rundlich d.h. nur <strong>in</strong> etwa rund, sondern<br />
§ 5. Ist Phllosophle e<strong>in</strong>e Wlssenschaft) 17<br />
er ist schlechth<strong>in</strong> rund. Dem Kreis wird aber auch etwas zugesprochen,<br />
was gerade ihm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausgezeichneten S<strong>in</strong>ne<br />
zukommt, sofern er <strong>die</strong> Idee des Runden vollkommen repräsentiert.<br />
Entsprechend wird <strong>in</strong> dem Ausdruck »wissenschaftliche<br />
<strong>Philosophie</strong>« der <strong>Philosophie</strong> etwas zugesprochen, was ihr nicht<br />
zukommt ~ sie ist nie lediglich e<strong>in</strong>e Wissenschaft; zugleich wird<br />
ihr aber etwas zugesprochen, was sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ursprünglichen<br />
S<strong>in</strong>ne schon hat: sie ist ursprünglicher als jede Wissenschaft,<br />
weil alle Wissenschaft <strong>in</strong> der <strong>Philosophie</strong> verwurzelt ist, aus ihr<br />
erst entspr<strong>in</strong>gt.<br />
Vom Kreis auszusagen, er sei rundlich, ist überflüssig und<br />
unangemessen zugleich. Daß der Kreis nicht rundlich ist, <strong>die</strong>ses<br />
Nicht-rundlich-se<strong>in</strong>-können ist nicht Unvermögen, sondern<br />
Übervermögen: er vermag wesenhaft mehr zu se<strong>in</strong>. Von der<br />
<strong>Philosophie</strong> zu sagen, sie sei Wissenschaft, ist unangemessen<br />
und überflüssig zugleich. Entsprechend gilt: <strong>Philosophie</strong> ist<br />
nicht aus Unvermögen, sondern aus wesenhaftem Übervermögen<br />
ke<strong>in</strong>e Wissenschaft.<br />
Aber weil <strong>Philosophie</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise Wissenschaft ist, wie <strong>die</strong><br />
Wissenschaft es nie se<strong>in</strong> kann und weil <strong>Philosophie</strong> ursprünglicher<br />
ist als Wissenschaft und <strong>die</strong>se ihren Ursprung <strong>in</strong> der<br />
<strong>Philosophie</strong> hat, konnte es dazu kommen, den Ursprung der<br />
Wissenschaft, nämlich <strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong>, selbst als Wissenschaft,<br />
ja sogar als <strong>die</strong> Ur-wissenschaft und als absolute Wissenschaft zu<br />
bezeichnen und als solche zu bestimmen.<br />
Wissenschaftliche <strong>Philosophie</strong> ist nicht zu verstehen wie<br />
»hölzernes Eisen«, was sich beides ausschließt, sondern wie<br />
»rundlicher Kreis«. Aber so e<strong>in</strong>leuchtend <strong>die</strong>ser Vergleich se<strong>in</strong><br />
mag, auch er h<strong>in</strong>kt und gibt zu e<strong>in</strong>em gefährlichen Mißverständnis<br />
Anlaß, das wir gleich zu Anfang beseitigen müssen.<br />
Den Kreis können und dürfen wir nicht als »rundlich« bezeichnen,<br />
weil er schlechth<strong>in</strong> rund ist, d.h. weil »rundlich« nur e<strong>in</strong>e<br />
mangelhafte Angleichung an »rund« wäre. Er kann nicht durch<br />
etwas bestimmt werden, was gewissermaßen nur e<strong>in</strong>en Abfall,<br />
e<strong>in</strong>e Privation se<strong>in</strong>es Wesens darstellt.