Bericht über die menschliche Entwicklung 2006 - Human ...
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Interpretationen des Gewohnheitsrechts <strong>die</strong><br />
Konzeption und Durchführung des Programms.<br />
Das Ergebnis war, dass <strong>die</strong> verbesserten Bodenflächen<br />
an männliche Haushaltsvorstände verteilt<br />
wurden, <strong>die</strong> Produktivität zurückging und<br />
<strong>die</strong> Geschlechterungleichheit stieg. Später korrigierte<br />
das Programm <strong>die</strong>se einseitige Ausrichtung<br />
auf Männer und bezog <strong>die</strong> Frauen in <strong>die</strong><br />
Zuteilung von Land ein. 28<br />
Kasten 5.6<br />
Gewohnheitsrecht und Ungleichheit in Senegal<br />
Gelegentlich wird <strong>die</strong> Meinung vertreten, auf Gewohnheitsrecht beruhende Wasserrechte<br />
seien an sich gerechter und demokratischer als formelle Wasserrechte, weil<br />
lokale Institutionen für ein hohes Maß an Rechenschaftspflicht im Rahmen traditioneller<br />
Strukturen sorgen würden. Aber angesichts der Beweislage ist vor Idealismus zu<br />
warnen. Vielfach nutzen traditionelle Landbesitzer ihre Position innerhalb der örtlichen<br />
Gemeinschaft, um formelle Regeln zu umgehen und ihren privilegierten Zugang zu<br />
Land zu verfestigen.<br />
Gegen Ende der 1980er Jahre <strong>über</strong>trug der Senegal <strong>die</strong> Managementverantwortung<br />
für bewässertes Land auf lokale Körperschaften. Seither sind gewählte ländliche<br />
Räte für <strong>die</strong> Zuteilung bewässerter Parzellen an Nutzergruppen verantwortlich, <strong>die</strong><br />
ihrerseits den einzelnen Nutzern ihre Parzellen zuteilen.<br />
Im Tal des Senegal-Flusses herrschen in den örtlichen Gemeinschaften starre<br />
Hierarchien vor, <strong>die</strong> zwischen Nachfahren von Sklaven und Adeligen unterscheiden.<br />
Beide Gruppen bearbeiten Parzellen innerhalb des Bewässerungssystems des Senegal-Tals.<br />
Demokratische Wahlen zu den ländlichen Räten eröffnen den Nachfahren<br />
von Sklaven formal <strong>die</strong>selben Chancen auf ein Amt wie den Nachfahren der Adeligen.<br />
Auch haben alle Dorfbewohner ein Anrecht auf bewässertes Land, wobei <strong>die</strong> Verteilungskriterien<br />
<strong>die</strong> Familiengröße berücksichtigen. Aber der gesellschaftliche Status<br />
spielt im Wahlprozess eine wichtige Rolle. In der ländlichen Gemeinde Bokidiawe,<br />
einem typischen Beispiel, sind 30 von 32 gewählten Räten von adeliger Abkunft.<br />
Forschungen zeigen, dass <strong>die</strong> starre Trennlinie, <strong>die</strong> gelegentlich zwischen formellen<br />
und gewohnheitsrechtlichen Regelungen gezogen wird, unter Umständen trügerisch<br />
ist. Die der lokalen Elite angehörenden Landbesitzer haben verschiedene Ämter<br />
in staatlichen wie auch in traditionellen Institutionen inne. In Bokidiawe ist der Gemeindevorsteher<br />
gleichzeitig Dorfoberhaupt, Mitglied des ländlichen Rates, Präsident<br />
der Landnutzergruppe, Mitglied einer politischen Partei und ein relativ großer Reisanbauer.<br />
Die lokalen Eliten nutzen häufig ihre Position, um sich <strong>die</strong> Kontrolle <strong>über</strong> bewässertes<br />
Land auch weiterhin zu sichern. Im Senegal ist es den traditionellen Landbesitzern<br />
nicht nur gelungen, einen <strong>über</strong>mäßig hohen Anteil an den bewässerten Flächen<br />
zu vereinnahmen, sondern auch mächtigen Außenstehenden (darunter Politiker, Militär-<br />
und Regierungsbeamte und Richter) bewässertes Land zuzuteilen oder zu verkaufen,<br />
