Bericht über die menschliche Entwicklung 2006 - Human ...
Bericht über die menschliche Entwicklung 2006 - Human ...
Bericht über die menschliche Entwicklung 2006 - Human ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Kasten 4.9<br />
Schmelzende Wasserspeicher – schrumpfende Gletscher verändern <strong>die</strong> Abflüsse<br />
Gletscher sind Wasserspeicher. Sie speichern Wasser in Form von<br />
Eis und Schnee in den Wintermonaten und geben es bei steigenden<br />
Temperaturen langsam in Flüsse und Seen ab. Die globale Erwärmung<br />
hat sich bislang am stärksten auf <strong>die</strong> Gletscher ausgewirkt.<br />
In den 1990er Jahren verringerte sich <strong>die</strong> Gletschermasse dreimal<br />
so rasch wie im vorhergehenden Jahrzehnt, was auf eine globale<br />
Beschleunigung der Schmelze schließen lässt. Die tiefgreifendsten<br />
Konsequenzen werden jedoch erst in den vor uns liegenden Jahrzehnten<br />
zu spüren sein.<br />
Pakistan. Aus den Himalaja-Gletschern fließen jedes Jahr etwa<br />
180 Milliarden Kubikmeter Wasser nach Pakistan in den Indus und<br />
andere Flusssysteme. Gletscherwasser ermöglichte <strong>die</strong> Landwirtschaft<br />
in manchen der ersten <strong>menschliche</strong>n Siedlungen, <strong>die</strong> an den<br />
Ufern des Indus in Harappa und Mohenjo-Daro ge<strong>die</strong>hen. Heute<br />
speisen sie das Indus-Bewässerungssystem, welches das größte<br />
zusammenhängende Bewässerungssystem auf der Welt ist. Selbst bei<br />
Emissionsminderungsmaßnahmen auf globaler Ebene wird der Rückzug<br />
der Gletscher noch mindestens ein halbes Jahrhundert anhalten.<br />
Flüsse werden mehr Wasser führen, was <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit von<br />
Sturzfluten erhöhen und <strong>die</strong> bereits akuten Entwässerungsprobleme<br />
auf den bewässerten Flächen verschärfen wird. In der zweiten Hälfte<br />
des 21. Jahrhunderts werden <strong>die</strong> Abflüsse der Flüsse wahrscheinlich<br />
drastisch zurückgehen, möglicherweise um mehr als 30 Prozent (siehe<br />
Grafik). Dieser starke dauerhafte Rückgang der Abflüsse wird enorme<br />
Konsequenzen für <strong>die</strong> Lebensgrundlagen im Indus-Einzugsgebiet<br />
und <strong>die</strong> Nahrungsmittelversorgung in Pakistan haben.<br />
Nepal. In Nepal schrumpfen <strong>die</strong> Gletscher pro Jahrzehnt um<br />
30 bis 69 Meter. Bei mehr als 20 Gletscherseen besteht Untersuchun-<br />
Schmelzende Gletscher werden <strong>die</strong> Abflüsse des Indus<br />
drastisch verringern<br />
Prognostizierte Veränderung der Abflüsse (Prozent)<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
–20<br />
–40<br />
–60<br />
2010 2020 2030 2040 2050 2060 2070 2080 2090 2100<br />
Quelle: World Bank 2005b.<br />
Temperaturanstieg pro Jahr (Grad Celsius)<br />
0,15<br />
0,06<br />
0,10 0,03<br />
gen zufolge <strong>die</strong> Gefahr, dass sie <strong>über</strong> <strong>die</strong> Ufer treten und Überschwemmungen<br />
verursachen. Um <strong>die</strong>ser Bedrohung zu begegnen,<br />
werden neue staatliche Investitionen in sehr hohem Umfang erforderlich<br />
sein.<br />
China. Fast alle Gletscher in China sind bereits beträchtlich<br />
geschmolzen. Der Rückzug der Gletscher in Tibet wurde als Umweltkatastrophe<br />
beschrieben, und <strong>die</strong> meisten Gletscher könnten bis 2100<br />
verschwinden. Der Fortgang der Katastrophe könnte für China<br />
bedrohlich werden. Es wurde einmal behauptet, dass schrumpfende<br />
