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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Wie verhielt sich <strong>das</strong> Zentrum, <strong>das</strong> seine Inspiration zumindestens fragmentarisch doch aus der<br />

ewigen Hauptstadt bezog? Es war in der Tat die einzige Partei, die in Deutschland in nennenswerter<br />

Anzahl auch von Polen gewählt wurde, allerdings mit abnehmender Tendenz. Die römisch-katholische<br />

Internationalität wurde durch Nationalstaatsgedanken und nationalstaatliche Loyalitäten gebrochen<br />

und ergab in der Summe immer wieder haarsträubende Abstrusitäten oder zumindest diffuse<br />

Spannungsfelder. In der Weimarer Republik muß an die Kanzler Wirth und Marx erinnert werden,<br />

denen die Freundschaft zur gotteslästernden und gotteslästerlichen Sowjetunion wichtiger war, als die<br />

Freundschaft zum katholischen Frankreich, denen die Aufrüstung mit Hilfe der Roten Armee wichtiger<br />

war, als die Unterstützung des katholischen Polens gegen ketzerische sowjetrussische<br />

Großmachtpläne. Hans Mommsen wies für 1927 auf die Inbetriebnahme einer Panzerschule bei<br />

Kasan und eines gemeinsam genutzten Militärflugplatzes bei Lipezk hin; die technische<br />

Zusammenarbeit mit der Roten Armee bei der Fabrikation von Giftgas, alles <strong>das</strong> fiel in die<br />

Regierungszeit von Wilhelm Marx. 50 Jahre Marsch durch die preußisch-deutschen Institutionen<br />

hatten deutliche Spuren hinterlassen. Der Preußen-Fan Brüning qualifizierte sich für <strong>das</strong> Kanzleramt<br />

nicht über besondere Beziehungen nach Rom, sondern nach Berlin. Franz von Papen schließlich<br />

gehörte zu den Totengräbern der republikanischen Ordnung.<br />

Die reformistische Propaganda stellte <strong>das</strong> Zentrum immer wieder als vaterlandslos hin:<br />

"Die Ultramontanen (<strong>das</strong> Zentrum) gehören zwei Staaten an: dem Deutschen Reich und dem<br />

universalen Gottesstaat, an dessen Spitze der Papst steht. Und weil sie völlig befangen sind in den<br />

mittelalterlichen Ideen des theokratischen Universalismus, können sie kein volles Verständnis für<br />

ein lebhaftes Nationalbewußtsein haben; ja, sie nehmen die Polen, Dänen, elsässische<br />

Französlinge, Tschechen in Schutz gegen <strong>das</strong> Deutschtum." 327<br />

Hinsichtlich der Stellung zum Nationalstaat war <strong>das</strong> Zentrum entgegen der preußischen Propaganda<br />

leider ein nur sehr mäßig dämpfendes Element. Bereits nach dem Ende des Kulturkampfes hatte sich<br />

<strong>das</strong> Zentrum, wie der ganze deutsche Katholizismus überhaupt, mit dem Kaiserreich leidlich<br />

arrangiert. In Bezug auf die Propagierung von Weltverbesserungssystemen war <strong>das</strong> Zentrum dagegen<br />

zu alt und zu erfahren, um die ärgsten ideologischen Schwankungen immer sofort mitzumachen.<br />

Starke Beharrungskräfte und Traditionen behinderten <strong>das</strong> politische und ideologische Flattern im<br />

Wind, besonders wenn es um Erziehungsfragen ging. Das bedeutet nicht, daß die katholische Kirche<br />

und die Zentrumspartei davor gefeit war, langfristig modernen Tendenzen und Verlockungen<br />

nachzugeben. Die Katholiken waren regelmäßig nicht die ersten, sondern die letzten, die sich dem<br />

Zug der Lemminge anschlossen, aber der Zug der Lemminge war lang.<br />

So ahmte die katholische Jugendbewegung "Quickborn" in den 20er Jahren den Stil der bündischen<br />

Jugend nach, zog auf Grund dieser Zugeständnisse und Huldigungen an den Zeitgeist jedoch<br />

Hunderttausende von Mitgliedern an.<br />

Protestantismus, Liberalismus, Sozialismus und alle Reformismen der ersten beiden Jahrzehnte des<br />

20. Jh. wurden als konkurrierende Heilslehren wahrgenommen und mehr oder weniger vehement<br />

bekämpft, reflexhaft war besonders der Kampf um die Schulpolitik, und hier um die katholische<br />

Grundschule.<br />

Die folgende Tabelle gibt den Prozentsatz der Katholiken an der Gesamtbevölkerung 1925 wieder,<br />

den Anteil des Zentrums bei der zweiten Wahl 1924 und den Anteil der Zentrumswähler an der Zahl<br />

der Katholiken.<br />

In Gebieten mit kompakter katholischer Bevölkerung war der Einfluß des Zentrums noch hoch, in<br />

Gebieten mit katholischen Minderheiten fehlten die Bindung und die Durchschlagskraft. Das<br />

Kaiserreich, die Weimarer Republik und <strong>das</strong> Dritte Reich waren wesentlich atheistischer als die<br />

Bundesrepublik, und der Atheismus war wesentlich giftiger und militanter, als heute.<br />

Trotz der allgemeinen religiösen Schwächephase in der Zeit von 1840 bis 1940 war <strong>das</strong> Zentrum die<br />

einzige Regierungspartei, die die Weimarer Zeit ohne katastrophale Zustimmungsverluste ihrer<br />

Klientel überstand.<br />

327 Heinrich Wolf: Angewandte Geschichte, Theodor Weicher, Leipzig, 9. Aufl. S. 270<br />

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