Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Durcheinander von Dreiecken, Zahnrädern und Gestirnen traten zurück und machten einer<br />
detaillierteren Darstellung der Wirklichkeit Platz.<br />
Der spekulative Charakter der Lyrik als Schwimmen und Versinken in der Natur und in subjektiven<br />
Stimmungen verschwand. Die Lyrik der <strong>Neue</strong>n Sachlichkeit verstand sich als Naturbeschreibung.<br />
Das epische Theater, als Beispiel die "Dreigroschenoper" kritisierte die Gesellschaft nicht mehr in<br />
unverständlichen Metaphern, sondern in für <strong>das</strong> breite Publikum verständlicher Form, wenn auch mit<br />
fragwürdigen Inhalten. Über den Wert der Lehrstücke als Lehrstücke kann man geteilter Meinung sein,<br />
denn zur Empirie gehört eben auch der Irrtum. Die Lehrstücke könnten von Nietzscheanern als<br />
Beweis gewertet werden, daß die Welt nicht erkennbar ist, da die Lehren der Lehrstücke elitaristische<br />
Irrlehren sind. Allein der Glaube an eine wie immer geartete Wahrheit und die Annahme von<br />
Erkennbarkeit gesellschaftlicher Phänomene war jedoch ein kleiner Fortschritt.<br />
Die Darreichungsform des neuen Theaters war nüchtern, modern und auf eine rationale<br />
Wahrnehmung ausgerichtet. Der Erfolg der Dreigroschenoper als Kassenreißer war eigentlich<br />
unbeabsichtigt, wollte Brecht doch provozieren statt zu amüsieren. Das Publikum schien auf <strong>das</strong><br />
epische Theater zu warten, es amüsierte sich über <strong>das</strong> Spruchband "Glotzt nicht so romantisch", es<br />
erfreute sich an der neuen Form. Das Lehrstück geht prinzipiell von der Erkennbarkeit der Welt aus,<br />
Analyse, Synthese, Lehre, <strong>das</strong> sind Begriffe, die sich vor allem gegen die verschwommenen und<br />
verwaberten Ismen und gegen Nietzsches Verdikt über die Wissenschaft richteten. Es schien so, als<br />
wären die Rationalität, die Erklärbarkeit, die Erkennbarkeit und der Pragmatismus auf dem Vormarsch.<br />
Der Irrationalismus Nietzsches hatte ein gutes Jahrzehnt ge<strong>braucht</strong>, um Deutschland und Europa zu<br />
infizieren, zu reformieren und zu verderben. Um 1925 begann der steinige, mißverständliche,<br />
ungleichmäßige und widersprüchliche Weg zurück zur Rationalität. Dieser Weg setzte nicht da an, wo<br />
er geendet hatte, wo er abgebrochen worden war. Widersprüchlich war der Rückweg zur Vernunft vor<br />
allem deshalb, weil er auch und zunächst gerade von den Verkündern von Heilslehren und<br />
Erlösungssystemen beschritten wurde.<br />
Die lange verdrängte Rationalität betrat die Bühne in Brecht´s Lehrstücken als allerbilligste<br />
stalinistische Parteipropaganda. Bertold Brecht machte aus dem epischen Theater eine Plattform der<br />
kommunistischen Agitation und Adolf Hitler forderte in einem Brief an Adolf Gemlich, daß der<br />
Antisemitismus als politische Bewegung nicht durch Momente des Gefühls, sondern durch die<br />
Erkenntnis von Tatsachen bestimmt werden müsse. Die Wiedergeburt der formalen Rationalität<br />
erfolgte so plötzlich, daß der Geist der Rationalität sich nicht im selben Tempo generieren konnte, wie<br />
dessen Form. Die gegenständliche Form wurde so zur Hülle des Irrationalen.<br />
Fast alle Künstler der Sachlichkeit waren Ästhetizisten oder Elitaristen und übersetzten Nietzsche ins<br />
Gegenständliche. Es fällt schwer eine poltische Grundrichtung der neuen Sachlichkeit zu erkennen:<br />
sie wird in der Kunstgeschichte gern in einer Affinität zur Sozialdemokratie gesehen; blos warum gab<br />
es dann so viele malende Kommunisten und Nationalsozialisten?<br />
Vor und verstärkt nach 1933 verließen viele Künstler Deutschland, aber der Stil der <strong>Neue</strong>n<br />
Sachlichkeit überlebte auf die eine oder andere Weise. In der Architektur beispielsweise zog sich der<br />
Funktionalismus unter Ziegeldächer zurück. Ein Beispiel unter vielen ist <strong>das</strong> Haus Mohrmann von<br />
Hans Scharoun, <strong>das</strong> 1939 in Berlin errichtet wurde. Die Nationalsozialisten hatten im Gegensatz zu<br />
den künstlerischen Strömungen um den Ersten Weltkrieg zur <strong>Neue</strong>n Sachlichkeit ein entspanntes<br />
Verhältnis. Der Volks-Brockhaus von 1936 referierte: "<strong>Neue</strong> Sachlichkeit, Schlagwort für die<br />
Kunstrichtung der jüngsten Zeit, besonders in Bezug auf Häuser und Wohnräume: Verzicht auf<br />
äußeren Prunk und unechte Behaglichkeit zugunsten einer bis ins letzte durchdachten<br />
Zweckmäßigkeit." Die Nationalsozialisten eigneten sich die <strong>Neue</strong> Sachlichkeit so an, wie <strong>das</strong> Lied von<br />
der Loreley: ohne Angabe des Verfassers als Volkskunst. Gelegentliche Ausfälle von Frick oder Hitler<br />
gegen die Sachlichkeit bezogen sich weniger auf Formfragen, als auf die künstlerische Haltung, die<br />
nicht engagiert genug, eben zu distanziert, zu sachlich erschien.<br />
Barthel Gilles malte 1930 "Ruhrkampf". Gilles Bild nahm Bezug auf die Kämpfe der roten Ruhrarmee<br />
1923. Gilles kam vom Expressionismus, trat 1929 in die KPD und die nach Moskauer Vorbild<br />
gegründete kommunistische Künstlervereinigung ASSO ein. Bereits 1933 stellte er in der Ausstellung<br />
"Gesunde Frau, Gesundes Volk" aus. Es folgten regelmäßige Ausstellungen der "Deutschen<br />
Arbeitsfront, NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude." Viele seiner Arbeiten wurden 1943 durch einen<br />
Bombenangriff vernichtet. "Entartete Kunst" war nicht sein Ding.<br />
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