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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Der spätere Reichskanzler Wilhelm Cuno war während des Krieges Leiter der Reichsgetreidestelle.<br />

Als solcher war er an der Bildung des Kriegsernährungsamtes beteiligt.<br />

Bernhard Dernburg (DDP) war seit 1908 Staatssekretär im Kolonialministerium gewesen.<br />

Viele andere, vor allem Sozialdemokraten, unterstützten die Kriegspolitik passiv durch den<br />

sogenannten Burgfrieden und die Zustimmung zu den Kriegskrediten, z.B. Friedrich Ebert, Phillipp<br />

Scheidemann, Hermann Müller.<br />

1917 begann ein Umdenken bei vielen dieser Politiker, sie drängten auf einen Verständigungsfrieden<br />

ohne Annexionen. Dieses Umdenken wurde denen zum Verhängnis, die sich besonders intensiv für<br />

einen Neuanfang einsetzten und die Verantwortung für den überfälligen Friedensschluß übernahmen:<br />

Sie wurden nach dem Friedensschluß als Novemberverräter bezeichnet.<br />

Erzberger und Rathenau wurden ermordet, auf Scheidemann wurde ein Säureanschlag verübt, Ebert<br />

(wegen eines Beleidigungsprozesses verschleppte Blinddarmoperation), Müller (verpatzte<br />

Gallenoperation) und Stresemann (Herzinfarkt) wurden totgeärgert. Am Tag, als Stresemann starb,<br />

notierte Goebbels:<br />

"Hingerichtet durch einen Herzschlag. Ein Stein auf dem Weg zur deutschen Freiheit weggeräumt.<br />

Gut so! Er hat sich dem kommenden Strafgericht entzogen."<br />

Bis hierher ist nur von Politikern berichtet worden. Zu den Wendehälsen gehörten natürlich auch jene<br />

Expressionisten, die sich von Kriegslyrikern oder Kriegsfreiwilligen zu Pazifisten oder Anklägern des<br />

imperialistischen Krieges wandelten. Hierzu gehörten beispielsweise Ernst Toller, Max Beckmann,<br />

Käthe Kollwitz, Otto Dix, Thomas Mann, Johannes R. Becher, Kurt Tucholsky und Bertold Brecht.<br />

Wenn man die extreme politische Gefährlichkeit und Skrupellosigkeit des deutschen Idealismus studieren will, so<br />

gibt es mehrere besonders traurige Exempel: Ferdy Horrmeyer malte im zeitlichen Abstand von weniger als<br />

einem Jahr Werbung für die letzte Kriegsanleihe und für den Pazifismus.<br />

„Was sind <strong>das</strong> für Köpfe: sie pappen Bolschewistenplakate an die Mauern, aber als unsre Väter,<br />

Brüder und Söhne in den Gräben verdreckten und verlausten, als sie zu Tausenden verreckten –<br />

da warben sie für die Kriegsanleihen, und kaum eine Hand rührte sich für die unschuldigen Opfer<br />

einer verbrecherischen Politik.“ 213<br />

Diese Frage stellte ausgerechnet Kurt Tucholski, der selber für die letzte Kriegsanleihe geworben<br />

hatte. Er wusste aus erster Hand, worüber er sprach.<br />

1918 war die Zahl der politischen, künstlerischen und wirtschaftlichen Newcomer wesentlich geringer,<br />

als nach der Revolution von 1989. Wo findet man in der Weimarer Republik maßgebliche Politiker, die<br />

ihre Wirksamkeit erst nach 1918 entfalteten? Der reformistische Ausländer Adolf Hitler und seine Alten<br />

Kameraden sind relativ seltene Beispiele, und gleich schlechte. Wie sah es bei den Künstlern und<br />

Wirtschaftskapitänen aus? Einige <strong>Neue</strong> Sachliche, wie Hans Fallada und Erich Kästner gehen in<br />

einem Meer von Altgedienten fast unter und spielten erst am Ende der Republik eine Rolle. Ansonsten<br />

auch hier einige Nationalsozialisten wie Alfred Rosenberg und Joseph Goebbels.<br />

In der Bundesrepublik hat sich weitgehend eine naive Auffassung der Gutmenschen von der<br />

Gesellschaft durchgesetzt. Im Kurztext zu Hans Mommsens "Aufstieg und Untergang der Republik<br />

von Weimar" heißt es:<br />

"Die deutsche Demokratie von Weimar entsprang der nichteingestandenen Niederlage<br />

Deutschlands im ersten Weltkrieg. Ihre Schöpfer versagten aus nationalpolitischen Rücksichten vor<br />

der Aufgabe, einen klaren politischen und moralischen Trennungsstrich zu den Verfechtern einer<br />

verfehlten Weltpolitik und zu den Verteidigern einer überholten sozialen Ordnung zu vollziehen. Die<br />

abgebrochene deutsche Revolution erleichterte die liberal-parlamentarische Verfassungsgebung,<br />

aber erschwerte es, sie mit demokratischen Inhalten zu füllen. Der Weg der Weimarer Republik in<br />

den Untergang ergab sich aus einer unaufrichtigen Allianz heterogener Interessen und<br />

213 Die Weltbühne 08.05.1919, Nr. 20, S. 532.<br />

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