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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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§ J9. Grundfragen des pnnzipiellen Problems 345<br />

DRITTES KAPITEL<br />

Das Problem der Weltanschauung<br />

§ 39. Grundfragen des pr<strong>in</strong>zipiellen Problems<br />

der Weltanschauung<br />

a) Weltanschauung als faktisch ergriffenes In -der-Welt-se<strong>in</strong><br />

Gerade <strong>die</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzung macht ja das Seiende an ihm<br />

selbst zugänglich und nicht <strong>die</strong> bloße Betrachtung. Diese ist<br />

e<strong>in</strong>e nachträgliche Form möglicher Aneignung der Wahrheit,<br />

aber nicht das Wesentliche des Offenbarrnachens. Das ist im<br />

Grunde auch <strong>die</strong> eigentliche Bedeutung, <strong>die</strong> dem Term<strong>in</strong>us<br />

»Anschauung« <strong>in</strong>newohnt. Es ist gar ke<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit,<br />

daß der abendländische ErkenntHisbegriff gerade an der<br />

Idee der Anschauung, aLo{hIOL~, töeLv, voeLv, orientiert ist und daß<br />

Kant <strong>die</strong> Idee der Erkenntnis als <strong>in</strong>tuitus ansetzt. »Anschauen«<br />

von etwas will das unmittelbare Haben von etwas im Ganzen<br />

ausdrücken; solches Haben als erstrebtes Ideal schließt <strong>in</strong> sich<br />

<strong>die</strong> Orientierung an e<strong>in</strong>em Nichthaben, Nichtbesitzen. Weltanschauung<br />

heißt im Grunde Welt-haben, sie besitzen, d. i. sich<br />

halten im In-der-Welt-se<strong>in</strong>, was <strong>die</strong> Halt-Iosigkeit entbehrt,<br />

worauf sie aber gerade Anweisung gibt, <strong>die</strong>s <strong>in</strong> Besitz zu br<strong>in</strong>gen.<br />

Im Ausdruck »Welt-anschauung« gilt es <strong>die</strong> zugeeignete<br />

Zugehörigkeit des In-der-Welt-se<strong>in</strong>s zum Dase<strong>in</strong> herauszuhören.<br />

Welt-anschauung als Welt-haben ist das faktisch je so oder<br />

so ergriffene In-der-Welt-se<strong>in</strong>. Wir dürfen daher, streng genommen,<br />

nicht sagen: Das Dase<strong>in</strong> hat e<strong>in</strong>e Weltanschauung, sondern<br />

es ist Welt-anschauung, und zwar notwendig ..<br />

Sofern aber das Dase<strong>in</strong> ausdrücklich sich um das In"-der-Weltse<strong>in</strong><br />

bemühen kann und muß,- und sofern solcher Bemühung<br />

bestimmte Erkenntnisse, Stellungnahmen, Gewohnheiten, Ansprüche,<br />

Forderungen entwachsen, <strong>die</strong>se wiederum objektiv<br />

mitteilbar und darstellbar s<strong>in</strong>d, und sofern <strong>die</strong>ses Veröffentlichte<br />

das zunächst Faßbare ist, erwächst der Sche<strong>in</strong>, als sei <strong>die</strong><br />

Weltanschauung etwas, was objektiv vorhanden ist - Gebilde,<br />

<strong>die</strong> es sich zulegen kann -, was <strong>in</strong> Büchern steht oder was man<br />

aus Vortragszirkeln der Schule der Weisheit <strong>in</strong> Darmstadt bezieht,<br />

was dann das Dase<strong>in</strong> haben oder nicht haben kann.<br />

,Auf Grund <strong>die</strong>ser Auffassung, daß Weltanschauung e<strong>in</strong> öffentlich<br />

gewordenes Gebilde ist, das freilich se<strong>in</strong>e eigene Notwendigkeit<br />

und relatives Recht hat, entsteht e<strong>in</strong>e weitere<br />

Verkennung des Wesens der Weltanschauung, <strong>die</strong> sich ausdrückt<br />

m der Rede von der »natürlichen Weltanschauung«. Man me<strong>in</strong>t<br />

damit e<strong>in</strong> solches Sichhalten im In-der-Welt-se<strong>in</strong>, das jedem<br />

Dase<strong>in</strong> natürlich und für jedes gleich ist. Wenn aber jedes Dase<strong>in</strong><br />

als faktisch existierendes sich notwendig vere<strong>in</strong>zelt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Situation, so liegt dar<strong>in</strong>, daß es so etwas wie e<strong>in</strong>e natürliche<br />

Weltanschauung faktisch nicht gibt. Jede Weltanschauung ist<br />

wie jedes In-der-Welt-se<strong>in</strong> <strong>in</strong> sich selbst, ob es darum weiß oder<br />

nicht, geschichtlich. Es gibt nicht e<strong>in</strong>e sogenannte natürliche<br />

und dann noch e<strong>in</strong>e darauf gepfropfte, erst gebildete Weltanschauung,<br />

sowenig e<strong>in</strong> Dase<strong>in</strong> existieren kann, das nicht je<br />

Dase<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Selbst wäre und damit notwendig <strong>in</strong> <strong>die</strong> Ich-Du­<br />

Verhältnisse zerstreute. Die Leugnung e<strong>in</strong>er natürlichen Weltanschauung<br />

besagt nun freilich nicht, es existiert nicht so etwas<br />

wie e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Weltanschauung, etwa von Gruppen,<br />

Stämmen, Sippen, Nationen, Völkern; <strong>in</strong> anderer Richtung gibt<br />

es e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Welt bestimmter Stände, Kasten, Berufe.<br />

Aber <strong>die</strong>se Geme<strong>in</strong>samkeit selbst ist der Form nach ebenso wie<br />

h<strong>in</strong>sichtlich des Gehaltes e<strong>in</strong>e geschichtliche.<br />

Die Ausbildung von Weltanschauungen ist zunächst und auf<br />

lange h<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Sache der Wissenschaft und der Gelehrten. Wo es<br />

solche Gebilde gibt, s<strong>in</strong>d es zumeist nur erdachte, »Weltbilder«,<br />

m denen das jeweilige Wissen um das Seiende zusammengetragen<br />

und mit heilsamen praktischen Ratschlägen versehen ist.

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