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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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246 Weltanschauung und Weltbegriff<br />

ke<strong>in</strong>e Theologie der Schrift, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Offenbarung als Erkenntnisquelle<br />

hat, sondern e<strong>in</strong>e Erkenntnis Gottes aus bloßer Vernunft.<br />

Wir sehen, daß <strong>die</strong>se Schulmetaphysik dem Grundproblem<br />

der Kritik der re<strong>in</strong>en Vernunft zugrundeliegt und daß ohne den<br />

Aufriß <strong>die</strong>ser Metaphysik <strong>die</strong> Kritik der re<strong>in</strong>en Vernunft nicht<br />

zu verstehen ist. Dieser Aufriß enthält <strong>in</strong> sich <strong>in</strong> der speziellen<br />

Metaphysik <strong>die</strong> Kosmologie oder, wie Crusius deutsch sagt, <strong>die</strong><br />

Weltlehre. Daraus ist zu entnehmen, daß der Weltbegriff gegenüber<br />

der existenziellen Bedeutung bei August<strong>in</strong>us und Thomas<br />

e<strong>in</strong>e Verengung erfahren hat. So def<strong>in</strong>iert Baumgarten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Metaphysik den Begriff mundus so: Mundus - dafür setzt er<br />

auch universum oder ndv - est series (multitudo, totum) actualium<br />

f<strong>in</strong>itorum, quae non est pars alterius. 9 Welt ist hier das All,<br />

das Ganze oder <strong>die</strong> Summe der endlichen D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> Gesamtheit,<br />

<strong>die</strong> nicht mehr Teil e<strong>in</strong>es anderen ist. Dieser Def<strong>in</strong>ition<br />

entnehmen wir e<strong>in</strong> Doppeltes: 1. Welt ist der Titel für das endliche,<br />

d. h. geschaffene Seiende im S<strong>in</strong>ne des ens creatum. 2.<br />

Welt ist e<strong>in</strong> solcher Bereich, der selbst nicht mehr Teil e<strong>in</strong>es<br />

anderen ist.<br />

In der entsprechenden Weise, nur e<strong>in</strong>gehender und philosophisch<br />

selbständiger entwickelt Christian August Crusius den<br />

Begriff der Welt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Metaphysik: »E<strong>in</strong>e Welt heißt e<strong>in</strong>e<br />

solche reale Verknüpfung endlicher D<strong>in</strong>ge, welche nicht selbst<br />

wiederum e<strong>in</strong> Teil von e<strong>in</strong>er andern ist, zu welcher sie vermittelst<br />

e<strong>in</strong>er realen Verknüpfung gehörte.«10 Sofern es sich bei der<br />

Welt um <strong>die</strong> endlichen D<strong>in</strong>ge handelt, ist auch <strong>die</strong>ser Weltbegriff<br />

orientiert am Gegenbegriff Gott. Die Welt ist nun aber<br />

auch unterschieden von e<strong>in</strong>em »e<strong>in</strong>zelnen Geschöpf«, nicht<br />

m<strong>in</strong>der von »mehreren zugleich seienden Geschöpfen«, sofern<br />

9 Alexander Gottlieb Baumgarten, Metaphysica (1739). Zweite Ausgabe<br />

Halle 1743. § 354, S. 87.<br />

10 Chnstian August Crusius, Entwurf der notwendigen VernunftwahrheIten,<br />

<strong>in</strong>wiefern SIe den zufälligen entgegengesetzet werden [d. h. Entwurf aller<br />

rationalen Wahrheiten]. Leipzig 1745,"'§ 350, S. 657.<br />

§ JJ. Was heißt Welt? 247<br />

sie »<strong>in</strong> gar ke<strong>in</strong>er Verknüpfung stehen«. Welt ist ebensowenig<br />

e<strong>in</strong> Zusammenhang von mehreren zugleich seienden endlichen<br />

D<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> zwar <strong>in</strong> Verknüpfung stehen, aber gleichwohl Teil<br />

e<strong>in</strong>er höheren Verknüpfung s<strong>in</strong>d. Welt ist e<strong>in</strong>e reale Verknüpfung<br />

endlicher D<strong>in</strong>ge so, daß <strong>die</strong> Verknüpfungse<strong>in</strong>heit nicht<br />

mehr Teil e<strong>in</strong>es anderen ist.<br />

Es ist nun charakteristisch für <strong>die</strong> Auffassung der Welt bei<br />

Crusius, wie er das Problem e<strong>in</strong>er Weltlehre bestimmt: das Wesen<br />

der Welt <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem S<strong>in</strong>n kann nur aufgeklärt werden auf<br />

Grund von Sätzen aus der allgeme<strong>in</strong>en Metaphysik, d. h. aus der<br />

Ontologie. Sofern es sich nämlich bei der Welt um seiende D<strong>in</strong>ge<br />

handelt, muß <strong>die</strong>ser Gesamtheit der wirklich seienden D<strong>in</strong>ge<br />

als Grundbestimmung all das zukommen, was jedem Seienden<br />

zukommt. Man kann wesentliche Momente dessen, was zu e<strong>in</strong>er<br />

Welt gehört, deduktiv gew<strong>in</strong>nen aus bestimmten Sätzen der<br />

allgeme<strong>in</strong>en Metaphysik. Sofern aber <strong>die</strong> Welt e<strong>in</strong>e Verknüpfung<br />

endlicher, d.h. von Gott geschaffener D<strong>in</strong>ge ist, kann<br />

weiteres ausgemacht werden <strong>in</strong> Orientierung an der rationalen<br />

Theologie, sofern man aus dem Begriff Gottes deduktiv erörtern<br />

kann', was zu e<strong>in</strong>em Seienden gehört, sofern es durch Gott geschaffen<br />

wird. So haben wir hier klar und deutlich den Typus<br />

der rationalen Theologie, <strong>die</strong> Kant e<strong>in</strong>er grundsätzlichen Kritik<br />

unterwirft. Die Weltlehre ist nur möglich, sofern sie gegründet<br />

1st auf <strong>die</strong> allgeme<strong>in</strong>e Lehre vom Wesen des Seienden, <strong>die</strong> Ontologie,<br />

und dann auf <strong>die</strong> natürliche Theologie. Welt ist der<br />

regionale Titel für <strong>die</strong> höchste Verknüpfungse<strong>in</strong>heit der Allheit<br />

des geschaffenen Seienden.<br />

Wir wollen <strong>in</strong> der nächsten Stunde <strong>in</strong> Kürze deutlich machen,<br />

wie Kant <strong>die</strong>sen traditionellen Weltbegriff, den <strong>die</strong> Schulmetaphysik<br />

<strong>in</strong> der Kosmologie entwickelt, zugrundelegt, aber<br />

zugleich wesentlich weitergeht, und wie andererseits bei Kant<br />

auf e<strong>in</strong>e merkwürdige Art und Weise der Weltbegriff zum Vorsche<strong>in</strong><br />

kommt, wie ihn August<strong>in</strong>us als existenziellen exponiert<br />

hat, freilich ohne spezifisch christliche Bestimmung des Menschen.<br />

Wir werden zugleich sehen, wie bei Kant <strong>die</strong>se bei den

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