Bericht über die menschliche Entwicklung 2006 - Human ...
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Kasten 6.3<br />
Erfahrungen mit der Bewirtschaftung von Wassereinzugsgebieten in Europa: <strong>die</strong> Flüsse Rhein und Donau<br />
6<br />
Die Bewirtschaftung grenz<strong>über</strong>schreitender Gewässer<br />
276<br />
Flüsse verbinden Menschen und Lebensgrundlagen <strong>über</strong> nationale<br />
Grenzen hinweg. Saubere Flüsse sind ein öffentliches Gut, während<br />
durch verschmutzte Flüsse öffentliche Übel <strong>über</strong> Grenzen geleitet werden.<br />
Die europäische Geschichte belegt den Nutzen von Investitionen<br />
in Flüsse als regionale öffentliche Güter.<br />
Der Rhein. Der Rhein bildet eines der großen europäischen Flusssysteme.<br />
Er fließt von den Schweizer Alpen herab und bahnt sich seinen<br />
Weg entlang der französisch-deutschen Grenze bis zur Ruhrmündung<br />
und in <strong>die</strong> Niederlande. Bereits im 19. Jahrhundert war der Fluss<br />
bekannt für den Grad seiner Verschmutzung. Der englische Dichter<br />
Samuel Coleridge wurde durch einen Besuch in Köln 1828 zu folgenden<br />
Zeilen inspiriert:<br />
Der Rheinfluss, das ist ja bekannt,<br />
wäscht Köln, <strong>die</strong> Stadt, mit eig’ner Hand;<br />
Doch sagt mir, Nymphen, <strong>die</strong> Himmelskraft,<br />
<strong>die</strong> dereinst dem Rheinfluss Wäsche schafft?<br />
Keine Macht, weder himmlische noch irdische, reinigte den Fluss.<br />
Mit fortschreitender Industrialisierung wurde der Rhein zu einer riesigen<br />
Schadstoffkloake. Er leitete <strong>die</strong> Abfälle der chemischen Industrie in der<br />
Schweiz, der französischen Kali-Industrie sowie der deutschen Hütten-<br />
und Steinkohleindustrie ab und transportierte sie in <strong>die</strong> Niederlande.<br />
Zwischen 1900 und 1977 stiegen <strong>die</strong> Chrom-, Kupfer-, Nickel- und<br />
Zinkkonzentrationen auf toxische Werte. In den 1950er Jahren waren<br />
Fische aus dem Mittel- und Oberlauf des Rheins so gut wie verschwunden.<br />
Abgesehen von der Vergiftung des Flusses bedrohten <strong>die</strong> Schadstoffe<br />
der französischen und deutschen Industrie das Trinkwasser und<br />
<strong>die</strong> Blumenindustrie in den Niederlanden.<br />
Das große Reinemachen begann nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
1950 gründeten Deutschland, Frankreich, Luxemburg, <strong>die</strong> Niederlande<br />
und <strong>die</strong> Schweiz <strong>die</strong> Internationale Kommission zum Schutz des<br />
Rheins (IKSR), <strong>die</strong> sich anfänglich auf Forschung und Datenerhebung<br />
konzentrierte. Mitte der 1970er Jahre wurden jedoch zwei Übereinkommen<br />
gegen chemische Verunreinigung und Chloride geschlossen, <strong>die</strong><br />
<strong>die</strong> Verschmutzung in Deutschland und Frankreich verringern sollten.<br />
Die Kooperation erwies sich in den ersten Jahren jedoch als schwierig.<br />
Deutschland, <strong>die</strong> Niederlande und <strong>die</strong> Schweiz erklärten sich zur Übernahme<br />
von 70 Prozent der Kosten der Minderung der Chlorideinleitungen<br />
in Frankreich bereit. Angesichts starken Widerstands im eigenen<br />
Land weigerte sich <strong>die</strong> französische Regierung jedoch, das Übereinkommen<br />
dem Parlament zur Ratifizierung vorzulegen.<br />
Eine Umweltkatastrophe Ende 1986 – ein Brand in einer schweizerischen<br />
Chemiefabrik – war Auslöser der nächsten Phase der Kooperation.<br />
Bis Mai 1987 war das Aktionsprogramm Rhein ausgearbeitet<br />
worden. Es wurden Zielvorgaben für eine drastische Verringerung der<br />
Schadstoffbelastung festgelegt. Nach den Überschwemmungen von<br />
1993 wurden <strong>die</strong> IKSR-Aktivitäten um den Hochwasserschutz erweitert.<br />
Im darauffolgenden Jahr wurden auf einer Rhein-Ministerkonferenz<br />
Leitlinien für ein neues Übereinkommen und 2001 das Programm<br />
zur nachhaltigen <strong>Entwicklung</strong> „Rhein 2020“ beschlossen.<br />
Die IKSR ist heute ein effektives zwischenstaatliches Organ, an das<br />
<strong>die</strong> Mitgliedstaaten ihre Maßnahmen melden müssen. Sie verfügt <strong>über</strong><br />
eine Plenarversammlung, ein Sekretariat und Fachgruppen – und<br />
