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Leadership-Interview-Transkript - Sozialpsychologie - Goethe ...

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er widersprechen, da kam natürlich von ihm auch etwas das ich gelernt habe im Laufe der<br />

Jahre, seine pragmatische Erfahrung in Sachen Politik: was ist wünschbar und was ist<br />

machbar aufgrund vorhandener oder nicht vorhandener Mehrheitsverhältnisse, aus der<br />

Oppositionsrolle heraus, später aus der Position des Regierenden. Das sind Dinge für<br />

jemanden, der aus einem freien Beruf heraus kam, wie ich, und der in seiner Arbeit einer ganz<br />

anderen Gesetzmäßigkeit folgt, nämlich ästhetischen Gesetzen, der war auf einmal in einem<br />

Bereich als Bürger, wo es um politische Entscheidungen geht und in einer Demokratie sind<br />

die meisten Entscheidungen, die getroffen werden, von Kompromissen begleitet.<br />

Also war da eine gewisse Kompromissfähigkeit, die mir vermittelt werden musste. Die gibt es<br />

im künstlerischen Bereich nicht. Abstimmungen über künstlerische Produkte führen immer zu<br />

einer Förderung des Mittelmaßes, wahrscheinlich weil die Kunst oder die Künste selbst<br />

vordemokratisch in ihrem Charakter sind. In der Politik ist das anders, und das waren die<br />

Dinge – da habe ich meinen Anteil, meine Sicht mit hineingebracht, auch meine Kritik, auch<br />

meine Mitarbeit, aber auch in dem Sinne gelernt, was pragmatische Möglichkeiten des<br />

Umsetzens von Wünschbarem, von Programmmäßigem, von dem was auf dem Papier steht<br />

und was nach so und so vielen Kompromissen schon wieder einen anderen Charakter<br />

annimmt, betrifft.<br />

Rolf van Dick: Sie sagen eine gute Eigenschaft von Willi Brandt war es, zuzuhören, oder Rat<br />

anzunehmen,Sie sagen in „Grimms Wörter“, dass Sie ihm beigebracht haben, „Ich“ zu sagen<br />

das ist ja ein sehr intimes Beispiel, ja sich zu ändern in der Art und Weise, wie man spricht,<br />

wie man öffentlich auftritt…<br />

Günter Grass: Also habe ich das zum Schluss ja auch deutlich gemacht, also erstmal fand<br />

ich es nicht angemessen, und diese Einleitung, „Wer hier spricht, meint…“, hat etwas<br />

Gestelztes und Umständliches.<br />

Rolf van Dick: Ich nehme an Sie würden das heute, auch aus Zeitgründen, selbst nicht mehr<br />

machen, aber würden Sie jüngeren Kollegen heute noch raten so etwas zu tun, weil sie lernen<br />

können, oder sagen Sie die politische Kultur ist so eine andere geworden, dass es wenig Sinn<br />

macht zu versuchen, sich in der Form einzubringen?<br />

Günter Grass: Ich fände es schade, wenn die so oft gebrochene Tradition, dass sich nicht nur<br />

Schriftsteller, Leute aus diesem Bereich, Wissenschaften, Künsten auch jeweils als Bürger in<br />

ihrem Land verstehen. Ich meine, „Grimms Wörter“, das Sie erwähnten, es ist den Brüdern<br />

Grimm nicht in die Wiege gelegt worden, sich eines Tages derart politisch exponieren zu<br />

müssen. Sie waren eigentlich in gewissem Sinne agrarpolitisch, waren ganz ihrer<br />

wissenschaftlichen Arbeit verbunden und wurden dann als Professoren in Göttingen einem<br />

Verfassungsbruch konfrontiert und das führte dann zu diesem Aufstand der „Göttinger<br />

Sieben“, wobei man sagen muss, die führende Person der „Göttinger Sieben“ war ja der<br />

Dahlmann, der Staatsrechtler.<br />

Aber Jakob Grimm und, etwas zögerlicher, auch Wilhelm haben da mitgemacht und haben<br />

dann auch die Konsequenzen tragen müssen. Das hat sich dann später bei den deutschen<br />

Professoren verloren, da gab es diese Distanz zur Politik, bis zum Mitmachen hin…also es ist<br />

jämmerlich, wenn man genau hinschaut, wie wenig oder wie verschwindend wenig von<br />

deutschen Universitäten ausgegangen ist nach 1933, und wie man mitgemacht hat. Das ist<br />

schon ein unrühmliches Blatt innerhalb der deutschen Geschichte.<br />

Und nach 1945 ist es für mich auch die ältere Generation, also 10 Jahre älter, das war eine<br />

Menge zu dieser Zeit. Heinrich Böll war für mich auch ein Beispiel wie man sich als<br />

Schriftsteller auch gesellschaftlich äußert und prägend einbringt und Menschen ansprechen<br />

kann, anders ansprechen kann als es ein Berufspolitiker tut. Und das habe ich auf meine Art

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