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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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sozialistischen Bewegung, alle ihre Irrungen und Entzweiungen, aller Mißerfolg ihrer Propaganda,<br />

all ihre deprimierenden Vergeblichkeiten (bei phantastisch chancenreicher objektiver Situation:<br />

jeder dritte Deutsche erwerbslos!) beruhen auf der im Fundament falschen, im Keim vergifteten<br />

sozialistischen Theorie. (...) heute ist dies Wissen (....) schon Gemeingut Vieler; sie sind die<br />

Vorbereiter des sozialistischen Aufschwungs von morgen. Demnach stehen die Paetel-Sozialisten,<br />

so sehr sie vom Nationalismus, von etwas zu Überwindendem, kommen, mit der Zukunft enger im<br />

Bunde als <strong>das</strong> marxistische Gros - eine Tatsache, die uns verpflichtet, der Entwicklung dieser<br />

Gruppe mit erheblicher Aufmerksamkeit zu folgen. Mit einer Aufmerksamkeit, versteht sich, die nur<br />

kritisch sein kann.“<br />

Selbstverständlich lohnte es sich nicht, die Paetel-Gruppe zu beobachten, weil die Verbindung von<br />

Sozialismus und philosophischem Idealismus von allen möglichen Seiten betrieben wurde: Von Georg<br />

Lukacs genauso wie von Wladimir Iljitsch Lenin, von Kurt Hiller wie von Adolf Hitler. Das<br />

materialistische Abrakadabra, die Abhängigkeit des ideologischen Überbaus von der materiellen<br />

Basis, wurde ersetzt durch ein idealistisches Simsalabim, <strong>das</strong> "Primat der Politik über die Ökonomie".<br />

Lenin hatte den von Marx erträumten Sozialismus, der Folge der Reife der Produktivkräfte gewesen<br />

wäre, durch die Erziehungsdiktatur einer Kleingruppe ersetzt, die gerade die Unreife dieser<br />

Produktivkräfte zur Erlangung ihrer Macht nutzte und diese Unreife zum Machterhalt letztlich<br />

aufrechterhalten musste. In den Anfangsjahren wurde die Elektrifizierung vorangetrieben, Räder und<br />

Wellen drehten sich wie von Zauberhand; in den Endjahren nach dem Ende der Periode der<br />

Vorherrschaft der Schwerindustrie scheiterte <strong>das</strong> System erkennbar an den Erfordernissen der<br />

Kommunikationsgesellschaft. Es war 1989 nicht mehr länger haltbar, über jedes ver<strong>braucht</strong>e Blatt<br />

Kopierpapier Buch zu führen, um die Herstellung von Flugblättern zu verhindern. Praktisch hatte Lenin<br />

sich vom Marxismus konsequent gelöst, indem er eine Führerdiktatur schuf und auf die materielle<br />

Basis des Sozialismus pfiff. Diese idealistische Volte wurde jedoch bis 1989 nicht theoretisch<br />

aufgearbeitet. Den Schülern des Marxismus-Leninismus wurde 70 Jahre lang der historische und<br />

dialektische Materialismus eingetrichtert; jede philosophisch-idealistische Regung wurde erstickt. Eine<br />

Kontinuität von Marx zu Lenin wurde behauptet und begründet. Jeder Fußabdruck der russischen<br />

Exilanten Lenin und Trotzki im Sand der Jugendbewegung wurde von den Schreiberlingen der<br />

Geschichte der KPdSU eingeebnet. Was Lenin in Sibirien gelesen hat, wurde dem interessierten<br />

Leser preisgegeben, was er in München, Zürich und Ascona getrieben hat, wird außer der Arbeit an<br />

der „Iskra“ und dem „Imperialismus“ ein Geheimnis bleiben. Im Kloster des Marxismus-Leninismus<br />

wurde hinter einem materialistischen Vorhang idealistisch gesündigt. Diese Lebenslüge wollte Hiller<br />

entlarven. Lenin, Stalin und Breshnew hielten aber am materialistischen Abrakadabra fest, um ihre<br />

Umtriebe besser zu tarnen und die Eigenständigkeit des realen Sozialismus zu betonen. Dafür war<br />

Marx noch gut. Marx verschaffte gegenüber den Dutzenddiktaturen ein nützliches<br />

Alleinstellungsmerkmal. So wie der Islam jüdische Urväter benötigt, um die Kontinuität der Verbindung<br />

zu Gott darzustellen, so benötigte der Leninismus den proletarischen Urvater Marx. Das<br />

„Kommunistische Manifest“ und <strong>das</strong> „Kapital“ halfen, aus dem Bodennebel der politischen Banalität<br />

herauszufinden.<br />

Interessant ist, egal ob Hiller oder Tucholsky sich als Autoren betätigten, die Beobachtung des Zieles<br />

der „Weltbühne“: mit allen Mitteln die verhaßte Republik zu beseitigen. Hiller zitierte genüsslich <strong>das</strong><br />

Mitglied des Paetel-Kreises Karl Baumann:<br />

Und:<br />

"Ablösung der kapitalistischen Ordnung durch den sozialistischen Aufbau. Die Verteidigung dieses<br />

Aufbaus mit allen Mitteln nach innen und außen."<br />

"NSDAP und KPD heben durch ihren Kampf untereinander ihre Kraft auf. Ihr Kampf gibt dem<br />

Bürgerstaat und der Bourgeoisie <strong>das</strong> Gleichgewicht."<br />

Man kann hier schon herauslesen, wie Hiller, eskortiert von Gänsefüßchen, unter Zuhilfenahme der<br />

Gedanken eines Bruders im Geiste, einem Ende des Bürgerstaats durch einen Stalin-Hitler-Pakt <strong>das</strong><br />

Wort redete. Hiller weichte im Angesicht dieser totalitaristischen Konvergenztheorie die ideologische<br />

Grenze zwischen Arbeiterbewegung und Reformbewegung, die seit Lenin ohnehin fließend geworden<br />

war, weiter auf. Ziel war die weitere „Idealisierung“ der kommunistischen Bewegung, ihre Anpassung<br />

an <strong>das</strong> politische Biotop des ständisch-korporatistischen Sumpfs in Deutschland.<br />

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