Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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358 Das Problem der Weltanschauung<br />
mon, der sich des e<strong>in</strong>zelnen annimmt oder ihn bedroht. Die<br />
Vorstellung von Seele und Geist ist nicht erwachsen durch Anwendung<br />
des Substanzbegriffes auf <strong>in</strong>nere seelische Wesen,<br />
sondern aus <strong>die</strong>sem Durchwaltetse<strong>in</strong> vom Seienden und Ausgesetztse<strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>er Übermacht. In <strong>die</strong>sem Durchherrschtse<strong>in</strong> von<br />
der Übermächtigkeit des Seienden ist begründet, daß dem Dase<strong>in</strong>,<br />
das als solches sich nicht erkennt, es selbst sich als etwas<br />
Fremdes bekundet. Das Seiende im Ganzen hat den Charakter<br />
der Übermächtigkeit.<br />
Das Se<strong>in</strong> alles Seienden wird <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne verstanden, das<br />
In-der-Welt-se<strong>in</strong> als <strong>die</strong>ses Ausgeliefertse<strong>in</strong> an <strong>die</strong> Übermacht<br />
des Seienden, mit den Grundweisen des Getragense<strong>in</strong>s von ihm<br />
und Bedrohtse<strong>in</strong>s durch es. Alle Bezüge des Dase<strong>in</strong>s und alles<br />
Seiende, dazu es sich verhält, werden aus <strong>die</strong>sem Verständnis des<br />
Se<strong>in</strong>s als Übermächtigkeit gedeutet: Raum, Zeit, Zahl, Kausalität,<br />
das Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> und das Seiende im Ganzen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Herkunft und se<strong>in</strong>em Geschehen.<br />
Man hat neuerd<strong>in</strong>gs <strong>die</strong>sen Zusammenhängen e<strong>in</strong>e größere<br />
Aufmerksamkeit zugewendet <strong>in</strong> Untersuchungen, <strong>die</strong> sich auf<br />
<strong>die</strong> Erkenntnis des Mythos und des mythischen Dase<strong>in</strong>s erstrekken.<br />
Cassirer hat versucht, das mythische Dase<strong>in</strong>, 'Oder wie er<br />
sagt, das mythische Denken, zu <strong>in</strong>terpretieren. I Er ist dabei vor<br />
allem e<strong>in</strong>gegangen auf e<strong>in</strong>e Interpretation dessen, was wir heute<br />
an ethnologischen Kenntnissen von den primitiven Völkern<br />
haben. In allen Mythologien bedeutet Se<strong>in</strong> nichts anderes als<br />
Übermacht, Mächtigkeit. In <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>ne müssen <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Wörter der Primitiven gefaßt werden: Mana, Wakanda,<br />
Orenda, Manitu. Cassirer hat ausgedehntes Material der Ethnologie<br />
benutzt, aber dabei doch zu sehr <strong>die</strong>se Bezirke, und gar<br />
nicht <strong>die</strong> große und reichere Mythologie etwa der Griechen.<br />
Der Mythos kennzeichnet e<strong>in</strong>e Grundmöglichkeit des Inder-Welt-se<strong>in</strong>s;<br />
das heißt aber: Zu ihm gehört e<strong>in</strong> ganz be-<br />
1 Vgl. Ernst Cassirer, <strong>Philosophie</strong> der symbolischen Formen. 2. Teil: Das<br />
mythIsche Denken. Berl<strong>in</strong> 1925. Vgl. DLZ 1928, Heft 21.<br />
§ 41. Zwei Grundmöglichkeiten der Weltanschauung 359<br />
stimmtes, obzwar abwandelbares Sichhalten im In-der-Weltse<strong>in</strong>,<br />
e<strong>in</strong>e ganz bestimmte Weltanschauung. Sofern <strong>die</strong>se uns<br />
gleichsam auf e<strong>in</strong>e Halt-Iosigkeit antwortet, ist <strong>die</strong> wesentliche<br />
Frage: Wie ist dem mythischen Dase<strong>in</strong> überhaupt <strong>die</strong> Haltlosigkeit<br />
des Dase<strong>in</strong>s offenbar? Darauf ist zu antworten: <strong>in</strong> der<br />
Weise der Ungeborgenheit. Weil das mythische Dase<strong>in</strong> an <strong>die</strong><br />
Übermächtigkeit des Seienden ausgeliefert ist, ist es <strong>in</strong> solchem<br />
Ausgesetztse<strong>in</strong> zugleich immer vom Seienden benommen. Ausgesetztse<strong>in</strong><br />
ist wesentlich für das Existenzverständnis. Das Dase<strong>in</strong><br />
hat daher <strong>die</strong> Tendenz, im Seienden selbst aufzugehen.<br />
Denn auch das eigene Selbst ist noch nicht als solches verstanden,<br />
sondern e<strong>in</strong>er Macht überantwortet, <strong>die</strong> <strong>die</strong>selbe ist, <strong>die</strong> das<br />
Ganze des Seienden durchherrscht. Das Se<strong>in</strong> ist unartikuliert,<br />
aber <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Unbestimmtheit ist das Seiende um so mächtiger<br />
und e<strong>in</strong>heitlich durchdr<strong>in</strong>gender. »Pantheismus« und dergleichen<br />
s<strong>in</strong>d alles schlechte Namen und Begriffe, theologisch, aber<br />
nicht ontologisch metaphysisch erhellend. Dieses Benommense<strong>in</strong><br />
aber darf nicht etwa als e<strong>in</strong> Schlafzustand oder e<strong>in</strong>e<br />
Trunkenheit genommen werden, sondern <strong>in</strong> der spezifischen<br />
Wachheit des Ausgeliefertse<strong>in</strong>s an das Übermächtige bekundet<br />
sich <strong>die</strong>ses immer zugleich als bedrohend. Das Dase<strong>in</strong> ist von<br />
der Übermacht umgetrieben. Die Halt-Iosigkeit ist Schutzlosigkeit<br />
im Ausgeliefertse<strong>in</strong>, und das Sichhalten <strong>in</strong> solchem Inder-Welt-se<strong>in</strong><br />
ist e<strong>in</strong> Sichhalten <strong>in</strong> der Ungeborgenheit, d. h. e<strong>in</strong><br />
Sichbergen, sich Schutz, Kraft und Macht verschaffen. Daher<br />
kommt <strong>die</strong> zentrale Bedeutung der Magie und des Zaubers und<br />
<strong>die</strong> entsprechenden Formen der Opfer und Kulte, der Vegetationsriten.<br />
" '"<br />
Die Haltlosigkeit des In-der-Welt-se<strong>in</strong>s ist offenbar als Ungeborgenheit<br />
des Dase<strong>in</strong>s. Der Charakter des Haltes, der sich<br />
demgemäß für das Sichhalten <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Haltlosigkeit ausbildet,<br />
istr<strong>die</strong> Geborgenheit, <strong>die</strong> Bergung im Seienden im Ganzen, von<br />
dem das Dase<strong>in</strong> durch waltet ist und wozu es sich verhält. Die<br />
erste Grundmöglichkeit der Weltanschauung ist demnach dadurch<br />
gekennzeichnet, daß der Halt den Charakter der Bergung