Gletscher zur Überwindung der Wasserknappheit beitragen könnten,<br />
weil sie neue Abflüsse in den ariden Norden und Westen lenken würden.<br />
Die meisten Modelle lassen mittlerweile darauf schließen, dass es<br />
sich dabei um eine Wunschvorstellung handelt. Das in Tibet zusätzlich<br />
abgegebene Wasser wird größtenteils aufgrund höherer Temperaturen<br />
verdunsten. Die 300 Millionen Bauern in der ariden westlichen<br />
Region von China werden wahrscheinlich einen Rückgang der aus<br />
den Gletschern abfließenden Wassermenge verkraften müssen.<br />
Die Anden. In den trockenen Jahreszeiten sind <strong>die</strong> Anden-Gletscher<br />
<strong>die</strong> Haupttrink- und -bewässerungswasserquelle für Stadtbewohner<br />
und Bauern. Hier finden sich einige der am raschesten Masse verlierenden<br />
Gletscher auf der Welt. Vorhersagen zufolge werden einige kleine<br />
und mittelgroße Gletscher bis 2010 verschwunden sein. In Peru ist <strong>die</strong><br />
Gletscherfläche in den letzten 30 Jahren um ein Viertel zurückgegangen.<br />
Kurzfristig müssen Wasserbewirtschafter mit sich rasch verringernden<br />
Abflüssen in Stauseen und Bewässerungssystemen rechnen. Zur<br />
Finanzierung neuer Stauseen werden <strong>die</strong> Wasserpreise für Stadtbewohner<br />
steigen. Längerfristig wird unter anderem weniger Wasser für <strong>die</strong><br />
Landwirtschaft in der Trockenzeit zur Verfügung stehen.<br />
Zentralasien. Zentralasien – Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan,<br />
Turkmenistan und Usbekistan – liegt <strong>über</strong>wiegend in ariden und<br />
semi-ariden Zonen, in denen <strong>die</strong> natürliche Verdunstung <strong>die</strong> Niederschläge<br />
beträchtlich <strong>über</strong>steigt. Fast das gesamte Frischwasser<br />
stammt aus ewigen Schneefeldern und Gletschern in den Bergen Kirgisistans<br />
und Tadschikistans. Wasser aus schmelzenden Gletschern<br />
fließt in <strong>die</strong> Flüsse Amu Darja und Syr Darja sowie <strong>die</strong> von ihnen<br />
bewässerten Schwemmebenen. Es bildet <strong>die</strong> Lebensgrundlage für<br />
22 Millionen Menschen in Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.<br />
Die Bewässerungslandwirtschaft steuert in Usbekistan 25 und in<br />
Turkmenistan 39 Prozent zum Bruttonationaleinkommen bei. In den<br />
oberliegenden Ländern Kirgisistan und Tadschikistan wird das Wasser<br />
aus den gleichen Quellen für <strong>die</strong> Stromerzeugung aus Wasserkraft<br />
genutzt. Der Rückzug der Gletscher stellt in der gesamten Region<br />
eine fundamentale Bedrohung der Lebensgrundlagen und der Volkswirtschaften<br />
dar. Die Geschwindigkeit <strong>die</strong>ses Rückzugs beschleunigt<br />
sich. 1949 bedeckten <strong>die</strong> Gletscher fast 18.000 Quadratkilometer des<br />
bergigen Hinterlands von Tadschikistan. Satellitenbilder aus dem<br />
Jahr 2000 zeigen, dass <strong>die</strong>se Fläche auf knapp 12.000 Quadratkilometer<br />
geschrumpft ist – ein Rückgang um 33 Prozent in 50 Jahren.<br />
Wenn <strong>die</strong> aktuellen Trends anhalten, werden <strong>die</strong> tadschikischen Gletscher<br />
innerhalb eines Jahrhunderts verschwunden sein.<br />
4<br />
Wasserknappheit, Risiken und Anfälligkeit<br />
Quelle: Maslin 2004, UNDP 2005a, World Bank 2005c, WWF Nepal Programme 2005, World Water Assessment Programme <strong>2006</strong>, Schneider und Lane <strong>2006</strong>.<br />
BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2006</strong> 209