Einleitung in die Philosophie - gesamtausgabe
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114 Wahrheit und Se<strong>in</strong><br />
etwas Subjektives ist, wird dann mit der These der wesenhaften<br />
Zugehörigkeit der Wahrheit zum Dase<strong>in</strong> nicht von vornhere<strong>in</strong><br />
alle objektive Wahrheit, Wahrheit an sich, geleugnet? Wenn wir<br />
leugnen, daß es e<strong>in</strong>e Wahrheit an sich gibt, und sagen, sie gehört<br />
wesensgemäß zum Dase<strong>in</strong>, zum Subjekt, dann ist Wahrheit immer<br />
nur relativ auf das jeweilige faktische Dase<strong>in</strong>, und aus<br />
<strong>die</strong>ser Leugnung der Objektivität der Wahrheit entspr<strong>in</strong>gt dann<br />
der sogenannte Relativismus. Jeder Relativismus aber ist Skeptizismus<br />
und aller Skeptizismus ist der Tod alles Erkennens und,<br />
wie man auch sagt, der Existenz des Menschen überhaupt. Dies<br />
ist e<strong>in</strong>e beliebte Argumentation, <strong>die</strong> fast nie ihren Zweck verfehlt.<br />
Sche<strong>in</strong>bar völlig e<strong>in</strong>sichtig, beruht sie doch weniger auf<br />
der Kraft wirklicher sachlicher Argumente als auf e<strong>in</strong>er Art von<br />
E<strong>in</strong>schüchterung durch Vor- und Ausmalen der Konsequenzen.<br />
Wenn Wahrheit zum Subjekt als Subjekt gehört und nur zu<br />
ihm, also wenn Wahrheit ihrem Wesen nach im Subjekt liegt,<br />
dann ist sie notwendig etwas »Subjektives«. Gegen <strong>die</strong>sen Gedanken<br />
ist schwerlich etwas e<strong>in</strong>zuwenden, und es wäre <strong>in</strong> der<br />
Tat der Versuch irrig zu zeigen, daß Wahrheit etwa nicht zum<br />
Subjekt gehört. Nur ist und bleibt <strong>die</strong> Frage: Was heißt hier<br />
»Subjekt«, und was besagt dementsprechend »subjektiv«? Darüber<br />
muß doch Klarheit bestehen, zumal wenn man so weitgehende<br />
Konsequenzen aus dem subjektiven Charakter der<br />
Wahrheit zieht. Die Argumentation vom subjektiven und relativen<br />
Charakter von Wahrheit kann - so überzeugend sie sich<br />
auch vorbr<strong>in</strong>gt - nicht verbergen, daß ihre Basis e<strong>in</strong>e ganz brüchige<br />
ist. Es läßt sich zeigen, daß das Verhältnis von Wahrheit<br />
und Subjekt, das der Argumentation zugrunde liegt, gar nicht<br />
h<strong>in</strong>reichend geklärt ist, weil der Begriff des Subjekts unbestimmt<br />
bleibt.<br />
Es könnte nämlich se<strong>in</strong>, daß gerade deshalb, weil <strong>die</strong> Wahrheit<br />
zum Dase<strong>in</strong> gehört, <strong>die</strong> Wahrheit nicht »subjektiv« se<strong>in</strong><br />
kann - »subjektiv« <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne von subjektiv und Subjekt, der<br />
<strong>in</strong> der üblichen Argumentation vorausgesetzt wird. Im überlieferten<br />
S<strong>in</strong>ne ist das Subjekt e<strong>in</strong> ~unächst <strong>in</strong> sich e<strong>in</strong>gekapseltes<br />
§ 14. Teilen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Unverborgenheit des Seienden 115<br />
und von allem übrigen Seienden abgeschnittenes Ich, das sich<br />
recht eigenbrödlerisch <strong>in</strong>nerhalb se<strong>in</strong>er Kapsel benimmt. Wir<br />
nennen <strong>die</strong>se Auffassung des bloßen Subjekts <strong>die</strong> schlechte Sub<br />
Jektivität; schlecht deshalb, weil sie das Wesen des Subjekts gar<br />
lllcht trifft. Wir bezeichnen term<strong>in</strong>ologisch Subjekt mit Dase<strong>in</strong>.<br />
Am Ende ist das Wesen der Subjektivität gerade nicht etwas<br />
»Subjektives« im schlechten S<strong>in</strong>ne. Das kann uns das Wesen der<br />
Wahrheit und ihre wesenhafte Zugehörigkeit zum Dase<strong>in</strong> zeigen.<br />
Denn wenn Wahrheit zum Subjekt gehört, Wahrheit aber<br />
Unverborgenheit von Vorhandenem besagt, dann gehört Unverborgenheit<br />
von Vorhandenem wesenhaft zum Subjekt, d.h. es<br />
gehört wesenhaft zum Subjekt, daß es nicht <strong>in</strong> sich e<strong>in</strong>gekapselt<br />
1st, sondern immer schon bei Vorhandenem ist.<br />
Nehmen wir gleichsam vom Subjekt zunächst das Se<strong>in</strong> bei<br />
emem Vorhandenen weg, dann haben wir gar ke<strong>in</strong>en Begriff<br />
vom Subjekt mehr. Dieser Ansatz stellt gar ke<strong>in</strong>en Begriff vom<br />
Ich, vom Subjekt und von Subjektivität dar, sondern lediglich<br />
em Phantom und e<strong>in</strong>e willkürliche Konstruktion e<strong>in</strong>es Ich. Weil<br />
dIe Wahrheit - und hier zunächst nur als Unverborgenheit des<br />
Vorhandenen genommen - zum Dase<strong>in</strong>, d.h. zum Subjekt gehort,<br />
deshalb ist das Dase<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wesen nach je schon bei<br />
Vorhandenem. Dieses Se<strong>in</strong> bei Vorhandenem gehört zum Begriff<br />
des Subjekts. So ergibt sich: <strong>die</strong> These von der Zugehörigkeit<br />
von Wahrheit zum Subjekt erklärt <strong>die</strong> Wahrheit nicht als etwas<br />
»Subjektivistisches«, sondern bestimmt gerade <strong>die</strong> Subjektivität<br />
m Ihrem Se<strong>in</strong> bei unverborgenem Vorhandenem. Das Wesen der<br />
Wahrheit qua UA:r1ßcta gibt also <strong>die</strong> Anweisung zur Klärung des<br />
Begriffs der Subjektivität, während man sonst umgekehrt vorgeht.<br />
Man hat irgend e<strong>in</strong>en Begriff von Subjekt, zumeist an<br />
Descartes orientiert, im H<strong>in</strong>tergrund, und sucht sich klar zu<br />
werden, was Wahrheit besagt, wie ihr Bezug zu <strong>die</strong>sem nicht<br />
weiter bestimmten Subjekt zu denken ist. Jetzt sehen wir: das<br />
Wesen der Wahrheit selbst zw<strong>in</strong>gt uns zu e<strong>in</strong>er grundsätzlichen<br />
Revision des bisherigen Subjektbegriffes. Die Zugehörigkeit<br />
der Wahrheit zum Subjekt im rechtverstandenen S<strong>in</strong>ne macht