Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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200 Zum Unterschied von Wissenschaft und <strong>Philosophie</strong><br />
So stehen wir bei e<strong>in</strong>er neuen zentralen Frage. Kaum, daß wir<br />
<strong>die</strong> Antwort gewonnen haben auf <strong>die</strong> Frage nach dem existenzialen<br />
Wesen der Wissenschaft, ist <strong>die</strong>se Antwort selbst e<strong>in</strong>e<br />
Frage geworden.<br />
Was ist mit <strong>die</strong>sem Entwurf, der <strong>die</strong> Positivität der Wissenschaft,<br />
d.h. ihr Wesen, ermöglicht, und se<strong>in</strong>em Verhältnis zur<br />
Wahrheit? Wir sahen: In all unserem Dase<strong>in</strong> verstehen wir dergleichen<br />
wie »ist«, »war«, »wird se<strong>in</strong>«, überhaupt »Se<strong>in</strong>«, aber<br />
begreifen es nicht, so wenig, daß wir nicht e<strong>in</strong>mal imstande<br />
s<strong>in</strong>d, das <strong>in</strong> gewisser Weise verstandene Se<strong>in</strong> selbst zu fassen.<br />
Dieses Verstä,ndnis von Se<strong>in</strong> ermöglicht aber eben doch, daß wir<br />
überhaupt Seiendes als Seiendes erfassen können. Das Se<strong>in</strong>sverständnis<br />
versteht das Se<strong>in</strong> des Seienden, d. h. es hat immer schon<br />
und im vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> das Seiende als Seiendes, h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>es<br />
Se<strong>in</strong>s »angesprochen.«.<br />
Etwas als etwas ansprechen, nennen <strong>die</strong> Griechen MYELv,<br />
A.6yoC;; dabei ist nicht notwendig an Verlautbarung, »äußeres<br />
Gespräch« gedacht, an E~o) gegenüber EGO) A.oyoC;; sondern A.oyoC;<br />
wird auch als A.EyOttEVOV genommen. Dieser Ausdruck A.6yoC; hat<br />
<strong>die</strong>selbe Doppeldeutigkeit wie unsere entsprechenden Begriffe.<br />
Unter »Spruch« verstehen wir e<strong>in</strong>mal das Gesprochene, zweitens<br />
das Sprechen selbst. Das »Ansprechen« des Seienden als<br />
Seienden, der Anspruch des Seienden, des OV h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>es<br />
Se<strong>in</strong>s läßt sich bezeichnen als A.oyoC; des OV, A.oyoC; "tou OVWC; ~<br />
onto-Iogos, ontologia neuzeitlicher Prägung. Verständnis des<br />
Se<strong>in</strong>s ist ontologisches Verständnis. Erkenntnis des Seienden, OV,<br />
an ihm selbst ist ontische Erkenntnis.<br />
»Ansprechen von etwas als etwas« besagt nicht schon, das so<br />
Angesprochene <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wesen begreifen; etwas als Seiendes<br />
h<strong>in</strong>sichtlich se<strong>in</strong>es Se<strong>in</strong>s verstehen, heißt nicht schon, das Wesen<br />
von Se<strong>in</strong> erfassen. Wir gebrauchen freilich den Ausdruck<br />
»ontologisch« - »Ontologie« für das thematische Erfassen und<br />
Begreifen des Se<strong>in</strong>s selbst. Ja, im Grunde ist bis heute, und<br />
gerade heute, der Sprachgebrauch unbestimmt und vieldeutig;<br />
ontologisch wird oft gebrauchtfür ontisch - und <strong>die</strong>ses wieder 1ll<br />
§ 27. Entwurf der Semsverfassung 201<br />
dem S<strong>in</strong>ne, daß man das Seiende an sich gelten läßt und nicht<br />
Idealistisch verflüchtigt. Ontologische Tendenz <strong>in</strong> der heutigen<br />
<strong>Philosophie</strong> heißt dann: Tendenz zum Realismus. Aber <strong>die</strong>se<br />
ontologische Tendenz ist dadurch ausgezeichnet, daß sie das<br />
Problem der Ontologie gerade nicht stellt, nicht e<strong>in</strong>mal versteht.<br />
Anders noch: Onto-Iogie, Bio-Iogie; jene wie <strong>die</strong>se gilt als<br />
positive Wissenschaft, nur jene von allem Seienden im allgeme<strong>in</strong>en.<br />
Von da aus gesehen ist das Se<strong>in</strong>sverständnis, das all<br />
unser Verhalten zu Seiendem erhellt und leitet, noch ke<strong>in</strong> ontologisches,<br />
ke<strong>in</strong> Se<strong>in</strong>sbegreifen. Wir nennen daher das noch<br />
mcht begreifende und zum Begriff gekommene Se<strong>in</strong>sverständnis<br />
das vorontologische.<br />
Diese sche<strong>in</strong>bar nur term<strong>in</strong>ologische Erörterung wollen wir<br />
zusammenfassend festlegen: Erkenntnis von Seiendem, OV, ist<br />
ontische Erkenntnis. Wissenschaftliche Erkenntnis, positive Erkenntnis<br />
des Vorliegenden, ist e<strong>in</strong>e bestimmte Art von ontischer<br />
Erkenntnis. Denn auch <strong>in</strong> der technischen Hantierung mit den<br />
D<strong>in</strong>gen, im Umgang mit ihnen liegt e<strong>in</strong> Erkennen, das wir als<br />
Umsicht und Sichauskennen bezeichnen; allgeme<strong>in</strong> ist jedes<br />
Verhalten zu Seiendem, OV, ontisches Verhalten. Diesem liegt<br />
aber als Licht gebend und führend e<strong>in</strong> Se<strong>in</strong>sverständnis zugrunde,<br />
das nicht schon »Begreifen« des Se<strong>in</strong>s ist - vor-ontologisches<br />
Se<strong>in</strong>sverständnis. Dieses kann sich ausbilden Zll e<strong>in</strong>em ausdrücklichen<br />
Erfassen und Begreifen des Se<strong>in</strong>s selbst: zu ontologIschem<br />
Verständnis. Diese Hauptunterschiede s<strong>in</strong>d festzuhalten.<br />
Am Ende gibt es hier noch Zwischenstufen, und e<strong>in</strong>e solche<br />
1st gerade der Entwurf der Se<strong>in</strong>sverfassung, sofern er z. B. vom<br />
Naturforscher vollzogen, das Feld Natur umgrenzt. Denn <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong>sem Entwurf spricht weder nur e<strong>in</strong> vorontologisches Se<strong>in</strong>sverständnis,<br />
noch aber schon e<strong>in</strong> ausdrückliches Erfassen und<br />
Begreifen des Se<strong>in</strong>s selbst; er ist e<strong>in</strong> eigentümliches Zwischen<br />
nnt Bezug auf vorontologisches und ontologisches Verständnis,<br />
('me Art des ausdrücklichen Se<strong>in</strong>sverständnisses, was nicht e<strong>in</strong>schließt,<br />
daß es auch schon als solches erkannt und verstanden