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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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42 Die Frage nach dem Wesen der WlSsenschaft<br />

§' 9. Neue Bes<strong>in</strong>nung über das Wesen der Wissenschaft<br />

43<br />

Geisteswissenschaften rechnen? Sie hat auch Institute und sogar<br />

»Instrumente« wie Cembalo oder Hammerklavier, <strong>die</strong> aber offenbar<br />

e<strong>in</strong>e ganz andere Funktion als etwa e<strong>in</strong> Elektroskop oder<br />

e<strong>in</strong> Thermometer haben. Im Grunde benötigen aber alle Wissenschaften<br />

technisches Handwerkszeug - und wenn es nur<br />

Bücher s<strong>in</strong>d. Wissenschaft ist das <strong>in</strong> Büchern Gedruckte. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

hat das Buch <strong>in</strong> der Philologie e<strong>in</strong>e andere Funktion als<br />

das Bürgerliche Gesetzbuch <strong>in</strong> der Rechtswissenschaft oder <strong>die</strong><br />

Bibel <strong>in</strong> der Theologie. Es ist fraglich, ob mit <strong>die</strong>sem Handwerkszeug,<br />

den Büchern - doch nicht alle Bücher s<strong>in</strong>d Handwerkszeug<br />

-, das Wesen der Wissenschaft gekennzeichnet ist.<br />

Vielleicht folgt aus dem Wesen der Wissenschaft, daß sie auf<br />

e<strong>in</strong>e solche Technik, auf Institute, Bücher, Apparate angewiesen<br />

ist; aber <strong>die</strong> Wesensfolge ist nicht das Wesen selbst, und so kann<br />

der H<strong>in</strong>weis auf <strong>die</strong> technische Konkretion <strong>in</strong> der Wissenschaft<br />

sehr wesentlich und doch nur äußerlich se<strong>in</strong>. Wir verlangen<br />

demgegenüber aber e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Bestimmung des Wesens und<br />

f<strong>in</strong>den sie vielleicht, wenn wir fragen, wozu <strong>die</strong> ganze Apparatur<br />

<strong>die</strong>nt.<br />

Die Apparate haben nur S<strong>in</strong>n und Zweck im Dienste der<br />

Forschung. Das Forschen ist e<strong>in</strong> Erkennenwollen nicht beliebiger<br />

Art und nicht mit Bezug auf beliebige Objekte, sondern<br />

untersuchendes Erkennen, das methodisch und systematisch im<br />

Umkreis e<strong>in</strong>er Ordnung von bestimmt umgrenzten Fragen vorgeht<br />

und vor allem auf e<strong>in</strong>e Erkenntnis abzielt, <strong>die</strong> möglichst<br />

exakt bewiesen und allgeme<strong>in</strong>gültig ausgearbeitet werden soll.<br />

a) Wissenschaft als methodische, systematische, exakte und<br />

allgeme<strong>in</strong>gültige Erkenntnis<br />

Die Prädikate a.XQLßiJr; und xm't6Ä.ou s<strong>in</strong>d von alters her der Erkenntnis<br />

der Wissenschaft zugesprochen worden. So können wir<br />

sagen: Wissenschaft ist methodische, systematische, exakte und<br />

allgeme<strong>in</strong>gültige Erkenntnis. Gerade <strong>die</strong> heiden letzten Prädikate<br />

gelten von jeher als auszeichnende Bestimmungen der<br />

vVIssenschaft. Man beruft sich oft auf Kant, der e<strong>in</strong>mal sagte:<br />

»Ich behaupte aber, daß <strong>in</strong> jeder besonderen Naturlehre nur<br />

sovIel eIgentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als<br />

dann l\1athematik anzutreffen ist.«! E<strong>in</strong>e Wissenschaft ist nur<br />

soweIt wissenschaftlich, als sie mathematisierbar ist. Also s<strong>in</strong>d<br />

dIe Geisteswissenschaften überhaupt ke<strong>in</strong>e Wissenschaften, sofern<br />

SIe sich der Mathematisierung grundsätzlich widersetzen.<br />

Andererseits ist Mathematik dann <strong>die</strong> eigentliche Wissenschaft,<br />

denn SIe ist ja doch <strong>die</strong> exakteste und ihre Ergebnisse s<strong>in</strong>d<br />

schlechthm allgeme<strong>in</strong>gültig. So lautet <strong>die</strong> landläufige Auslegung<br />

des kantischen Satzes. Ob aber all das aus <strong>die</strong>sem Satz<br />

folgt, Ja ob er, recht besehen, überhaupt den S<strong>in</strong>n hat, den man<br />

ihm dabei gibt, wird sich später zeigen.<br />

Exaktheit gilt als Kennzeichen der Wissenschaft, und exakte<br />

BeweIse smd Ziel und Stolz wissenschaftlicher Begründung. Die<br />

ExaktheIt aber beruht auf dem mathematischen Charakter der<br />

betreffenden Wissenschaft. Dieser mathematische Charakter<br />

kann Jedoch e<strong>in</strong>er Wissenschaft nicht e<strong>in</strong>fach aufgezwungen<br />

werden, weil man sich vorgenommen hat, sie als e<strong>in</strong>e exakte<br />

auszubilden. Was <strong>in</strong> der betreffenden Wissenschaft Gegenstand<br />

werden soll, muß von sich aus allererst e<strong>in</strong>e mathematische<br />

Bestimmbarkeit zulassen oder abweisen.<br />

Wenn so <strong>die</strong> Möglichkeit der Mathematisierung e<strong>in</strong>er Wissenschaft<br />

im Sachgehalt und <strong>in</strong> der Se<strong>in</strong>sart des GegenstandsgebIetes<br />

liegt, dann bedarf es über<strong>die</strong>s aber noch der Motivierung<br />

der Notwendigkeit e<strong>in</strong>er solchen. So gewähren <strong>die</strong><br />

Lebewesen als ausgedehnte Körper e<strong>in</strong>e gewisse mathematische<br />

Bestimmbarkeit, aber <strong>die</strong> unbegrenzte Verwirklichung <strong>die</strong>ser<br />

V10glJchkeit wäre e<strong>in</strong> Verfehlen der Absicht, den Organismus als<br />

solchen zu erfassen und zu bestimmen. Exaktheit der ErkenntnIs<br />

kann also mit Bezug auf den zu erkennenden Gegenstand<br />

I lmmanuel Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.<br />

\orrpdC', \ IX In: Immanuel Kants Werke, hrsg. von Ernst Cassirer. Band IV,<br />

ßprhn 1922, S. 372.

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