beträchtliche politische Autorität durch eine Ministerkonferenz, <strong>die</strong><br />
Quelle: Barraqué und Mostert <strong>2006</strong>.<br />
BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2006</strong><br />
politisch bindende Entscheidungen treffen kann. Nichtstaatliche Organisationen<br />
haben Beobachterstatus, was <strong>die</strong> Partizipation der Öffentlichkeit<br />
erleichtert. Solche kooperativen Strukturen und Institutionen<br />
brauchen Zeit, sich zu entwickeln, und sie funktionieren am besten mit<br />
politisch hochrangiger Führung.<br />
Die Donau. Mehr als vielleicht jeder andere Fluss spiegelt <strong>die</strong><br />
Donau <strong>die</strong> turbulente Geschichte Europas im 20. Jahrhundert wider.<br />
Vor dem Ersten Weltkrieg war das wichtigste Land im Wassereinzugsgebiet<br />
das österreichisch-ungarische Kaiserreich. Am Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs wurden <strong>die</strong> meisten Donauanlieger Teil des Sowjetblocks.<br />
Mit dem Zerfall der Tschechoslowakei, der Sowjetunion und<br />
Jugoslawiens wurde das Donaubecken das internationalste Wassereinzugsgebiet<br />
auf der Welt.<br />
Das Ende des Kalten Krieges und der spätere Beitritt mehrerer<br />
Länder im Wassereinzugsgebiet zur Europäischen Union ermöglichten<br />
einen Ansatz zur internationalen Kooperation auf der Ebene des Gesamteinzugsgebiets.<br />
Im Februar 1991 verständigten sich alle Staaten<br />
im Einzugsgebiet auf <strong>die</strong> Ausarbeitung des Übereinkommens <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Zusammenarbeit zum Schutz und zur verträglichen Nutzung der<br />
Donau. 1994 wurde das Donauschutz<strong>über</strong>einkommen unterzeichnet,<br />
das auch <strong>die</strong> Errichtung einer Internationalen Kommission zum Schutz<br />
der Donau (IKSD) vorsah. Es ist im Oktober 1998 in Kraft getreten.<br />
Serbien und Montenegro traten dem Vertrag 2002 bei, Bosnien und<br />
Herzegowina 2004.<br />
Die institutionelle Grundlage der IKSD besteht aus einer Konferenz<br />
aller beteiligten Länder, einer Plenarkommission, neun Experten- und<br />
Arbeitsgruppen sowie einem ständigen Sekretariat in Wien. Zu den<br />
Organisationen mit Beobachterstatus zählen mehrere Fachorganisationen,<br />
das Donau-Umweltforum, <strong>die</strong> Naturschutzorganisation World<br />
Wide Fund for Nature und <strong>die</strong> Internationale Arbeitsgemeinschaft der<br />
Wasserwerke im Donaueinzugsgebiet.<br />
Seit der Gründung der strategischen Partnerschaft für <strong>die</strong> Nährstoffverringerung<br />
in Donau und Schwarzem Meer haben Investitionen<br />
der Globalen Umweltfazilität im Umfang von etwa 100 Millionen Dollar<br />
fast 500 Millionen Dollar an Kofinanzierung sowie zusätzliche Investitionen<br />
für <strong>die</strong> Nährstoffverringerung vonseiten der Europäischen<br />
Union, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und <strong>Entwicklung</strong> und<br />
anderer Stellen mit einem Gesamtvolumen von 3,3 Milliarden Dollar<br />
nach sich gezogen. Die Ökosysteme des Schwarzen Meers und der<br />
Donau zeigen bereits Anzeichen für eine Erholung von der schwerwiegenden<br />
Eutrophierung der 1970er und 1980er Jahre. In den letzten<br />
Jahren ist es so gut wie nicht mehr zu einer Sauerstoffzehrung gekommen,<br />
und <strong>die</strong> Artenvielfalt hat sich gegen<strong>über</strong> 1980 etwa verdoppelt.<br />
Das Ökosystem des Schwarzen Meers ist auf dem besten Weg zurück<br />
zu Bedingungen, <strong>die</strong> in den 1960er Jahren beobachtet wurden.<br />
Die Donau zeigt, wie eine vertiefte institutionelle Kooperation <strong>über</strong><br />
Grenzen hinweg ein breites Spektrum sich gegenseitig verstärkender<br />
Dimensionen von Nutzen eröffnen kann. In dem Maße, wie Regierungen<br />
und <strong>die</strong> Öffentlichkeit in den Anliegerstaaten erkannt haben, dass<br />
<strong>die</strong> Kooperation Früchte trägt, sind auch <strong>die</strong> Autorität und <strong>die</strong> Legitimation<br />
<strong>die</strong>ser Institutionen gewachsen. Für den Erfolg der Kooperation<br />
waren jedoch hohe Investitionen an finanziellem als auch politischem<br />
Kapital erforderlich.