obwohl es Gesetze gibt, <strong>die</strong> den Zugang zu bewässertem Land auf <strong>die</strong> örtlichen<br />
Anwohner beschränken. Inzwischen sehen sich Bauern aus niedrigeren Kasten dazu<br />
gezwungen, sich auf Vereinbarungen <strong>über</strong> <strong>die</strong> Entrichtung von Pacht durch einen Teil<br />
der Ernte einzulassen, um Zugang zu bewässertem Land zu erhalten, obwohl solche<br />
Vereinbarungen innerhalb von Bewässerungssystemen illegal sind.<br />
Das Senegal-Tal ist von noch umfassenderer Bedeutung. Die Reformen des Wassermanagements<br />
legen in der Regel den Schwerpunkt darauf, dass alle Anspruchsberechtigten<br />
gleichen Zugang zu bewässerten Parzellen erhalten. Während also durch<br />
gesetzliche Vorschriften das Ziel verfolgt wird, den gleichberechtigten Zugang zu Wasser<br />
zu fördern und mehr Partizipation und Rechenschaftspflicht zu erreichen, stehen<br />
jedoch <strong>die</strong> ihnen zugrundeliegenden demokratischen und egalitären Prinzipien häufig<br />
im Konflikt mit gewohnheitsrechtlichen Grundsätzen, <strong>die</strong> soziale Hierarchien und<br />
geschlechtsbedingte Ungleichheiten verfestigen.<br />
Quelle: Cotula <strong>2006</strong>; Sylla <strong>2006</strong>.<br />
Formelle Rechte sind keine<br />
Garantie für Verteilungsgerechtigkeit<br />
Während miteinander verknüpfte formelle<br />
Eigentumsrechte auf Land und Wasser mehr<br />
Sicherheit bieten, können sie andererseits mit<br />
Gewohnheitsrechten in Konflikt geraten. In<br />
solchen Fällen werden <strong>die</strong> formellen Rechte<br />
häufig den Gewohnheitsrechten <strong>über</strong>geordnet.<br />
In Gebieten mit weidewirtschaftlichen Produktionssystemen<br />
ist <strong>die</strong>ses Problem häufig anzutreffen.<br />
In weiten Teilen Afrikas südlich der<br />
Sahara sehen sich <strong>die</strong> Hirtenvölker auf Grund<br />
von Wassermangel, verstärktem Druck auf das<br />
Land und der Ausweitung formeller Bodenrechte<br />
immer mehr auf der Verliererseite. Die<br />
Einzäunung einer Wasserstelle, <strong>die</strong> Schaffung<br />
eines Bewässerungssystems oder <strong>die</strong> Ausstellung<br />
eines Rechtstitels für ein Stück Land kann<br />
zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse<br />
zwischen sesshaften Erzeugern und Hirtennomaden<br />
führen, deren Zugangsberechtigung<br />
auf schwächeren (häufig nicht einklagbaren)<br />
gewohnheitsrechtlichen Ansprüchen beruht.<br />
Im Norden Ugandas, im Süden Tansanias und<br />
im Nordosten Kenias werden gewaltsame Zusammenstöße<br />
zwischen Bauern und Hirtennomaden<br />
immer häufiger. Spannungen zwischen<br />
privatrechtlichen und gewohnheitsrechtlichen<br />
Ansprüchen verschärfen sich. Im Niger<br />
wurden im Zuge der Reform des Wassermanagements<br />
neue Rechtsvorschriften eingeführt,<br />
<strong>die</strong> private Wasserstellen in Weidegebieten erlauben.<br />
Anderswo in Westafrika führten neue,<br />
durch den Staat angelegte Brunnen mit freiem<br />
Zugang zu einer Aushöhlung der traditionellen<br />
Verteilungssysteme. Die öffentlichen Brunnen<br />
wurden von größeren und mächtigeren Herdenbesitzern<br />
<strong>über</strong>nommen, zu denen auch traditionelle<br />
Dorfälteste, Händler und Politiker gehören,<br />
während der Wasserzugang für andere<br />
Herdenbesitzer eingeschränkt wurde. 29<br />
In manchen Fällen werden <strong>die</strong> Konflikte<br />
zwischen formellen und informellen Boden-<br />
5<br />
Konkurrenz um Wasser in der Landwirtschaft<br />
BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2006</strong> 235