31.10.2013 Aufrufe

Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

124 Wahrheit - Dase<strong>in</strong> - Mit-se<strong>in</strong><br />

ohne e<strong>in</strong>en Leitfaden von der Idee des Menschen überhaupt.<br />

Das, woran ich messe, muß zuvor bestimmt se<strong>in</strong>, und <strong>die</strong>ser<br />

Maßstab ist demnach - wie jedes Fundament e<strong>in</strong>er Privationnicht<br />

unwesentlich, sondern mitbestimmend für das, was auf<br />

privative Weise bestimmt werden soll.<br />

Aufgrund der psychologischen, psychoanalytischen, anthropologischen<br />

und ethnologischen Forschung haben wir heute<br />

reichere Möglichkeiten des E<strong>in</strong>blicks <strong>in</strong> bestimmte Zusammenhänge<br />

des Dase<strong>in</strong>s. Aber <strong>die</strong> Tatsachen und Phänomene, <strong>die</strong><br />

man aus <strong>die</strong>sen Forschungen beibr<strong>in</strong>gt, bedürfen e<strong>in</strong>er grundsätzlichen<br />

kritischen Revision, sobald sie für wesentliche Arten<br />

von Dase<strong>in</strong> <strong>in</strong> Anspruch genommen werden. Diese Revision<br />

muß von der Grundthese geleitet se<strong>in</strong>, daß, wenn es sich beim<br />

k<strong>in</strong>dlichen Dase<strong>in</strong> sowie beim Dase<strong>in</strong> primitiver Völker um e<strong>in</strong><br />

menschliches Dase<strong>in</strong> handelt, ihm e<strong>in</strong> wesenhaft geschichtlicher<br />

Charakter zugrundeliegt, auch wenn wir <strong>die</strong>sen nicht ohne<br />

weiteres erkennen. Gleichwohl liegen hier Probleme ganz<br />

eigener Art, deren Problemcharakter wir kennenlernen werden.<br />

Man hat mich schon oft gefragt und meist im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es<br />

E<strong>in</strong>wands, warum ich bei der Untersuchung des Dase<strong>in</strong>s nur den<br />

Tod <strong>in</strong> das Fragen e<strong>in</strong>beziehe und nicht auch <strong>die</strong> Geburt. Ich gehe<br />

so vor, weil ich eben nicht der Me<strong>in</strong>ung b<strong>in</strong>, daß <strong>die</strong>, Geburt<br />

lediglich das andere Ende des Dase<strong>in</strong>s ist, das <strong>in</strong> derselben Problemstellung<br />

behandelt werden könnte und dürfte wie der Tod.<br />

Man kann für <strong>die</strong> Untersuchung des Dase<strong>in</strong>s nicht ohne weiteres<br />

statt des Todes nun auch e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong> Geburt heranziehen, so wie<br />

e<strong>in</strong> Botaniker bei der Untersuchung e<strong>in</strong>er Pflanze statt von der<br />

Blüte auch e<strong>in</strong>mal vom anderen Ende, der Wurzel, anfangen<br />

kann. Gerade angesichts des Faktums der Geburt, das <strong>in</strong> gewisser<br />

Weise nicht schlechth<strong>in</strong> h<strong>in</strong>ter uns liegt, gilt, daß dasjenige, was<br />

uns zunächst zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>t, was wir zuerst waren, <strong>in</strong> der Erkenntnis<br />

das Späteste ist. Zur Geburt müssen wir notwendig <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Rücklauf gehen, aber das ist nicht e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong> Inversion<br />

des Se<strong>in</strong>s zum Tode. Für <strong>die</strong>sen Rücklauf bedarf es noch e<strong>in</strong>er<br />

ganz anderen Ausarbeitung deI""" Ausgangsstellung als für jeden<br />

§ 15. Entdeckendse<strong>in</strong> beim frühmenschlichen Dase<strong>in</strong> 125<br />

anderen Grenzgang im Dase<strong>in</strong>. Dasselbe gilt entsprechend für<br />

