Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
82 Wahrheit und Se<strong>in</strong><br />
borgen uns gegenwärtig, wenn wir sagen, daß <strong>die</strong>se Kreide hier<br />
auf dem Katheder liegt. All <strong>die</strong>se Umkreise des Zusammenhangs<br />
von Seiendem haben ke<strong>in</strong>e festen Grenzen; sie s<strong>in</strong>d nicht<br />
nebene<strong>in</strong>ander gelagert, sondern <strong>die</strong> weiteren sche<strong>in</strong>en je als<br />
Ganze durch <strong>die</strong> engeren durch und <strong>in</strong> <strong>die</strong>se here<strong>in</strong>.<br />
Damit ist aber gesagt, daß uns immer mannigfaltiges Seiendes<br />
mehrerlei Art offenbar ist. Wir alle bewegen uns <strong>in</strong> gewissen<br />
durchschnittlich gleichen, z.T. sogar denselben Kreisen des alltäglich<br />
offenbaren Seienden. Dem nachzugehen, ist nicht unsere<br />
jetzige Aufgabe, wo wir lediglich der Offenbarkeit als<br />
solcher, der Unverborgenheit des Seienden nachfragen. Zwar<br />
sche<strong>in</strong>t es zu genügen, daß wir uns dabei an e<strong>in</strong> beliebiges<br />
Beispiel halten, <strong>die</strong> Offenbarkeit der Kreide, <strong>die</strong> es ermöglicht,<br />
daß <strong>die</strong>se Kreide Gegenstand e<strong>in</strong>er Aussage wird. Alle<strong>in</strong> wir<br />
hörten schon, daß nicht alles Seiende <strong>die</strong> Se<strong>in</strong>sart der Gebrauchsd<strong>in</strong>ge<br />
hat. Wirklich ist auch Seiendes, das vorhanden ist<br />
(Ste<strong>in</strong>e), das lebt (Pflanze, Tier), das existiert (Mensch). Wir<br />
fragen deshalb jetzt nach der Offenbarkeit all <strong>die</strong>ses Seienden,<br />
das freilich se<strong>in</strong>er Se<strong>in</strong>sart nach verschieden se<strong>in</strong> mag.<br />
Aber ist <strong>die</strong>se Offenbarkeit des Seienden e<strong>in</strong>e durchgängig<br />
gleichmäßige, unbeschadet der jeweiligen Se<strong>in</strong>s art des offenbaren<br />
Seienden? Es sieht so aus. Denn wir können leicht <strong>in</strong><br />
derselben fortlaufenden Weise feststellen, daß da s<strong>in</strong>d: Ste<strong>in</strong>e,<br />
Bäume, Hunde, Automobile, »Passanten« (Menschen). Wir<br />
können über all das, weil es <strong>in</strong> gleicher Weise offenbar ist, auch<br />
<strong>in</strong> gleicher Weise uns direkt unterhalten, wahre Aussagen darüber<br />
vollziehen. Diese gleichmäßige Aussagemöglichkeit über<br />
all das vorkommende Seiende ist auch der Beleg für e<strong>in</strong>e gleichmäßige<br />
Form der Offenbarkeit, Unverborgenheit, Wahrheit des<br />
Seienden.<br />
Aber wir s<strong>in</strong>d nun doch schon mehrfach mißtrauisch geworden<br />
gegenüber dem, was <strong>die</strong> Aussage bezüglich des Wesens der<br />
Wahrheit hergibt. Vielleicht ist es gerade hier auch wieder <strong>die</strong><br />
Gleichmäßigkeit, Unterschiedslosigkeit des Aussagens und Redens<br />
über ... , was den Sche<strong>in</strong> erweckt, als sei <strong>die</strong> Wahrheit über<br />
§ 13. Se<strong>in</strong>sart und Offenbarkeit 83<br />
das Seiende gleichfalls unterschiedslos vom seI ben Charakter,<br />
als sei <strong>die</strong> Unverborgenheit des Seienden <strong>in</strong> ihren Weisen nicht<br />
bestimmt durch <strong>die</strong> jeweilige Se<strong>in</strong>sart des Seienden.<br />
In der Tat ist es e<strong>in</strong> Sche<strong>in</strong>, als sei alles uns gerade zugängliche<br />
Seiende <strong>in</strong> derselben Weise der Offenbarkeit unverborgen,<br />
e<strong>in</strong> Sche<strong>in</strong> freilich, der se<strong>in</strong>e Gründe hat. Weil <strong>die</strong>ser Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
sehr hartnäckiger ist, ja sogar zum Wesen unseres alltäglichen<br />
Dase<strong>in</strong>s gehört, verlangt <strong>die</strong> Aufhellung der Gründe und der<br />
Möglichkeit <strong>die</strong>ses Sche<strong>in</strong>s weitgehende Überlegungen. Aber<br />
wir sehen immer wieder, daß <strong>die</strong> Aussage uns nicht nur e<strong>in</strong>e<br />
bestimmte Idee von Wahrheit suggeriert, sondern auch nahelegt,.<br />
als sei gewissermaßen all das Seiende, worüber ausgesagt<br />
werd~n kann, von derselben Art.<br />
Nun ist aber <strong>die</strong> Offenbarkeit (Wahrheit) des uns alltäglich<br />
zugänglichen Seienden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Mannigfaltigkeit ke<strong>in</strong>e unterschiedslos<br />
gleichmäßige, sondern verschieden je nach der Se<strong>in</strong>sart<br />
des bekundenden Seienden. Gerade weil wir <strong>die</strong> Verschiedenheit<br />
des Seienden zunächst nicht und zumeist nie beachten,<br />
müssen wir ihr nachgehen. Denn das Wesen der Wahrheit soll ja<br />
nicht <strong>in</strong> der Orientierung an der Aussage und ihrer Indifferenz,<br />
an ihrem nivellierten und nivellierenden Charakter bestimmt<br />
werden.<br />
§ 13. Se<strong>in</strong>sart und Offenbarkeit<br />
Verschiedene Se<strong>in</strong>sarten des Seienden<br />
Wir können <strong>die</strong> Verschiedenheit der Wahrheit des <strong>in</strong> ihr offenbaren<br />
Seienden nur so verdeutlichen, daß wir <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Se<strong>in</strong>sarten des Seienden näher kennzeichnen und nachweisen,<br />
wie durch <strong>die</strong>se je e<strong>in</strong> eigener Modus der Wahrheit gefordert<br />
wird. Aber hierzu wäre nicht nur e<strong>in</strong>e Interpretation der verschiedenen<br />
Se<strong>in</strong>sarten (Vorhandenheit, Leben, Existenz, Bestand)<br />
notwendig, sondern zugleich e<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichend weitgeführtes<br />
Verständnis des Wesens der Wahrheit, um zu sehen, wie<br />
<strong>die</strong>se durch jene Arten des Se<strong>in</strong>s sich modifiziert.