Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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38 Die Frage nach dem Wesen der Wissenschaft<br />
und brauchbare Resultate f<strong>in</strong>det. Doch am Ende ist der sachliche<br />
Fortschritt im Bereich der Tatsachen, den man so wichtig<br />
nimmt, gerade der Grund für <strong>die</strong>ses Nichtsanfangenkönnen mit<br />
e<strong>in</strong>er grundsätzlichen Bes<strong>in</strong>nung, zugleich auch der Grund für<br />
<strong>die</strong> <strong>in</strong>nere Not der Wissenschaft, <strong>die</strong> man sich selten ganz offen<br />
e<strong>in</strong>gesteht, <strong>die</strong> aber <strong>in</strong> all <strong>die</strong> Auswege h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>treibt, <strong>die</strong> wir<br />
andeuteten.<br />
So weicht man selbst <strong>die</strong>ser <strong>in</strong>neren Krisis der Wissenschaft<br />
aus, weil man schon gar nicht versteht, wie hier ernsthaft und<br />
fruchtbar gefragt werden kann. Vielleicht ist es <strong>in</strong> der Tat so,<br />
daß weder <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelne Wissenschaft von sich aus <strong>in</strong> der üblichen<br />
Selbstkenntnis noch e<strong>in</strong>e von außen herangebrachte <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>die</strong> Krisis auch nur wecken kann. Mit <strong>die</strong>sem Entweder-Oder<br />
wird <strong>die</strong> Wurzel der Krisis überhaupt nicht erreicht.<br />
Die Frage bleibt freilich, ob es nur das Versagen der <strong>Philosophie</strong><br />
auf der e<strong>in</strong>en und das Nichtwollen der Wissenschaft auf der<br />
anderen Seite s<strong>in</strong>d, was <strong>die</strong> echte Krisis nicht wach werden läßt,<br />
- oder aber ob es daran liegt, daß sowohl <strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong> als<br />
auch <strong>die</strong> Wissenschaften mit e<strong>in</strong>er Wissenschaftsidee operieren,<br />
<strong>die</strong> nicht zureicht, das Problem zu verstehen. Das letztere ist <strong>in</strong><br />
der Tat der FalL<br />
Wir stehen nicht so ursprünglich <strong>in</strong> der Wissenschaft, um ihre<br />
Krisis von Grund aus zu fassen, d.h. von ihr selbst kritisch im<br />
ernsten S<strong>in</strong>ne erlaßt zu werden. Wir haben <strong>die</strong> Wissenschaft<br />
nicht so elementar und durchsichtig zu eigen, um <strong>in</strong> der Wissenschaft<br />
selbst an deren Grenzen stoßen zu können, um an<br />
<strong>die</strong>sen Grenzen der Wissenschaft das zu verstehen, warum sie<br />
nicht zufällig, sondern notwendig als Wissenschaft umgrenzt<br />
ist. Solange es nicht dah<strong>in</strong> kommt, daß <strong>die</strong> Forscher <strong>in</strong> den<br />
e<strong>in</strong>zelnen Wissenschaften e<strong>in</strong>sehen, daß sie mit den Mitteln<br />
ihrer Wissenschaft <strong>die</strong>se grundsätzlich nie begreifen und auf<br />
den Grund br<strong>in</strong>gen können, solange ist alle Grundlagenforschung<br />
vergeblich. Die Mathematik läßt sich nicht mathematisch<br />
begreifen, und das Wesen der Philologie werden ke<strong>in</strong>e<br />
Philologen mit philologischen Methoden aufhellen.<br />
§ 8. Frage nach der Wissenschaft aus ihrer Krisis 39<br />
Wir müssen erst verstehen lernen, was Grundlage e<strong>in</strong>er Wissenschaft<br />
heißt und <strong>in</strong>wiefern Krisis der Grundlage gerade <strong>die</strong><br />
wesenhaften Grenzen der Wissenschaft als solcher offenbart.<br />
Ob <strong>die</strong> Krisis der Wissenschaften heute öffentlich weiter verhandelt<br />
wird oder nicht und wie, ist nicht wesentlich; entscheidend<br />
aber ist, ob wir willens und stark genug s<strong>in</strong>d, uns für den<br />
Durchgang oder besser E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> <strong>die</strong> Krisis vorzubereiten.<br />
Denn <strong>die</strong> Krisis soll nicht überwunden, sondern lebendig werden,<br />
und nicht dazu, daß Wissenschaften nur besser und <strong>in</strong> ihren<br />
Fortschritten ungehemmter und schneller würden, sondern<br />
dazu, daß <strong>die</strong> Wissenschaften überhaupt so existent werden<br />
können, wie sie es ihrem Wesen nach wollen.<br />
Aber <strong>die</strong>se Wandlung <strong>in</strong> der Stellung der Existenz zur Wissenschaft<br />
ist nicht Sache der Organisation und des Betriebs, und<br />
sie kommt nicht über Nacht. Es ist charakteristisch für <strong>die</strong> heutige<br />
Zeit, daß, selbst wenn wir gewisse echte Möglichkeiten und<br />
Aufgaben begriffen haben, wir noch nicht gelernt haben, was zu<br />
ihrer Verwirklichung gehört. Wir können nicht mehr warten,<br />
und das heißt, wir haben verlernt, daß <strong>die</strong> erste Aufgabe jeder<br />
Generation, <strong>die</strong> etwas will, dar<strong>in</strong> besteht, daß sie sich für <strong>die</strong><br />
kommende opfert, ohne Resignation, vielmehr mit der <strong>in</strong>neren<br />
Kraft und Sicherheit dessen, der begriffen hat, daß <strong>in</strong> allen<br />
echten menschlichen Leistungen jeder für jeden »nur« Vorläufer<br />
se<strong>in</strong> kann.<br />
Wesentlich ist nicht Programm und Betrieb, sondern das <strong>in</strong>nere<br />
Wachstum der Geschichte <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>zelnen Generation. Es<br />
gilt, nicht zu reden, sondern zu wirken. Wie, das versuchen wir<br />
zu verstehen. Ob Sie es verstehen und wirklich handeln, habe<br />
ich nicht <strong>in</strong> der Hand. Nur das e<strong>in</strong>e mag noch gesagt se<strong>in</strong>, bevor<br />
wir aufhören, über <strong>die</strong> Krisis zu sprechen: Es wäre bl<strong>in</strong>der Eifer,<br />
wenn Sie nun zum Beispiel <strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>arübungen Ihres Faches<br />
plötzlich anf<strong>in</strong>gen zu erzählen, daß <strong>die</strong> Wissenschaften eigentlich<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Krisis ständen, und wenn Sie versuchten, Ihre<br />
Wissenschaft mit Hilfe e<strong>in</strong>er Heideggerschen Term<strong>in</strong>ologie zu<br />
reformieren.