Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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262 Weltanschauung und Weltbegriff<br />
schauen und Denken. Endliches Erkennen ist nicht nur Anschauen<br />
als S<strong>in</strong>nlichkeit, sondern ist auch angewiesen auf das<br />
Denken. Das Denken selbst ist etwas Endliches, und zwar aus<br />
e<strong>in</strong>em wesentlich tieferen Grund als dem, den Thomas von<br />
Aqu<strong>in</strong> anführt, daß nämlich das Denken durch <strong>die</strong> Sukzession<br />
charakteri~iert ist, daß das Denken, aber auch <strong>die</strong> Anschauung<br />
<strong>in</strong> der Sukzession verläuft. Vielmehr besteht <strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Endlichkeit<br />
des Denkens im Folgenden: Alles Denken ist Urteilen<br />
oder Bestimmen von etwas als etwas. Wenn ich im Denken<br />
etwas bestimme, so kann ich das zu Bestimmende, d. h. den<br />
Gegenstand, nicht so bestimmen, daß ich lediglich ihn als solchen<br />
anstarre, s~ndern ich muß ihn bestimmen im H<strong>in</strong>blick auf<br />
etwas. Wenn ich sage, <strong>die</strong>ses D<strong>in</strong>g ist rot, so schöpfe ich <strong>die</strong>sen<br />
Charakter, daß es rot ist, aus dem anschaulich gegebenen D<strong>in</strong>g<br />
selbst. Aber ich verstehe <strong>die</strong>se Erkenntnis nur, wenn ich weiß,<br />
was Farbe ist, ohne daß ich den Begriff der Farbe habe, d. h.<br />
wenn ich <strong>in</strong> der Anschauung den Satz expliziere, so nehme ich<br />
den H<strong>in</strong>blick auf <strong>die</strong> Farbe, etwas als etwas. Alles denkende<br />
Bestimmen als Bestimmen von etwas als etwas m1)ß notwendig<br />
den H<strong>in</strong>blick nehmen auf etwas, mit Bezug worauf der vorliegende<br />
Gegenstand bestimmbar wird. Das Denken ist nicht<br />
Anschauung, sondern muß den Umweg über den H<strong>in</strong>blick machen,<br />
aus dem her es bestimmt ist. Das Denken als Prädizierung<br />
ist nach Kant nicht unmittelbar, sondern mittelbar. Es ist se<strong>in</strong>em<br />
Wesen nach umwegig. So ergibt sich e<strong>in</strong>e doppelte Endlichkeit<br />
<strong>in</strong> der Erkenntnis, nicht nur Endlichkeit der Anschauung<br />
und Endlichkeit des Denkens als solche, sondern, was <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>s damit ist, e<strong>in</strong>e Angewiesenheit aufe<strong>in</strong>ander.<br />
3. These: Was ist das Erkennbare selbst, sofern es durch endliche<br />
Erkenntnis erkennbar ist, und was ist das Erkennbare der<br />
endlichen Erkenntnis im Unterschied zum Erkennbaren der<br />
göttlichen Erkenntnis? Wir haben e<strong>in</strong>erseits <strong>die</strong> endliche Erkenntnis,<br />
andererseits <strong>die</strong> absolute Erkenntnis. Der Gegenstand<br />
der endlichen Erkenntnis wird von Kant Ersche<strong>in</strong>ung genannt.<br />
Den Gegenstand der absoluten:--Erkenntnis nennt er D<strong>in</strong>g an<br />
§ J4. Kants Weltbegriff 263<br />
sich. Dieses Verhältnis drückt sich dar<strong>in</strong> aus, daß das D<strong>in</strong>g nicht<br />
relativ auf e<strong>in</strong> endliches Wesen ist, sondern das D<strong>in</strong>g an sich ist<br />
relativ auf das Absolute. Der Gegenstand der endlichen Erkenntnis<br />
ist Ersche<strong>in</strong>ung. Um <strong>die</strong>sen Begriff wurde aber e<strong>in</strong>e<br />
große Verwirrung angestiftet, zumal da sich <strong>die</strong> Psychologie<br />
<strong>die</strong>ses D<strong>in</strong>ges an sich bemächtigte.<br />
Kant nennt den Gegenstand der endlichen Erkenntnis deshalb<br />
Ersche<strong>in</strong>ung, weil das Seiende für e<strong>in</strong> endliches Wesen nur<br />
dadurch zugänglich ist, daß es sich zeigt. Der Gegenstand der<br />
endlichen Erkenntnis ist Ersche<strong>in</strong>ung, heißt, er ist das sich Zeigende,<br />
d. h. e<strong>in</strong> solches, das notwendig sich zeigen muß. Dar<strong>in</strong><br />
1st beschlossen, daß das endliche Wesen das Seiende soweit erkennen<br />
kann, als das Seiende sich zeigen kann, und wie es sich<br />
für <strong>die</strong>ses bestimmte Wesen Mensch zeigen kann. Aber nun ist<br />
für das Verständnis des ganzen Problems <strong>die</strong> Frage des Verhältnisses<br />
von Ersche<strong>in</strong>ung und D<strong>in</strong>g an sich wichtig, und damit<br />
begirmt erst <strong>die</strong> Konfusion. Das D<strong>in</strong>g an sich und <strong>die</strong> Ersche<strong>in</strong>ung<br />
dürfen nur verstanden werden <strong>in</strong> Bezogenheit auf <strong>die</strong><br />
endliche und absolute Erkenntnis. Wenn man das herausstreicht,<br />
ist es hoffnungslos, etwas zu verstehen. Die Probe dafür<br />
liegt dar<strong>in</strong>, Aufschluß zu geben, welches Verhalten sich beiden<br />
zuordnet. Man spricht gewöhnlich von Ersche<strong>in</strong>ungen wie<br />
Himmelsersche<strong>in</strong>ungen, Phantomen, Kometen. H<strong>in</strong>ter den Ers{'he<strong>in</strong>ungen<br />
liegt eigentlich das D<strong>in</strong>g an sich. Daß wir nicht<br />
dah<strong>in</strong>terkommen, das hat Kant geleugnet. In der Tat liegt <strong>die</strong>ser<br />
Unterschied nicht so ganz zu Tage. Aber <strong>die</strong> entscheidende E<strong>in</strong>sicht<br />
liegt nun dar<strong>in</strong>: Ersche<strong>in</strong>ung ist das sich zeigende Seiende<br />
selbst, also nicht etwas, was auftaucht, sondern das Seiende<br />
selbst. Kant sagt: <strong>die</strong>se Kreide ist e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung, etwas für<br />
sich selbst Vorhandenes. Kant ist es nie e<strong>in</strong>gefallen, daß <strong>die</strong><br />
Kreide nicht wirklich wäre, sondern e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bildung des SubjE'kts.<br />
Diese Kreide ist etwas Vorhandenes, das sich zeigt, e<strong>in</strong><br />
Ersche<strong>in</strong>endes, e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ung. Das D<strong>in</strong>g an sich nun ist nicht<br />
etwas, 'was h<strong>in</strong>ter der Kreide ist, sondern das D<strong>in</strong>g an sich ist<br />
<strong>die</strong>se selbe Kreide, <strong>die</strong> wir sehen, nur jetzt gedacht als Gegen-