Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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108 Wahrheit und Se<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong> Se<strong>in</strong> bei e<strong>in</strong>em Selbigen, bei e<strong>in</strong>em Geme<strong>in</strong>samen, was wir<br />
genauer <strong>in</strong>terpretiert haben als e<strong>in</strong> Sichteilen <strong>in</strong> etwas. Dieses<br />
Sichteilen <strong>in</strong> etwas ergab sich uns zunächst <strong>in</strong> der Form als e<strong>in</strong>es<br />
sich gegenseitigen Überlassens von etwas im Gebrauchen. Es<br />
stellte sich aber heraus, daß wir schon ohne daß wir von etwas<br />
Gebrauch machen, Seiendes, Vorhandenes, Vorliegendes <strong>in</strong> gewisser<br />
Weise geme<strong>in</strong>sam vor uns haben, so daß also <strong>die</strong>ses<br />
Sichteilen <strong>in</strong> etwas im Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> bei e<strong>in</strong>em Vorhandenen<br />
nicht im Vollzug des Gebrauchens selbst liegen kann, sondern <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Se<strong>in</strong>sweise des Dase<strong>in</strong>s, <strong>die</strong> schon vor allem Gebrauchen<br />
liegt und <strong>die</strong> das geme<strong>in</strong>same Gebrauchmachen von etwas allererst<br />
ermöglicht.<br />
Die Frage wird nun: Was ist <strong>die</strong>ses Geme<strong>in</strong>same, <strong>in</strong> das wir<br />
uns teilen? Wir s<strong>in</strong>d jetzt gezwungen, <strong>die</strong>ses Geme<strong>in</strong>same aufzuweisen<br />
<strong>in</strong> der Betrachtungsrichtung, daß wir nicht e<strong>in</strong>gestellt<br />
s<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong>en Gebrauch, sondern auf e<strong>in</strong> Verhalten vor dem, das<br />
wir kennzeichnen als e<strong>in</strong> Liegenlassen des Seienden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Wesen, e<strong>in</strong> Se<strong>in</strong>lassen der D<strong>in</strong>ge. In <strong>die</strong>sem Se<strong>in</strong>lassen der D<strong>in</strong>ge<br />
liegt e<strong>in</strong>e ursprüngliche Gleichgültigkeit des Dase<strong>in</strong>s, <strong>die</strong><br />
noch vor allem Interessiert- und Nicht<strong>in</strong>teressiertse<strong>in</strong> liegt.<br />
Aber auch wenn wir <strong>die</strong>ses Se<strong>in</strong>lassen der D<strong>in</strong>ge als das Charakteristikum<br />
unseres Teilens <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>sames annehmen,<br />
so ergibt sich immer wieder <strong>die</strong> Frage: Was ist das eigentlich,<br />
wore<strong>in</strong> wir uns teilen? Dieses Sichteilen <strong>in</strong> das Seiende vollzieht<br />
sich <strong>in</strong> unserem Se<strong>in</strong> bei ... , und <strong>die</strong>ses Se<strong>in</strong> bei ... kennzeichneten<br />
wir dadurch, daß das Vorhandene unverborgen ist. Wore<strong>in</strong><br />
wir uns teilen, so lautete zuletzt <strong>die</strong> These, ist <strong>die</strong> Wahrheit über<br />
das Seiende, se<strong>in</strong>e Unverborgenheit, so daß jetzt das Problem<br />
entsteht, genauer auszumachen, <strong>in</strong>wiefern wir uns im Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong> Wahrheit über <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge teilen, und wie e<strong>in</strong><br />
Sichteilen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wahrheit, <strong>in</strong> <strong>die</strong> Unverborgenheit des Vorhandenen,<br />
möglich ist.<br />
Im Verfolg der Aufgabe, e<strong>in</strong>e Art zu se<strong>in</strong> zu charakterisieren,<br />
und zwar unter Absehen vom Wahrheitsproblem, stoßen wir auf<br />
