Leadership-Interview-Transkript - Sozialpsychologie - Goethe ...
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eigentlich entsprach. Denn theologisch ist der ja der protestantischste aller Päpste des letzten<br />
Jahrhunderts – der kommt von Augustinus her! Und seine erste Enzyklika nimmt ja die Spur<br />
wieder auf: Liebe! Das ist nicht der rächende Gott. Da hab ich noch eine schöne Geschichte,<br />
die hat mit unserem Thema nichts zu tun. Hunderster Geburtstag von Frings. Festakademie.<br />
Eröffnungsredner Kardinal Höffner. Festredner Kardinal Ratzinger, ob er schon Kardinal war<br />
weiß ich nicht. Höffner eröffnet die Sitzung: „Wir zwei waren Konzilstheologen. Ich –<br />
Höffner – habe jeden Abend mit dem Altersweisen, halbblinden Frings im Germanicum eine<br />
Flasche Wein getrunken und jeden Abend haben wir über Gott und die Welt gesprochen. Und<br />
eines Abends hat der Frings zu mir gesagt: „Joseph“, so hieß ja der Höffner, „du wirst ja nun<br />
mein Nachfolger. Du wirst es mit den Kölnern nicht leicht haben.“ Man muss wissen,<br />
Höffner, Westerwald, Bauernbub, nicht gerade rheinische Frohnatur. „Aber tröste dich, auch<br />
ich hatte es als junger Bischof mit den Kölnern schwer.“ Man muss wissen, Frings –<br />
Düsseldorf. Düsseldorf und Köln, da ist der Ural dazwischen. „Ich hatte es auch schwer.<br />
Immer wenn ich den Kölnern was von ‚J’ – und ‚J’ ist Jeboten – gesagt habe, da haben die<br />
Kölner gesagt „Der Herrgott ist nicht so.“ Immer wenn ich denen was von Gott und Gottes<br />
Geboten gesagt habe, haben die gesagt „Der Herrgott ist nicht so.“. Und Joseph, du wirst es<br />
nicht glauben, je älter ich werde - die Kölner haben recht.“ – Und das ist eigentlich<br />
Augustinus, nicht der Strafende, und das ist eigentlich Ratzinger. Verschreckt durch eine Welt<br />
des Zynismus. Das war blanker Zynismus, blanke Verletzung, von wegen die<br />
Menschenfreundlichkeit. Da war eine hohe Menschenverachtung im Spiel, fast faschistischer<br />
Natur, um es so mal grob zu sagen. Und an solchen Sachen ist der Ratzinger ein anderer<br />
geworden.<br />
Rolf van Dick: Das ist interessant. Ich habe Ratzinger zehn Jahre später gelesen - ...<br />
Norbert Blüm: Ja, der schreibt ja heut noch. Der Hörsaal 10 war voll, die ersten zehn Reihen<br />
– meine Frau sagt immer ich übertreibe – waren mit Studentinnen besetzt. Und die haben ihre<br />
Anbetung gehalten, weil er mit so zarter Stimme... Aber das hat jetzt nichts mit Führung zu<br />
tun. Ja, warum, wenn Sie das als Führung betrachten, warum haben die an dessen Lippen<br />
gehangen? Ja aus... das kann ich nicht so sagen.<br />
Rolf van Dick: War er charismatisch? In der Art wie er im Hörsaal stand?<br />
Norbert Blüm: Ja, aber unter Charisma stelle ich mir immer so einen Propheten vor. Nein,<br />
der ist ein Charismat im Leisen, im leisen Wehen des Windes. Das war nicht der<br />
Charismatiker, der Feuer spuckt. Sondern das war der Charismatiker, der mit leisen Tönen,<br />
mit Zartheit, die Menschen band. Und das hat er, ja. Und ich meine, reden kann er ja heute<br />
noch.<br />
Rolf van Dick: Ja, er kommt ja auch im September nach Deutschland, da wird er ja sicher<br />
auch wieder die Massen bewegen. Wir haben jetzt über gute Führung gesprochen, wie Sie<br />
sozusagen selber geführt haben, wer Sie inspiriert hat. Warum geht Führung so oft schief?<br />
Warum sehen wir ständig...<br />
Norbert Blüm: Ja, das muss nicht nur am Führer liegen, das kann auch an den Geführten<br />
liegen. Weil beispielsweise Neid stört. Gucken, Kooperation. Wettbewerb muss nicht stören,<br />
aber es kann, wenn es ein Wettbewerb auf Gedeihen und Verderb wird. Dann ist der Führer<br />
mehr mit der Abwehr seiner Konkurrenten als mit Führung beschäftigt. Er muss sich<br />
allerdings fragen, ob er was falsch gemacht hat. Aber das muss ja nicht an ihm liegen. Das<br />
kann auch, wie ich sage, an Neidern liegen. Hängt also von der Gruppe ab. Dann hängt es ab<br />
- Führer, die Egomanen sind, halte ich für lebensgefährlich. Das ist, was ich vorhin gesagt