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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Die Novemberrevolution und die Nationalversammlung<br />

Der Krieg, wenn er weitergeht, wird weitergehen gegen den Westen allein ...<br />

Mit dem Ausscheiden Rußlands aus der Entente im Frühjahr 1918 waren Frankreich, Großbritannien<br />

und die Vereinigten Staaten als Feinde an der Westfront verblieben. Das Deutsche Reich kämpfte nun<br />

bis zum Waffenstillstand von Compiegne nur noch mit „kapitalistischen“ Feinden; nach dem<br />

Ausscheiden des vorbürgerlichen Russlands aus dem Feindbund wurde in der Wahrnehmung der<br />

deutschen Intellektuellen ein ideologisch noch klarerer umrissener Kampf der idealistischen Kultur mit<br />

dem westlichen Mammonismus und Demokratismus daraus stilisiert.<br />

In den „Betrachtungen eines Unpolitischen“, die 1918 erschienen, als Russland aus dem Krieg schon<br />

ausgeschieden war, schüttete beispielsweise und exemplarisch Thomas Mann seine gelb gewordene<br />

Galle über den wahren Feind der Menschheit aus. Der westlichen Zivilisation stellte er die deutsche<br />

Kultur als Leitbild entgegen: Dem Begriff der deutschen Kultur entsprächen der „Wille zur Macht und<br />

Erdengröße“ sowie „<strong>das</strong> Soldatische“, während „Deutschlands Feind im geistigsten, instinktmäßigsten,<br />

giftigsten, tödlichsten Sinn ... der pazifistische, tugendhafte, republikanische Rhetor-Bourgeois“„ sei.<br />

Dessen Attribute eskortierte Mann allesamt mit Gänsefüßchen, um beim Leser den Verdacht zu<br />

implizieren, <strong>das</strong>s alles Heuchlerei sei. Der deutsche kosmopolitische Bürger der geographischen,<br />

sozialen und seelischen Mitte bleibe Träger deutscher Geistigkeit, Menschlichkeit und Anti-Politik. 184<br />

Wo Thomas Mann und andere von Geistigkeit träumten, da wähnten sich Ökonomen und Philosophen<br />

wie Friedrich Naumann, Edgar Jaffé, Werner Sombart, Johann Plenge und Oswald Spengler im<br />

Reiche des Deutschen Sozialismus, der in Wirklichkeit die vom Mittelalter inspirierte Verzunftung von<br />

Industriestrukturen meinte. Nicht nur in Deutschland erfreute sich der Durchschnittsökonom am knockout<br />

des Kapitalismus; auch auf <strong>das</strong> Ausland wurde diese Sichtweite projiziert: Der Nationalökonom<br />

und Kathedersozialist Lujo Brentano feierte die russische Oktoberrevolution als nationalen Aufstand<br />

gegen <strong>das</strong> anglo-amerikanische Kapital, welches im Ausgleich für russische Schulden<br />

Konzessionsgebiete von der Größe des europäischen Russlands erhalten hätte. 185<br />

Der Friede im Osten war von Deutschland organisiert worden: Lenin durfte durch Deutsches<br />

Staatsgebiet nach Stockholm fahren, um Russland zu erreichen und zu revolutionieren. Mit deutschen<br />

Millionen wurde die bolschewistische Parteipresse zur leistungsfähigsten in Russland gemacht. Im Juli<br />

1917 druckten die Bolschewiki 320.000 Zeitungen täglich. Im Dezember 1917 sollen 15 Millionen<br />

Reichsmark den Weg zum Waffenstillstand von Brest-Litowsk geebnet haben.<br />

Der außenpolitisch immmer bewegliche, um nicht zu sagen umtriebige Kaiser Wilhelm II regte<br />

folgerichtig an, zu untersuchen, ob man mit dem bolschewistischen Russland nicht in ein Bündnis-<br />

oder Freundschaftsverhältnis kommen könne. Genauso tat es sein reformistischer Untertan Thomas<br />

Mann.<br />

„Wenn Seelisches, Geistiges überhaupt als Grundlage und Rechtfertigung machtpolitischer<br />

Bündnisse dienen soll und kann, so gehören Russland und Deutschland zusammen: ihre<br />

Verständigung für jetzt, ihre Verbindung für die Zukunft ist seit den Anfängen des Krieges der<br />

Wunsch und Traum meines Herzens, und mehr als eine Wünschbarkeit: eine weltpolitische<br />

Notwendigkeit wird diese Verständigung und Verbindung sein, falls ... der Zusammenschluß des<br />

Angelsachsentums sich als dauerhaft erweisen sollte.“<br />

Am Tage des Waffenstillstands mit Russland schrieb er:<br />

„Friede mit Russland!, Friede zuerst mit ihm! Und der Krieg, wenn er weitergeht, wird weitergehen<br />

gegen den Westen allein, gegen die , gegen die , die ,<br />

die Politik, den rhetorischen Bourgeois!“ 186<br />

184 zitiert aus: Gerd Koenen: der Russland-Komplex, C.H.Beck, 2005, S. 59<br />

185 Gerd Koenen: der Russland-Komplex, C.H.Beck, 2005, S. 129<br />

186 zitiert aus: Gerd Koenen: der Russland-Komplex, C.H.Beck, 2005, S. 139<br />

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