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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Papierfabriken, der Holzbeischliffzwang bei der Zelluloseherstellung, der Beischmelzzwang für<br />

Eisenerz sind Beispiele für die Entfaltung der Zwangswirtschaft. Weitere Marterwerkzeuge aus der<br />

Folterkammer der Kriegswirtschaft waren die bis zum 19. Juli 1926 geltende Preistreibereiverordnung<br />

und die Preisprüfungsstellen. Mit der IV. Notverordnung von 1931 wurde bereits wieder ein<br />

Preiskommissar berufen. Er wurde mit erheblichen Vollmachten ausgestattet, bis zur Möglichkeit der<br />

Betriebsschließung. Im Juli 1930 wurde bereits die Kartell-Notverordnung erlassen, die<br />

unwirtschaftliche Preisbindungen verhindern sollte. 154 Was war eine wirtschaftliche Preisbindung, was<br />

eine unwirtschaftliche?<br />

Als die Bankenkrise ausbrach und die Danatbank zahlungsunfähig wurde, verfügte die<br />

Reichsregierung Anfang 1932 kurzerhand Bankenzusammenschlüsse: Die Danat-Bank und Dresdner<br />

Bank einerseits und die Commerz- und Privat-Bank und der Barmer Bank-Verein Hinsberg, Fischer &<br />

Co. in Düsseldorf andererseits mussten per ordre du mufti miteinander fusionieren. Eine gleichzeitige<br />

„Kapitalrekonstruktion“ hatte die Beteiligung des Reiches und der Reichsbank in Höhe von 70 % an<br />

der Commerz- und Privat-Bank zur Folge. Es gab kein wesentliches Aufmucken der Kapitaleigner,<br />

weil diese etatistische Herangehensweise inzwischen eingeübt war.<br />

Viele Wirtschaftswissenschaftler der Weimarer Zeit, hier wären exemplarisch der Sozialdemokrat<br />

Rudolf Hilferding und Jopeph A. Schumpeter zu nennen, machten sich über den Charakter der<br />

wirtschaftlichen Zwangvereinigungen etwas vor. Die Frage, die es zu lösen galt war: Waren diese<br />

Wirtschaftsvereinigungen, die durch staatlichen Druck zustandegekommen waren, dennoch freiwillige<br />

privatwirtschaftliche Zusammenschlüsse mit überwiegend privatwirtschaftlichem, individualistischem<br />

und damit kapitalistischem Charakter, oder waren es privatwirtschaftliche Monstren mit staatlichen<br />

Abhängigkeiten und überwiegend planwirtschaftlichem Charakter? Die Wirtschaftswissenschaft hätte<br />

sich fragen können, ob die Wirtschaftsvereinigungen, die Trusts, die Syndikate nicht eher organisiert<br />

waren wie die privatwirtschaftlichen Markgenossenschaften, Zünfte und Gilden, denen <strong>das</strong> Element<br />

individualistischer Wirtschaftsführung und damit der kapitalistische Geist völlig fehlten.<br />

Hilferding mochte auf den Begriff des Kapitalismus für diese Wirtschaftsform nicht verzichten:<br />

"Wir befinden uns augenblicklich in einer Periode des Kapitalismus, der im wesentlichen die Ära<br />

der freien Konkurrenz, in der der Kapitalismus rein durch <strong>das</strong> Walten der blinden Marktgesetze<br />

beherrscht war, überwunden ist, und wir zu einer kapitalistischen Organisation der Wirtschaft<br />

kommen, also von der Wirtschaft des freien Spiels der Kräfte zur organisierten<br />

Wirtschaft...Organisierter Kapitalismus bedeutet...in Wirklichkeit den prinzipiellen Ersatz des<br />

kapitalistischen Prinzips der freien Konkurrenz durch <strong>das</strong> sozialistische Prinzip planmäßiger<br />

Produktion. Diese planmäßige mit Bewußtsein geleitete Wirtschaft unterliegt in viel höherem Maße<br />

der Möglichkeit der bewußten Einwirkung der Gesellschaft, <strong>das</strong> heißt nichts anderes, als der<br />

Entwicklung durch die einzige bewußte und mit Zwangsgewalt ausgestattete Organisation der<br />

Gesellschaft, der Einwirkung durch den Staat...Das heißt nichts anderes, als daß unserer<br />

Generation <strong>das</strong> Problem gestellt ist, mit Hilfe des Staates, mit Hilfe der bewußten<br />

gesellschaftlichen Regelung diese von den Kapitalisten organisierte und geleitete Wirtschaft in eine<br />

durch den demokratischen Staat geleitete Wirtschaft umzuwandeln." 155<br />

Hilferding räumte den Verlust der kapitalistischen Prinzipien ein, er idealisierte die Möglichkeiten der<br />

Planwirtschaft, er diagnostizierte den endgültigen Zugriff des Staats, aber er ahnte seltsamerweise<br />

nicht, daß am Schlusse weder ein demokratischer noch ein marxistischer Staat, sondern ein Staat mit<br />

einem ausgeprägten reformistisch begründeten diktatorischen Herrschaftsanspruch zugreifen würde.<br />

Wenn Hilferdings Theorie (die von der Lenin´schen Imperialismustheorie nicht weit entfernt war)<br />

gestimmt hätte, dann hätten sich aus der planwirtschaftlichen Markgenossenschaft, aus der<br />

planwirtschaftlichen Zunft und aus der planwirtschaftlichen Gilde mitten im Mittelalter kleine<br />

demokratische Dörfer, Städte und Städtebünde entwickeln müssen, Keimzellen des demokratischen<br />

Sozialismus. In Wirklichkeit entwickelten sich aus kleinen überschaubaren Genossenschaften mit ihrer<br />

kleinkarierten Wirtschaftstyrannei kleine überschaubare politische Tyranneien, egal ob sie von<br />

ländlichen Schuldheißen (die ihren Untertanen ihre Schuld hießen, ihnen ihre Pflichten verdeutlichten)<br />

oder geltungssüchtigen städtischen Patriziern geführt wurden. Gerade die Geschichte der deutschen<br />

Kleinstaaterei, wo es Reichsstädte, Reichsdörfer, ein Reichstal und eine Reichsvogtei gab, hielt für<br />

154<br />

M. Nussbaum, Wirtschaft und Staat in Deutschland während der Weimarer Republik, Akademie-Verlag, Berlin,<br />

1978, S. 306 f.<br />

155<br />

Rudolf Hilferding auf dem Kieler Parteitag der SPD 1927, zitiert in:<br />

www.trend.partisan.net/trd0202/t110202.html<br />

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