Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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352 Das Problem der Weltanschauung<br />
des Subjekts und Subjektbegriffs ist eben möglich und notwendig<br />
e<strong>in</strong>e Ontologie des Seelischen. Man kann zugeben, für <strong>die</strong><br />
faktische Durchführung des kantischen Problems der »Kritik<br />
der re<strong>in</strong>en Vernunft« ist sie nicht erforderlich; aber daraus folgt<br />
nicht, daß grundsätzlich <strong>die</strong> Möglichkeit e<strong>in</strong>er metaphysischen<br />
Betrachtung des Seelischen ausgeschlossen sei. Wäre Kant zu<br />
<strong>die</strong>sen Fundamentalfragen vorgedrungen und hätte sie als eigene<br />
Probleme erkannt, dann wäre der deutsche Idealismus <strong>in</strong><br />
der faktischen Form unmöglich geworden.<br />
Zur ontologischen Wesensfrage kann nicht nur zurückgefragt<br />
werden, sondern ist immer auch schon zurück gefragt, ob<br />
ausdrücklich oder nicht. Denn daß Dilthey notwendig von<br />
e<strong>in</strong>em solchen Grunde Gebrauch machen muß, obzwar er ihn<br />
nicht sieht und mißdeutet, das zeigt sich gerade an der Vieldeutigkeit,<br />
<strong>in</strong> der er sowohl <strong>die</strong> Begriffe der e<strong>in</strong>zelnen Bestandteile<br />
der Weltanschauung als auch den Begriff <strong>die</strong>ser selbst<br />
gebraucht.<br />
Die Vieldeutigkeit der Bestandteile: Weltbild, Lebenswürdigung,<br />
Lebensideal; Wirklichkeit, Wert, Zweck; Erkennen, Gefühl,<br />
Wollen, sowie <strong>die</strong> Vieldeutigkeit des Begriffes Weltanschauung:<br />
das Angeschaute, <strong>die</strong> Anschauungen, das Anschauen<br />
des Angeschauten, ist ke<strong>in</strong>e zufällige. Gerade weil Dilther'lebendig<br />
auf das Verständnis der Struktur der Weltanschauung<br />
dr<strong>in</strong>gt, muß er Gebrauch machen von <strong>die</strong>ser Vieldeutigkeit,<br />
freilich ohne daß es ihm gel<strong>in</strong>gt, <strong>die</strong> Bedeutungsrichtungen<br />
festzulegen oder gar <strong>die</strong> Notwendigkeit der Vieldeutigkeit zu<br />
zeigen und zu begründen. Daß aber Dilthey sich <strong>in</strong> der Vieldeutigkeit<br />
bewegt, ist der Beweis dafür, daß er von e<strong>in</strong>er - als<br />
solche nicht erkannten - Urstruktur des Dase<strong>in</strong>s Gebrauch<br />
macht, und zwar deshalb, weil er davon Gebrauch machen muß,<br />
wenn anders <strong>die</strong> Weltanschauung zum menschlichen Dase<strong>in</strong><br />
gehört. .<br />
5. Diese Urstruktur ist <strong>die</strong> Transzendenz als In-der-Welt-se<strong>in</strong>;<br />
das Dase<strong>in</strong> ist als solches transzen<strong>die</strong>rend; es hat das Seiende, und<br />
zwar <strong>in</strong> der dreifachen Richtung -der Streuung je schon über-<br />
§ J9. Grundfragen des pr<strong>in</strong>zipiellen Problems 353<br />
sprungen, d. h. es verhält sich nicht nur überhaupt als erschlossenes<br />
zum Seienden im Ganzen, sondern dar<strong>in</strong> liegt: Es hält sich<br />
im Se<strong>in</strong>sverständnis, und <strong>die</strong>ses ist sogar Bed<strong>in</strong>gung der Möglichkeit<br />
des genannten Verhaltens. Es ist nicht e<strong>in</strong> psychisches<br />
Subjekt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Inneren des Bewußtse<strong>in</strong>s (etwas Subjektives)<br />
und hat auch Beziehung zu Objekten. Subjektiv und objektiv s<strong>in</strong>d<br />
<strong>die</strong> Bestand-teile, weil sie als Verhaltungen des Dase<strong>in</strong>s auf dem<br />
Grunde der Transzendenz desselben sich halten, und zwar liegt<br />
vor allem <strong>die</strong>sem ontischen Verhalten, was Dilthey überhaupt<br />
nicht sieht, schon Ontologisches zugrunde.<br />
Die Möglichkeit und Notwendigkeit von Weltanschauung,<br />
d. h. ihr Wesen begründet sich <strong>in</strong> der Transzendenz des Dase<strong>in</strong>s,<br />
und man kann nicht nur, sondern muß h<strong>in</strong>ter <strong>die</strong> Tatsachen des<br />
Bewußtse<strong>in</strong>s zurückfragen, sofern e<strong>in</strong>e Tatsache überhaupt<br />
nichts hergibt <strong>in</strong> der Richtung der Erkenntnis, <strong>die</strong> Dilthey<br />
selbst anstrebt, wenn er <strong>die</strong> Struktur der Welt aus dem Seelenleben<br />
verstehen will.<br />
Aber selbst das genügt nicht, daß man gegen Dilthey lediglich<br />
im Unterschied zu e<strong>in</strong>er positivistischen psychologischen<br />
Beschreibung auf <strong>die</strong> ontologische Wesensklärung h<strong>in</strong>weist,<br />
sondern es bedarf der grundsätzlichen Überlegung, <strong>die</strong> wir <strong>in</strong><br />
der sechsten Frage zum Ausdruck brachten:<br />
6. Wie muß das Dase<strong>in</strong> grundsätzlich <strong>in</strong> den Blick genommen<br />
werden, um <strong>die</strong> Urstruktur sichtbar zu machen? Darauf wurde<br />
bereits Antwort gegeben durch <strong>die</strong> volle Wesens<strong>in</strong>terpretation<br />
der Transzendenz, wobei es galt, <strong>die</strong> im Se<strong>in</strong> des Dase<strong>in</strong>s liegende<br />
Schärfe, <strong>die</strong> Nichtigkeit und Haltlosigkeit herauszustellen;<br />
negativ: <strong>die</strong> Se<strong>in</strong>sverfassung hat weder ontische Bestandteile<br />
und letzte Tatsachen, noch aber auch nur e<strong>in</strong>e harmlose<br />
<strong>in</strong>differente ontologische Struktur, sondern <strong>die</strong> Verfassung des<br />
Dase<strong>in</strong>s ist am Se<strong>in</strong> deshalb wesenhaft mitbeteiligt. Die Verfassung<br />
ist ke<strong>in</strong> Rahmen, sondern <strong>die</strong> Art und Weise, wie das Se<strong>in</strong><br />
des Dase<strong>in</strong>s sich zeitigt.<br />
Abschließend können wir gegenüber Dilthey, dessen Vorstoß<br />
zur Wesensklärung der Welt nicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Bedeutung ge-