Bericht über die menschliche Entwicklung 2006 - Human ...
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Kasten 1.3<br />
Die „fliegenden Toiletten“ von Kibera – <strong>die</strong> Vernachlässigung der<br />
Wasser- und Sanitärversorgung in den Elendsvierteln Nairobis ist eine Bedrohung<br />
Die Krise der Wasser- und Sanitärversorgung beenden<br />
Die Verhältnisse hier sind schrecklich. Überzeugen sie sich selbst.<br />
Abwasser ist <strong>über</strong>all. Einige Menschen benutzen Grubenlatrinen,<br />
doch <strong>die</strong>se sind flach und <strong>über</strong>fluten bei Regen. Die meisten<br />
Menschen nutzen Eimer oder Plastiktüten als Toiletten – und Kinder<br />
verrichten ihre Notdurft in den Straßen und Höfen. Unsere Kinder<br />
leiden permanent an Durchfallerkrankungen und anderen Infektionen,<br />
weil es <strong>über</strong>all schmutzig ist. Mary Akinyi, Dorf Mugomo-ini, Kibera<br />
Die sich weit erstreckende Siedlung, <strong>die</strong> in weniger als sieben Kilometer<br />
Entfernung des kenianischen Parlaments im Zentrum Nairobis<br />
liegt, ist einer der größten afrikanischen Slums südlich der Sahara.<br />
Seine Bewohner sind von der schlimmsten Unterversorgung im<br />
Wasser- und Sanitärbereich der Welt betroffen. Doch Menschen wie<br />
Mary Akinyi fehlen zu oft in den Statistiken.<br />
Laut des <strong>Bericht</strong>s der kenianischen Regierung <strong>über</strong> <strong>die</strong> Millenniumsentwicklungsziele<br />
haben 93 Prozent der Bewohner Nairobis<br />
Zugang zu sauberem Wasser und 99 Prozent Zugang zu Sanitäranlagen.<br />
Es fällt schwer, <strong>die</strong>se Zahlen mit dem Leben in Kibera zu<br />
vereinbaren. Zwischen 500.000 und eine Million Menschen leben in<br />
<strong>die</strong>sem Slum – <strong>die</strong> genauen Zahlen sind unbekannt. Mit 2.000 bis<br />
3.000 Menschen pro Quadrathektar ist <strong>die</strong>ses Gebiet das wohl am<br />
dichtesten bevölkerte Gebiet Afrikas südlich der Sahara. Eine Durchschnittsfamilie<br />
mit drei bis vier Personen lebt gemeinsam in einem<br />
Zimmer in einer Hütte, <strong>die</strong> aus Lehm, Holz, Plastik und Wellblech<br />
besteht.<br />
Allein ein kurzer Blick in <strong>die</strong> Straßen Kiberas ist ausreichend, um<br />
<strong>die</strong> in dem Regierungsbericht veröffentlichten Daten zu hinterfragen.<br />
Eine hohe Bevölkerungsdichte, Überbevölkerung und das Fehlen der<br />
Infrastruktur sind Ursachen für <strong>die</strong>se erschütternde Wasser- und<br />
Sanitärversorgung. Die Abwasserkanäle entlang den Bordsteinkanten<br />
der Straßen sind häufig verstopft, Grubenlatrinen <strong>über</strong>fluten während<br />
der Regenzeit und Kinder wühlen in den Bergen des liegengebliebenen<br />
Mülls.<br />
Unzuverlässig sind auch <strong>die</strong> Daten zur Dienstleistungsversorgung.<br />
Weniger als 40 Prozent der Haushalte haben Zugang zu<br />
legalen Wasserleitungen. Für gewöhnlich ist <strong>die</strong>s eine Steigrohr.<br />
Lediglich einem Drittel von denen, <strong>die</strong> ein solches besitzen, steht einmal<br />
aller zwei Tage Wasser zur Verfügung. Etwa 80 Prozent der Haushalte<br />
kaufen einen Teil oder ihre gesamten Wasservorräte von privaten<br />
Händlern, deren Durchschnittspreis bei 3,50 US-Dollar pro Kubikmeter<br />
liegt. Während der trockenen Jahreszeit erhöhen <strong>die</strong> Händler<br />
<strong>die</strong> Preise um beinahe das Zweifache. Dieser Durchschnittspreis ist<br />
um ein Siebenfaches höher als der Preis, den <strong>die</strong> Bewohner in den<br />
wohlhabenden Siedlungen, <strong>die</strong> von der Nairobi Water and Sewage<br />
Company beliefert werden, bezahlen – und höher als <strong>die</strong> Preise in<br />
London oder New York. Etwa 700 Wasserkioske gibt es in dem Slum,<br />
obwohl sich der Verkauf eher auf größer Kioske konzentriert, <strong>die</strong> von<br />
den Slumherren betrieben werden – sie sind ein Grund, warum gegen<br />
unfaire Praktiken nicht öffentlich protestiert wird.<br />
Menschen, <strong>die</strong> auf <strong>die</strong>se Kioske angewiesen sind, benötigen<br />
häufig mehr als eine Stunde, um Wasser zu besorgen. In Monaten<br />
