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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Überflüssigen! Nein, ich mag sie nicht, diese im<br />

himmlischen Netz verschlungenen Thiere!<br />

Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht zusammenfügte!<br />

Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind hätte nicht Grund über seine Eltern zu weinen?<br />

Würdig schien mir dieser Mann und reif für den Sinn der Erde: aber als ich sein Weib sah, schien<br />

mir die Erde ein Haus für Unsinnige.<br />

Ja, ich wollte, <strong>das</strong>s die Erde in Krämpfen bebte, wenn sich ein Heiliger und eine Gans mit einander<br />

paaren.<br />

Dieser ging wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er sich eine kleine geputzte<br />

Lüge. Seine Ehe nennt er´s.<br />

Jener war spröde im Verkehre und wählte wählerisch. Aber mit einem Male verdarb er für alle Male<br />

seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er´s.<br />

Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit einem Male wurde er die Magd<br />

eines Weibes, und nun thäte es Noth, <strong>das</strong>s er darüber noch zum Engel werde.“ 140<br />

Auch im Volkslied der Jahrhundertwende wird ein sehr ambivalentes Verhältnis des Mannes zum<br />

andern Geschlecht manifest: In „Von den Bergen“, <strong>das</strong> bei jeder Kirchweih gesungen wurde heißt es:<br />

„In der Heimat angekommen, ja ja ja fängt ein neues Leben an:<br />

eine Frau wird sich genommen, kleine Kinder bringt der Weihnachtsmann“<br />

Derselbe Fidus, der die Frau auf den Arm des Übermenschen setzte, warb auch für die Sexualreform,<br />

allerdings mit Hilfe der Magie und der Mystik. Die Reform war eben heterodox. Die antiklerikale<br />

Reformbewegung, hier bei der symbolischen Darstellung der Vorstellungen zur Sexualreform in Form<br />

einer Sexualreligion, ging mit dem Symbol des Hakenkreuzes ganz unbefangen um. 1968 erfolgte die<br />

sexuelle Befreiung unter anderen Vorzeichen, aber mit demselben missionarischen Eifer.<br />

Fidus hat 1901 in seinem Entwurf eines Kopulationstempels „Tempel der Erde“ einige Hinweise zum<br />

nietzscheanischen Mann-Frau-Verhältnis gegeben. Auf der Frauenseite gibt es den Saal der Lust, die Halle der<br />

Gefühle und den Saal der Sehnsucht, die Männer gehen durch den Saal des Ehrgeizes, die Halle des Willens<br />

und den Saal der Liebe bevor in der Halle der Ergebung die Zuteilung der Paare erfolgt. Massenhochzeiten wie in<br />

Korea waren vorgesehen.<br />

Die Männerbünde hatten in den zwanziger Jahren ihre Hochkonjunktur: Wandervogel,<br />

Burschenschaften, Stahlhelm, Sturmabteilungen, Rotfrontkämpferbund, Vereine von ehemaligen<br />

Maschinengewehrschützen. In allen diesen Vereinigungen konnte man seiner schönen,<br />

leidenschaftlichen und auf ihre Art sehr intelligenten Frau entkommen. In nicht wenigen dieser<br />

Organisationen bildeten sich schwule Netzwerke. Besonders davon betroffen waren naturgemäß die<br />

Bünde und die SA. Nicht nur im George-Kreis knisterte es homoerotisch, auch an allen Fronten des<br />

Ersten Weltkriegs.<br />

Der als Kriegsliterat sehr umtriebige Wanderer zwischen den Welten, Walter Flex hatte ein Verhältnis<br />

mit Ernst Wurche, <strong>das</strong> im „Wanderer“ seinen literarischen Niederschlag gefunden hat:<br />

Der Waffenlose Feiertag des sechsten Juli wurde ganz ein Geschenk seines frischen Herzens an<br />

<strong>das</strong> meine... Im buntwuchernden Wiesenkraut ließen wir uns von Sonne und Wind trocknen, und<br />

die leisen, zitternden Sonnenwellen rannen glieichmäßig durch Luft und Sand und <strong>Menschen</strong>leib<br />

und durchgluteten alles Lebendige mit trunkener Kraft und erschlaffender Freude. 141<br />

Freud vermutete, <strong>das</strong>s sich Homosexualität mit Massenbindungen besser verträgt, auch wenn sie als<br />

ungehemmte Sexualstrebung auftrete. Adorno behauptete gar „Totalität und Homosexualität gehören<br />

zusammen“. Theweleit hat sich mit dem Zusammenhang von Homosexualität und weißem Terror<br />

auseinandergesetzt, allerdings aus der Sicht der Psychoanalyse mit Blick auf Körperflüsse und<br />

140 F. Nietzsche, Zarathustra, Von Kind und Ehe<br />

141 Walter Flex, Wanderer, S. 42 f<br />

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