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Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe

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230 Weltanschauung und Weltbegriff<br />

daß der zweite Weg durchaus nicht parallel geht mit dem ersten,<br />

weder nach Gehalt noch nach Behandlungsart des Problems. Äußerlich<br />

haben sie nur <strong>die</strong> Geme<strong>in</strong>samkeit, daß wir auch hier<br />

zunächst fragen müssen: Was ist Weltanschauung? Schon wenn<br />

wir <strong>die</strong> Frage nur obenh<strong>in</strong> stellen, merken wir: Das, wonach da<br />

gefragt wird, Weltanschauung, ist e<strong>in</strong> sehr viel breiteres" vielgestaltigeres,<br />

universaleres, aber auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Grenzen wieder<br />

verschwimmenderes Phänomen als <strong>die</strong> Wissenschaft.<br />

a) Das Wort >Weltanschauung<<br />

Schon <strong>die</strong> Bezeichnung »Weltanschauung« ist dunkel und leicht<br />

irreleitend. Dazu kommt, daß das Wort selbst e<strong>in</strong>e spezifisch<br />

deutsche Prägung des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist. Es hat<br />

<strong>in</strong> anderen Sprachen und <strong>in</strong> früheren Zeiten ke<strong>in</strong>e Entsprechung,<br />

was freilich nicht heißt, daß das, was damit geme<strong>in</strong>t ist,<br />

nicht auch außerhalb des deutschen Sprachgebiets und <strong>in</strong> früherer<br />

Zeit, vor der Prägung, wirklich gewesen wäre. Denn daß<br />

<strong>die</strong> nächste Wortbedeutung nicht ohne weiteres schon den eigentlich<br />

geme<strong>in</strong>ten S<strong>in</strong>n hergibt, zeigt <strong>die</strong> erste Verwendung<br />

des Wortes, <strong>die</strong> noch nicht <strong>die</strong> Bedeutung kennt, <strong>die</strong> es heute<br />

hat.<br />

Soweit wir sehen, taucht das Wort zum erstenmal <strong>in</strong> Kants<br />

Kritik der Urteilskraft auf, und zwar als Anschauung und Betrachtung<br />

der s<strong>in</strong>nlich gegebenen Welt, des mundus sensibilis,<br />

also schlichte Auffassung der Natur im weitesten S<strong>in</strong>ne. In <strong>die</strong>ser<br />

Bedeutung gebrauchen das Wort Goethe und Alexander von<br />

Humboldt. Dieser Gebrauch des Wortes im S<strong>in</strong>ne von Betrachtung<br />

der Natur stirbt bald ab, und zwar unter dem E<strong>in</strong>fluß e<strong>in</strong>er<br />

Bedeutung des Wortes, <strong>die</strong> es durch <strong>die</strong> Romantik erhält. Das<br />

wird sichtbar aus e<strong>in</strong>em Gebrauch des Ausdrucks Weltanschauung<br />

bei Schell<strong>in</strong>g im »Entwurf e<strong>in</strong>es Systems der Naturphilosophie«,<br />

1799: »Die Intelligenz [d.h. der Geist] ist auf doppelte<br />

Art, entweder bl<strong>in</strong>d und bewußtlos, oder frei und mit Bewußtseyn<br />

produktiv; bewußtlos produktiv <strong>in</strong> der Weltanschauung,<br />

§ J2. Was ist Weltanschauung? 231<br />

mit Bewußtseyn <strong>in</strong> dem Erschaffen e<strong>in</strong>er ideellen Welt.«! Hier<br />

ist also Weltanschauung nicht dem s<strong>in</strong>nlichen Betrachten der<br />

Natur zugewiesen, sondern sie ist e<strong>in</strong>e Handlung der Intelligenz,<br />

wenngleich der bewußtlosen, aber doch e<strong>in</strong>e produktive<br />

Handlung, d.h. e<strong>in</strong> produktives Bilden e<strong>in</strong>es Weltbildes. Schell<strong>in</strong>g<br />

spricht sogar von e<strong>in</strong>em Schematismus der Weltanschauung,<br />

'von e<strong>in</strong>er schematischen Form für verschiedene mögliche<br />

Weltanschauungen, d. h. Weisen des produktiven Auffassens und<br />

Deutens des Ganzen des Seienden. Dabei ist <strong>die</strong>se produktive<br />

Bildung e<strong>in</strong>es Weltbildes nicht etwa nur e<strong>in</strong> theoretischer Akt.<br />

Hegel spricht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Phänomonologie des Geistes e<strong>in</strong>ige Jahre<br />

später von e<strong>in</strong>er moralischen Weltanschauung. So sehen wir,<br />

daß der Titel Weltanschauung nichts mehr geme<strong>in</strong> hat mit der<br />

Bedeutung des Wortes bei Kant. Görres gebraucht <strong>die</strong> Wendung<br />

»politische Weltanschauung«. Der Historiker Ranke spricht von<br />

e<strong>in</strong>er religiösen und christlichen Weltanschauung. Bald ist dann<br />

auch <strong>die</strong> Rede von demokratischer, pessimistischer oder mittelalterlicher<br />

Weltanschauung. Bismarck sagt: »Es gibt doch wunderliche<br />

Weltanschauungen bei sehr klugen Leuten.« In <strong>die</strong>ser<br />

Redeweise sehen wir schon den heutigen Gebrauch <strong>in</strong> der weiten,<br />

aber auch dunklen und zunächst schwer faßbaren Bedeutung-des<br />

Wortes Weltanschauung.<br />

Es wird <strong>die</strong> Aufgabe se<strong>in</strong>, uns zunächst durch <strong>die</strong>sen verschwimmenden<br />

und vieldeutigen Begriff h<strong>in</strong>durchzutasten zu<br />

dem, was wir unbestimmt, doch mit e<strong>in</strong>er gewissen Sicherheit<br />

me<strong>in</strong>en, wenn wir von Weltanschauung heute sprechen. Zwar<br />

wissen wir alle, was wir me<strong>in</strong>en, wenn wir etwa bestimmte<br />

Aussagen von anderen als Ausdruck ihrer Weltanschauung erkennen,<br />

als Überzeugungen, <strong>die</strong> sich nicht mehr objektiv wissenschaftlich<br />

diskutieren und beweisen lassen. Wir merken<br />

1 F.W.J. Schell<strong>in</strong>g, <strong>E<strong>in</strong>leitung</strong> zu dem Entwurf e<strong>in</strong>es Systems der NaturphIlosphie<br />

(1799). Fnedrich Wilhelm Joseph von Schell<strong>in</strong>gs sämmtliche<br />

Wt'rke. Herausgegeben von Karl Friedrich August Schell<strong>in</strong>g (1856-1861). Erste<br />

\bteIlung, Dritter Band. J. G. Cotta'scher Verlag, Stuttgart und Augsburg 1858,<br />

S 271.

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