Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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204 Zum Unterschied von Wissenschaft und <strong>Philosophie</strong><br />
Vorhandenen. Diesem kann Wahrheit zukommen, dem Dase<strong>in</strong><br />
aber muß sie zugehören, d.h. sie gehört zum Wesen se<strong>in</strong>er Se<strong>in</strong>sverfassung.<br />
Wie, wurde nicht gesagt. Diese Wahrheit, <strong>in</strong> der<br />
Dase<strong>in</strong> sich wesenhaft hält, stellt sich jetzt als ontische Wahrheit<br />
heraus, d. h. aber als solche, <strong>die</strong> ihrerseits zu ihrer eigenen<br />
Möglichkeit e<strong>in</strong>e ursprüngliche Wahrheit fordert: <strong>die</strong> Unverborgenheit<br />
von Se<strong>in</strong> im Se<strong>in</strong>sverständnis.<br />
Demnach liegt im Wesen des Dase<strong>in</strong>s e<strong>in</strong> noch ursprünglicheres<br />
In-der Wahrheit-se<strong>in</strong> bzw. umgekehrt: Das Wesen des<br />
Dase<strong>in</strong>s selbst muß im H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong>se ursprüngliche Wahrheit<br />
des Se<strong>in</strong>sverständnisses noch radikaler gefaßt werden, so<br />
radikal, daß wir sagen können: Der Mensch ist dasjenige Seiende,<br />
zu dessen Wesen, d. h. Se<strong>in</strong>sverfassung es ursprünglich<br />
gehört, dergleichen wie Se<strong>in</strong> zu verstehen. Existenz ist von<br />
Grund aus nur möglich <strong>in</strong> und durch Se<strong>in</strong>sverständnis. Denn<br />
nur <strong>die</strong>ses ermöglicht, daß Dase<strong>in</strong> sich zu Seiendem verhält und<br />
im Verhalten zu Seiendem, das es selbst nicht ist, sich zu sich<br />
selbst als Seiendem verhält.<br />
Angesichts der jetzt gewonnenen E<strong>in</strong>sichten bedarf es e<strong>in</strong>er<br />
kurzen Er<strong>in</strong>nerung an das früher Erörterte. Wir g<strong>in</strong>g.en aus von<br />
e<strong>in</strong>er Kennzeichnung der Wissenschaft, wonach sie sei e<strong>in</strong> »Begründungszusammenhang<br />
wahrer Sätze«. Das erforderte <strong>die</strong><br />
Analyse der Satz-Aussagewahrheit. Sie ergab: Der ,Satz ist nicht<br />
der ursprüngliche Ort der Wahrheit, sondern <strong>die</strong>se gehört wesenhaft<br />
zum Dase<strong>in</strong> und ist umgekehrt der Ort (<strong>in</strong>nere Möglichkeit)<br />
für Sätze.<br />
Die gewonnenen E<strong>in</strong>sichten wurden <strong>in</strong> acht Thesen zusammengefaßt.<br />
Die achte These lautete: Wahrheit existiert. Nunmehr<br />
ergab sich: Die Wahrheit ist nicht nur nicht primär<br />
Aussagewahrheit, sondern auch <strong>die</strong> Interpretation der Wahrheit<br />
als Unverborgenheit des Seienden trifft noch nicht ihr ursprüngliches<br />
Wesen. So kommen wir zu e<strong>in</strong>er neunten These<br />
(vgl. oben S. 149f., Thesen 1-8):<br />
9. Wahrheit jedoch, als Unverborgenheit des Seienden genommen,<br />
existiert nur, wenn-..das existierende Dase<strong>in</strong> derglei-<br />
§ 28. Ontische und ontologische Wahrheit 205<br />
ehen wie Se<strong>in</strong> versteht, d. h. wenn zum Wesen der Existenz des<br />
Dase<strong>in</strong>s Enthüllen von Se<strong>in</strong>, ontologische Wahrheit, gehört.<br />
(Vgl. unten S. 209, These 10.)<br />
Ursprünglicher als <strong>die</strong> ontische Wahrheit ist <strong>die</strong> ontologische;<br />
dIese ist <strong>die</strong> Ermöglichung jener. Aber <strong>die</strong>se ontologische WahrheIt<br />
- Entwurf von Se<strong>in</strong> - haben wir <strong>in</strong> der Abhebung gegen <strong>die</strong><br />
ontIsche nur roh gekennzeichnet. Was <strong>die</strong> ontologische Wahrheit<br />
selbst sei, ist nicht geklärt. Die Antwort auf <strong>die</strong> Frage nach<br />
dem ursprünglichen Wesen der Wahrheit, sie sei <strong>die</strong> ontologische,<br />
wird selbst wieder zur Frage, wenn anders e<strong>in</strong>e weiter<br />
drmgende Aufhellung dessen möglich ist,<br />
So ergibt sich: Die Frage nach dem Wesen der Wahrheit treibt<br />
zu immer ursprünglicheren Interpretationen, und zwar so, daß<br />
damit, weil eben Wahrheit zur Se<strong>in</strong>sverfassung des Dase<strong>in</strong>s gehort,<br />
e<strong>in</strong>e jeweilig radikalere Interpretation des Dase<strong>in</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s<br />
zusammen geht. Was heißt: Verstehen von Se<strong>in</strong>, sich zu verstehen<br />
geben dergleichen wie Se<strong>in</strong> des Seienden im Entwurf?<br />
Was heißt und wie ist dergleichen Entwerfen möglich?<br />
Dabei er<strong>in</strong>nern wir uns erneut an das mehrfach gekennzeichnete<br />
Grundfaktum des menschlichen Dase<strong>in</strong>s: Wir verstehen<br />
dergleichen wie Se<strong>in</strong> und begreifen es nicht. Se<strong>in</strong> ist enthüllt<br />
und doch verborgen. Der Versuch aufzuhellen, was Se<strong>in</strong> besagt,<br />
WIe es zu begreifen ist und wie der Entwurf von, Se<strong>in</strong> dergleichen<br />
wie Se<strong>in</strong> zu verstehen gibt, was Se<strong>in</strong>sverständnis heißt, -<br />
<strong>die</strong> Aufhellung alles dessen, was so das Wesen menschlicher<br />
Existenz bestimmt, führt von neuem <strong>in</strong> Abgründe.<br />
Wir müssen <strong>die</strong> Urhandlung des Se<strong>in</strong>lassens von Seiendem<br />
lhrerseits <strong>in</strong> ihrem Wesen zu fassen versuchen, d. h. nach ihrer<br />
eigensten <strong>in</strong>neren Möglichkeit fragen, uns dabei E<strong>in</strong>sicht verschaffen,<br />
was da <strong>in</strong> solchem Entwerfen von Se<strong>in</strong> geschieht. Zu<br />
dIesem Zweck wollen wir vorläufig nur erst von fern <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen<br />
Abgrund h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>leuchten, um das e<strong>in</strong>e zu verstehen, daß es hier<br />
noch Probleme gibt und <strong>die</strong>se <strong>die</strong> zentralsten s<strong>in</strong>d.<br />
Se<strong>in</strong>sverständnis ist e<strong>in</strong> Sich-zu-verstehen-geben-von-Se<strong>in</strong>,<br />
dleses als Entwurf. Dar<strong>in</strong> liegt erstens e<strong>in</strong> Charakter des Han-