der Trockenzeit dauert es länger. Zudem verbrauchen sie einen Großteil<br />
ihres geringen Einkommens. Für Familien, in denen zwei Erwachsene<br />
ein Mindestgehalt ver<strong>die</strong>nen, beansprucht der durchschnittliche<br />
Wasserverbrauch 20 Prozent ihres Einkommens – eine immense<br />
Belastung ihres Haushaltsbudgets.<br />
Die Sanitärversorgung ist noch lückenhafter. In einigen Gebieten<br />
teilen sich bis zu 150 Personen eine einzige Latrine. Häufig fehlt es<br />
<strong>die</strong>sen Latrinen an Privatsphäre und Sicherheit, sie sind unhygienisch<br />
und in schlechtem Zustand, <strong>die</strong> Wände herausgebrochen und <strong>die</strong><br />
Gruben quellen <strong>über</strong>. Der Stadtrat Nairobis stellt in Kibera keinerlei<br />
Sanitär<strong>die</strong>nste zur Verfügung.<br />
Eines der wohl <strong>über</strong>zeugendsten Beweismittel, das gegen <strong>die</strong><br />
offiziellen Daten verwendet werden kann, sind <strong>die</strong> ‚fliegenden Toiletten’.<br />
Da weder öffentliche noch private Latrinen zur Verfügung stehen,<br />
bleibt vielen Bewohnern Kiberas keine andere Wahl, als für ihre<br />
Notdurft Plastiktüten zu verwenden, <strong>die</strong> sie anschließend in Gräben<br />
oder an den Straßen entsorgen. Zwei von drei Personen in Kibera<br />
sehen <strong>die</strong> ‚fliegende Toilette’ als primäre und einzig mögliche Methode<br />
zur Beseitigung von Exkrementen an. Es ist nicht schwer, <strong>die</strong><br />
Gründe hierfür zu verstehen. In einem Gebiet des Slums – in Laina<br />
Saba – standen gegen Ende des Jahres 1990 für 40.000 Menschen<br />
lediglich zehn funktionierende Grubenlatrinen zur Verfügung. Falls für<br />
<strong>die</strong> Situation im Slum <strong>über</strong>haupt eine Schätzung abgegeben werden<br />
kann, so würde <strong>die</strong> Rate der Abdeckung der Sanitärversorgung in<br />
Kibera wahrscheinlich weit unter 20 Prozent liegen.<br />
Einen weiteren Beweis <strong>über</strong> <strong>die</strong> tatsächliche Situation der Wasser-<br />
und Sanitärversorgung in Kibera liefert gleichzeitig <strong>die</strong> öffentliche<br />
Gesundheit. Die Kioskinhaber sind dabei <strong>die</strong> letzte Rettung in der<br />
Not. Allerdings sind <strong>die</strong> Rohre, <strong>die</strong> sie nutzen, um sich Zugang zu den<br />
Wassernetzen zu verschaffen, <strong>über</strong>wiegend defekt. Dies führt unter<br />
anderem dazu, dass durch den Sog Exkremente und andere Verunreinigungen<br />
des Abwassers in <strong>die</strong>se Leitungen eindringen. Häufig<br />
auftretende Infektionskrankheiten wie Durchfall, Hauterkrankungen,<br />
Typhus und Malaria sind direkt auf <strong>die</strong> unzureichende Wasserversorgung<br />
und das Fehlen der nötigen Infrastruktur zur fachgerechten Entsorgung<br />
der Exkremente und des Abwassers zurückzuführen. Die<br />
Zahl der Menschen, <strong>die</strong> aufgrund von Durchfallerkrankungen sterben,<br />
ist in Kibera wesentlich höher als im restlichen Teil Nairobis (Siehe<br />
Tabelle).<br />
In der Vergangenheit sind <strong>die</strong> Versorgungsbetriebe den Bedürfnissen<br />
der Bewohner Kiberas selten gerecht geworden. Das Wasserleitungsnetz<br />
beschränkt sich auf lediglich 25 Kilometer. Der Slum wird<br />
im Gegensatz zu anderen Siedlungen mit weitaus weniger Wasser<br />
versorgt. Einer der Gründe ist, dass <strong>die</strong> Versorgungsbetriebe das<br />
Wasser, insbesondere in den Zeiten der Wasserknappheit, in <strong>die</strong><br />
Gegenden der Wohlhabenden umleiten. Bei der Zuleitung in den<br />
Slum Kibera verliert <strong>die</strong> Nairobi Water and Sewage Company aufgrund<br />
von lecken Rohren und dem illegalem Anzapfen der Leitungen<br />
bis zu 40 Prozent des Wassers. Die Gesamteinnahmen der Versorgungsbetriebe<br />
betragen weniger als ein Drittel des veranschlagten<br />
Preises, was ein deutlicher Verweis auf <strong>die</strong> extremen Management-<br />
(Fortsetzung nächste Seite)<br />
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BERICHT ÜBER DIE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG <strong>2006</strong>