Wahrheit. Zum Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong>, zur Struktur <strong>die</strong>ses Se<strong>in</strong>s, zur<br />
§ 14. Teilen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Unverborgenheit des Seienden 109<br />
Struktur der Weise, wie Dase<strong>in</strong> zu Dase<strong>in</strong> ist, gehört Wahrheit,<br />
wenn anders Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> besagt: Sichteilen <strong>in</strong> Wahrheit.<br />
Was heißt das? Zum »Se<strong>in</strong>« <strong>die</strong>ses Seienden, das wir Dase<strong>in</strong><br />
nennen und das wir selbst s<strong>in</strong>d, gehört <strong>die</strong> Wahrheit. Was ist<br />
deren Wesen? Nur wenn <strong>die</strong>ses klar wird, dann auch das »Se<strong>in</strong>«<br />
des Dase<strong>in</strong>s. Unversehens ist <strong>die</strong> Frage nach der Se<strong>in</strong>sart e<strong>in</strong>es<br />
Seienden zur Frage nach dem Wesen der Wahrheit geworden.<br />
Denn nur wenn klar wird, was das Wesen der Wahrheit sei, wird<br />
das Sichteilen <strong>in</strong> Wahrheit, und das heißt das Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong><br />
als I Se<strong>in</strong>sart des Dase<strong>in</strong>s, faßbar. Wir erörtern das Wesen der<br />
Wahrheit <strong>in</strong> der Absicht, <strong>die</strong> Se<strong>in</strong>sart des Dase<strong>in</strong>s im Unterschied<br />
von der des Vorhandenen zu kennzeichnen. Jetzt ist<br />
Wahrheit notwendig zu erörtern <strong>in</strong> Absicht auf e<strong>in</strong>e Klärung<br />
e<strong>in</strong>er spezifischen Se<strong>in</strong>sart: daß wir eben auf <strong>die</strong>se Weise <strong>die</strong><br />
Wahrheit kennzeichnen müssen als gehörig zum Se<strong>in</strong> des Dase<strong>in</strong>s<br />
selbst. Das ist nicht e<strong>in</strong>e beliebige Tatsache, sondern es<br />
deutet schon voraus auf e<strong>in</strong>e Wesensbestimmung der Wahrheit<br />
überhaupt: daß ihr Ort nicht der Satz, sondern das Dase<strong>in</strong> ist<br />
(oder gar umgekehrt).! Hieraus entnehmen wir schon e<strong>in</strong>e ganz<br />
fundamentale E<strong>in</strong>sicht und e<strong>in</strong>e Antwort auf <strong>die</strong> leitende Frage,<br />
wie sich Wahrheit als Unverborgenheit von Seiendem zum<br />
Seienden verhält, ob und wie sich Wahrheit mit der Se<strong>in</strong>sart des<br />
Seienden modifiziert.<br />
Die Se<strong>in</strong>sart des Dase<strong>in</strong>s im Unterschied von der des Vorhandenen<br />
suchen wir <strong>in</strong> der Orientierung am Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> von<br />
Dase<strong>in</strong> und Dase<strong>in</strong> zu bestimmen. Das Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> erwies<br />
sich als e<strong>in</strong> Sichteilen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Unverborgenheit (Wahrheit) von<br />
I 'Anm. d. Hg.: In der Abschrift f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e handschriftlIche Ergänzung<br />
von Hildegard Feick, dIe weder im Manuskript noch <strong>in</strong> den Nachschnften eme<br />
Entsprechung hat. SIe betrifft den genaueren S<strong>in</strong>n des »oder gar umgekehrt«<br />
und beantwortet <strong>die</strong> dar<strong>in</strong> gelegene Frage aus der späteren denkerischen<br />
Grundstellung Mart<strong>in</strong> Heideggers. Mit <strong>die</strong>ser Ergänzung, <strong>die</strong> vermutlich aus<br />
der Zeit der Herstellung der Abschrift stammt, lautet dIe Textstelle: » ... e<strong>in</strong>e<br />
Wt'sensbestimmung der Wahrheit uberhaupt: daß ihr Ort mcht der Satz, sondern<br />
das Dase<strong>in</strong> ist, dIe Lichtung (oder gar umgekehrt: daß der Wesensart des<br />
Dase<strong>in</strong>s <strong>die</strong> Wahrheit als Unverborgenheit ist).«