<strong>die</strong> Interpretation der K<strong>in</strong>dheit, wenn sie nicht lediglich irgendwelche<br />

psychologische oder pädagogische Absichten hat.<br />

Wenn wir uns ganz elementar <strong>die</strong> Art des Dase<strong>in</strong>s e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />

im ersten Moment se<strong>in</strong>es Erdendase<strong>in</strong>s vergegenwärtigen,<br />

so ist es Schreien, zappelnde Bewegung <strong>in</strong> <strong>die</strong> Welt, <strong>in</strong> den<br />

Raum-h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, ohne jedes Ziel und doch gerichtet auf ... Ziellosigkeit<br />

ist nicht Ungerichtetheit und Gerichtetheit ist nicht<br />

Ausrichtung auf e<strong>in</strong> Ziel, sondern Gerichtetheit heißt überhaupt<br />

auf zu ..., h<strong>in</strong> zu ..., weg von ...<br />

Was <strong>die</strong>ses Dase<strong>in</strong> zunächst bestimmt, ist Ruhe, Wärme, Nahrung;<br />

Schlaf- und Dämmerzustand. Man hat daraus geschlossen,<br />

daß <strong>die</strong>ses Dase<strong>in</strong> zuerst gewissermaßen noch <strong>in</strong> sich e<strong>in</strong>gerollt<br />

und e<strong>in</strong>geschlossen, das Subjekt noch gänzlich <strong>in</strong> sich e<strong>in</strong>gelegt<br />

sei. Schon <strong>die</strong>ser Ansatz ist grundverkehrt, sofern nämlich <strong>die</strong><br />

Reaktion des K<strong>in</strong>des - wenn wir mit <strong>die</strong>sem Ausdruck uns<br />

orientieren dürfen - den Charakter des Schocks, des Schrecks<br />

hat. Vielleicht ist der erste Schrei schon e<strong>in</strong> ganz bestimmter<br />

Schock. Schreck ist e<strong>in</strong>e Empf<strong>in</strong>dlichkeit auf Störung, e<strong>in</strong>e Urform<br />

des Innehaltens, e<strong>in</strong> Verhalten des Se<strong>in</strong>lassens von etwas,<br />

aber auch e<strong>in</strong> Be-stürztse<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e Betroffenheit von ..., wobei<br />

das Wovon des Betroffense<strong>in</strong>s noch verborgen ist. Diese Betroffenheit<br />

ist aber schon eben e<strong>in</strong>e Bef<strong>in</strong>dlichkeit. Das Wesen des<br />

Schocks kann man nur im Zusammenhang mit dem Phänomen<br />

des Schrecks und der Angst klarmachen. Der Schock bedeutet,<br />

daß das Sichbef<strong>in</strong>den gestört ist, daß e<strong>in</strong> Unbehagen e<strong>in</strong>tritt, das<br />

abgewehrt werden soll.<br />

Es ist nicht so, daß das K<strong>in</strong>d erst im Verlauf der ersten Wochen<br />

aus e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>geschlossenen Subjekt zu Objekten kommt, sondern<br />

es ist schon - und nicht erst, wenn es dem Dämmerzustand<br />

entrissen ist - h<strong>in</strong>aus zu ... gerichtet; es ist schon draußen<br />

bei ... E<strong>in</strong> irgend Seiendes ist dem K<strong>in</strong>d schon offenbar, obzwar<br />

noch ke<strong>in</strong> Verhalten zu <strong>die</strong>sem Seienden, ke<strong>in</strong>e Zuwendung<br />

erfolgt. Die Abkehr und Abwehr und <strong>die</strong>ses <strong>in</strong> sich zentrierende<br />

Bedürfnis nach Ruhe, Wärme, Schlaf hat e<strong>in</strong>en ganz eigentüm-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!