Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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332 Weltanschauung und In-der-Welt-se<strong>in</strong><br />
sondern ständig nicht mehr existieren kann. Sofern das Verstehen<br />
zum Wesen des Existierens gehört, heißt das: Das Dase<strong>in</strong><br />
existiert ständig entlang <strong>die</strong>sem Rande des Nicht. Das besagt: In<br />
dem Vor-sich-selbst-gestellt-se<strong>in</strong> h<strong>in</strong>sichtlich der eigenen Möglichkeiten<br />
zeigt sich auch immer das Nichtse<strong>in</strong>können. Dieses<br />
Nicht ist ke<strong>in</strong>eswegs etwas, was außerhalb des Dase<strong>in</strong>s liegt und<br />
ihm nur aufgeredet wird, sondern <strong>die</strong>ser Nicht-charakter gehört<br />
zum Wesen se<strong>in</strong>es Se<strong>in</strong>s. Es hat <strong>die</strong>sen Nicht-charakter, ist durch<br />
<strong>die</strong>ses Nicht bestimmt, »nichtig«; aber nichtig heißt hier nicht<br />
»nichts«, sondern umgekehrt: Diese Nichtigkeit, <strong>die</strong> durch das<br />
Gesagte längst nicht erschöpfend gefaßt ist, macht das Positivste<br />
aus, was zur Transzendenz des Dase<strong>in</strong>s gehören kann; ja, gerade<br />
<strong>in</strong> <strong>die</strong>ser ursprünglichen Bestimmung gehen das Umwillen und<br />
<strong>die</strong> Geworfenheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>s zusammen. Wir müssen sie aber nach<br />
e<strong>in</strong>igen Richtungen kennzeichnen, ohne das Problem als Ganzes<br />
zu stellen.<br />
Die Herausstellung <strong>die</strong>ser <strong>in</strong> der Wesensverfassung des Dase<strong>in</strong>s<br />
selbst liegenden Nichtigkeit bedeutet ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong><br />
wertendes für »nichtig« im S<strong>in</strong>ne von belanglos oder gar nichtswürdig<br />
Erklären <strong>die</strong>ses Seienden, sondern es handelt sich darum,<br />
<strong>die</strong> Schärfe, <strong>die</strong> im Dase<strong>in</strong> liegt, ans Licht zu br<strong>in</strong>gen und<br />
zu begreifen, daß das, was wir »Endlichkeit« des Dase<strong>in</strong>s nennen,<br />
nichts ist, was <strong>die</strong>sem Seienden nur äußerlich anklebt und<br />
erst dadurch entsteht, daß es mit anderem, was es nicht ist,<br />
verglichen wird. Allzulange ist <strong>die</strong> Metaphysik genarrt worden<br />
vom Positiven, das auf Grund se<strong>in</strong>es sche<strong>in</strong>baren Vorrangs vor<br />
dem Negativen sich als das Absolute und Ursprüngliche gebärdete.<br />
Demgemäß ist unsere traditionelle Logik, Ontologie und<br />
Kategorienlehre gebaut, und ihre Begriffe tragen nicht weit<br />
genug, um das zu treffen, was wir unter dem Titel »Nichtigkeit«<br />
me<strong>in</strong>en. Die Kennzeichnung der »Endlichkeit« durch das Geschaffense<strong>in</strong><br />
ist nur e<strong>in</strong>e bestimmte Form der Erklärung der<br />
»Endlichkeit«, und zwar e<strong>in</strong>e solche, <strong>die</strong> auf dem Glauben beruht;<br />
sie ist aber ke<strong>in</strong>e Klärung des metaphysischen Wesens der<br />
Endlichkeit als solcher.<br />
§ J7. Konkreteres Verstandnis der Transzendenz 333<br />
Der Nicht-charakter ist also gerade <strong>die</strong> eigentliche Kraft der<br />
Existenz des Dase<strong>in</strong>s; und zwar liegt <strong>die</strong> Nichtigkeit des Dase<strong>in</strong>s<br />
ke<strong>in</strong>eswegs nur <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Geworfenheit, <strong>die</strong> wir kurz so ausdrükken<br />
können: Dase<strong>in</strong> ist ohnmächtig demgegenüber, daß es<br />
überhaupt existiert und nicht nicht existiert.<br />
Die Nichtigkeit liegt schon dort, wo wir sie am wenigsten<br />
vermuten. Früher wurde gezeigt: Gleichursprünglich ist das Dase<strong>in</strong><br />
Se<strong>in</strong> bei ... , Mitse<strong>in</strong> mit ... und Selbstse<strong>in</strong>. Es ist <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser<br />
Weise immer e<strong>in</strong>ig und zumal. Bisher wurde nur Gewicht gelegt<br />
auf <strong>die</strong> Gleichursprünglichkeit <strong>die</strong>ser Verfassungsmomente gegenüber<br />
dem traditionellen Subjektbegriff. Aber <strong>die</strong> nähere<br />
Charakteristik <strong>die</strong>ser Gleichursprünglichkeit wurde nicht gegeben.<br />
Versuchen wir e<strong>in</strong>e solche, dann zeigt sich zunächst <strong>die</strong>s,<br />
daß das Dase<strong>in</strong>, wie wir sagen, <strong>in</strong> <strong>die</strong> Mannigfaltigkeit <strong>die</strong>ser<br />
Bezüge zer-streut ist. Diese Zerstreuung aber ist ke<strong>in</strong>eswegs<br />
e<strong>in</strong>e Auflösung des Dase<strong>in</strong>s <strong>in</strong> ause<strong>in</strong>ander fallende Teile, sondern<br />
gerade umgekehrt: In <strong>die</strong>ser Zer-streuung hat es und<br />
gew<strong>in</strong>nt es se<strong>in</strong>e ihm eigene ursprüngliche ganze E<strong>in</strong>heit. Wir<br />
sprechen daher <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie nicht von e<strong>in</strong>er Zerstreuung <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong>se Bezüge, sondern von e<strong>in</strong>er ursprünglichen Streuung. Diese<br />
Streuung erst ist <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gung der Möglichkeit für e<strong>in</strong>e<br />
Zer-streuung <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, daß das Dase<strong>in</strong> jeweils vorwiegend<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en <strong>die</strong>ser Bezüge sich verlegen kann, aber das immer auf<br />
Kosten des Existierens <strong>in</strong> den anderen.<br />
Das Dase<strong>in</strong> kann sich vorwiegend im Mite<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong> aufhalten,<br />
es kann vorwiegend <strong>in</strong> der Beschäftigung mit Sachen<br />
aufgehen, es kann vorwiegend sich verlieren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Selbstreflexion.<br />
Sofern das Dase<strong>in</strong> wesensmäßig e<strong>in</strong>heitlich im Ganzen<br />
<strong>die</strong>ser Streuung sich hält, muß es sich je so oder so<br />
entscheiden, d.h. es kann sich nie nur für e<strong>in</strong>en Bezug entscheiden,<br />
es sei denn durch Kompromiß, durch e<strong>in</strong>en Ausgleich. In<br />
<strong>die</strong>sem »nie nur das e<strong>in</strong>e« bekundet sich wieder <strong>die</strong> Nichtigkeit<br />
m der Wesensverfassung des Dase<strong>in</strong>s selbst. Es ist zu beachten,<br />
daß das Dase<strong>in</strong> nicht erst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen faktischen Lagen zu dem,<br />
was wir »Kompromiß« nennen, gezwungen wird, sondern we-