Bericht über die menschliche Entwicklung 2006 - Human ...
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Kasten 3.3<br />
Initiative von unten – das Orangi-Projekt<br />
3<br />
Orangi ist eine große informelle Siedlung – in der Landessprache<br />
katchi abadi – in Karatschi, Pakistan. Dort wohnen <strong>über</strong> eine Million<br />
zumeist arme Menschen. Die Erfolgsgeschichte von Orangi ist Sinnbild<br />
für <strong>die</strong> Fähigkeit von Gemeinschaften, sich besseren Zugang zu<br />
Sanitärversorgung zu verschaffen.<br />
1980 startete eine lokale Nichtregierungsorganisation das Orangi-<br />
Pilotprojekt. Ziel war es, in Zusammenarbeit mit örtlichen Gemeinschaften<br />
<strong>die</strong> himmelschreienden sanitären Verhältnisse in der Siedlung<br />
in den Griff zu bekommen. Dabei wurde bei der Mobilisierung<br />
der Schwerpunkt auf <strong>die</strong> Straße als Organisationseinheit gelegt. In<br />
einem Prozess des Dialogs und der Aufklärung wurden <strong>die</strong> Anwohner<br />
der einzelnen Straßen dazu aufgefordert, sich in Gruppen zusammenzufinden<br />
und Abwasserkanäle zu bauen, um das Abwasser aus<br />
ihren Häuschen ableiten zu können. Die Kooperation zwischen den<br />
jeweils für ihre Straße Verantwortlichen ermöglichte es dann, größere<br />
Kanäle zu bauen, in denen <strong>die</strong> Abwässer aus mehreren Straßen<br />
zusammengeführt wurden. Ursprünglich wurden <strong>die</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> Kanäle<br />
abgeführten Abwässer in nahegelegene Ablaufrinnen eingeleitet.<br />
Doch nach etlichen Verhandlungen mit der Stadtverwaltung erklärte<br />
sich <strong>die</strong> Stadt schließlich bereit, einen Stammkanal zu finanzieren,<br />
um das Abwasser sammeln und aus der Wohngegend ableiten zu<br />
können.<br />
Seit Anfang der 1980er Jahre ging <strong>die</strong> Säuglingssterblichkeit in<br />
dem Elendsviertel von 130 Todesfällen auf 1.000 Lebendgeburten auf<br />
heute unter 40 zurück. Fast 100.000 Familien in <strong>über</strong> 6.000 Straßen<br />
beteiligten sich an dem Projekt – das sind 90 Prozent aller Bewohner<br />
des Stadtteils. Durch <strong>die</strong> Schulung von Gemeinwesenarbeitern in der<br />
Instandhaltung des Kanalisationssystems und <strong>die</strong> Nutzung vorhandener<br />
Arbeitskraft konnten <strong>die</strong> Kosten der Sanitärversorgung auf ein<br />
Fünftel von dem gesenkt werden, was normalerweise angefallen<br />
wäre. Dies ermöglichte es dem Projekt, mit bezahlbaren Abwassergebühren<br />
seine Kosten zu decken.<br />
Das riesige Defizit bei der Sanitärversorgung<br />
Quelle: Satterthwaite et al. <strong>2006</strong>; Hasan 2005; Zaidi 2001.<br />
lichen Behörden keine Unterstützung. Doch<br />
inzwischen wurde das Konzept in Puna, einer<br />
Stadt mit <strong>über</strong> zwei Millionen Einwohnern,<br />
umgesetzt – dort arbeitete <strong>die</strong> Stadtverwaltung<br />
mit NSDF, SPARC und Mahila Milan zusammen.<br />
Zwischen 1999 und 2001 wurden <strong>über</strong><br />
440 Toilettenblocks gebaut und damit 10.000<br />
neue Toiletten geschaffen. Die Finanzierung<br />
<strong>über</strong>nahm <strong>die</strong> Regierung des Bundesstaates<br />
Maharashtra, wobei Planung und Instandhaltung<br />
in der Verantwortung der NROs lagen.<br />
Die Mitwirkung der Bevölkerung vor Ort<br />
ist wahrscheinlich <strong>die</strong> größte Einflussgröße für<br />
den Erfolg – oder Misserfolg – öffentlicher<br />
Sanitäranlagen. Bis vor kurzem konnten derlei<br />
Anlagen in kommunaler Regie keine gute<br />
Bilanz vorweisen – schlechter Erhaltungszustand,<br />
ungünstige Standortwahl und ähnliche<br />
Mankos führten dazu, dass sie von der Bevölkerung<br />
kaum angenommen wurden. Diese Bilanz<br />
beginnt sich allmählich zum Positiven zu wenden.<br />
In der namibischen Hauptstadt Windhoek<br />
musste <strong>die</strong> Stadtverwaltung eingestehen,<br />
dass staatliche Sanitäranlagen den Armen nicht<br />
zugute kamen, da <strong>die</strong> Qualitätsstandards zu<br />
hohe Kosten verursachten. In Zusammenarbeit<br />
mit dem nationalen Dachverband der Hüttenbewohner-Initiativen<br />
veränderten <strong>die</strong> Kommunalbehörden<br />
<strong>die</strong> Vorschriften dahingehend,<br />
dass es Stadtteilkomitees möglich wurde, ihre<br />
eigenen Toilettenblocks zu bauen und zu<br />
unterhalten. Die Auflagen wurden gelockert<br />
und <strong>die</strong> Vorschriften flexibler gehandhabt.<br />
In Chittagong, Bangladesch, entwickelte <strong>die</strong><br />
internationale NRO Water Aid gemeinsam mit<br />
örtlichen NROs und städtischen Behörden kollektive<br />
Latrinen, <strong>die</strong> von je 150 Haushalten gemeinsam<br />
genutzt werden – Kostenpunkt: umgerechnet<br />
0,60 US-Dollar pro Monat und<br />
Haushalt. 17 Durch <strong>die</strong>se von gemeinwesenorientierten<br />
Organisationen betriebenen Latrinen<br />
erhielten wesentlich mehr Menschen eine Sanitärversorgung<br />
als es mit den Mitteln einzelner<br />
Haushalte möglich gewesen wäre.<br />
Das Versagen der bisherigen angebotsgesteuerten<br />
Handlungsansätze hat ein Umdenken<br />
in der Politik ausgelöst. Mit am deutlichsten<br />
kommt <strong>die</strong>s in der gemeinwesenorientierten<br />
Kampagne für umfassende Sanitärversorgung<br />
zum Ausdruck, einem Handlungsansatz,<br />
der zum Ziel hat, <strong>die</strong> Nachfrage nach einer verbesserten<br />
Sanitärversorgung zu schaffen. 18 Die<br />
Kampagne für umfassende Sanitärversorgung<br />
in Bangladesch wurde ursprünglich von örtlichen<br />
NROs initiiert, hat aber inzwischen den<br />
Status eines nationalen Programms erlangt. Der<br />
Erfolg der Kampagne hat es mit ermöglicht, das<br />
Land auf Kurs für <strong>die</strong> Millenniums-<strong>Entwicklung</strong>szielvorgabe<br />
bei der Sanitärversorgung zu<br />
halten (Kasten 3.4).<br />
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BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2006</strong>