Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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der Genese der nationalsozialistischen Herrschaft vertuschen. Deshalb wird die heutige<br />
Auseinandersetzung mit der NSDAP auf die Jahre nach der Machtergreifung konzentriert und die<br />
elitaristische Kulturrevolution 1890 bis 1933 wird kleingeredet. Auschwitz soll die Sicht auf die dem<br />
Nationalsozialismus vorhergehende Auflösung der politischen Moral und der marktwirtschaftlichen<br />
Fundamentierung dieser Moral verstellen. Eine breite Koalition der Vertuscher und Verpfuscher ist am<br />
Werk. Die Fakten der Weimarer Republik sprechen eine andere Sprache. Handwerkskult, Freigeld,<br />
Tierschutz, FKK, Stahlhelm, Rotfront, Okkultismus und Judenhaß.<br />
Das Bauhaus, die <strong>Neue</strong> Sachlichkeit, die „Weltbühne“ und der Acht-Stunden-Tag gehörten für die<br />
Historiker zur „fortschrittlichen“ Tendenz, es war aber nicht die herrschende, wie <strong>das</strong> Ende der<br />
Republik beweist. Die Historiker haben sich im Weimarer Irrgarten auf die Betrachtung dieser<br />
„fortschrittlichen“ Gewächse konzentriert, und alles mit der Gartenschere weggeschnitten, was nicht in<br />
<strong>das</strong> von ihnen verteidigte vulgärmaterialistische System passte.<br />
In zwei zeitgenössischen Romanen findet man einiges vom Weggeschnittenen wieder:<br />
Bereits 1922 hatte Hugo Bettauer den Roman „Die Stadt ohne Juden“ veröffentlicht, in welchem er die<br />
Ausweisung der Juden aus Wien durch christsoziale Politiker schilderte. Die Motive der Bettauerschen<br />
Judengegner waren antikapitalistisch; die Juden wurden als Störer der Wiener Gesellschaftssordnung<br />
geschildert. Die Motive der Germanenzüchtung und der Einfluß der Hakenkreuzler stand in dieser<br />
Szenerie einer christlich-jüdischen Auseinandersetzung eher im Hintergrund. Im Gegenteil, die<br />
Antisemiten verschwanden in Bettauers Roman mit dem Wegzug der Juden. Bettauer lässt den<br />
Ministerpräsidenten folgende Begründung für die Judenverfolgung verlesen:<br />
„Trotzdem, ja gerade deshalb wuchs im Laufe der Jahre in mir immer mehr und stärker die<br />
Überzeugung, daß wir Nichtjuden nicht länger mit, unter und neben den Juden leben können, daß<br />
es entweder Biegen oder Brechen heißt, daß wir entweder uns, unsere christliche Art, unser<br />
Wesen und Sein oder aber die Juden aufgeben müssen. Verehrtes Haus! Die Sache ist einfach<br />
die, daß wir österreichische Arier den Juden nicht gewachsen sind, daß wir von einer kleinen<br />
Minderheit beherrscht, unterdrückt, vergewaltigt werden, weil eben diese Minderheit Eigenschaften<br />
besitzt, die uns fehlen! Die Romanen, die Angelsachsen, der Yankee, ja sogar der Norddeutsche<br />
wie der Schwabe – sie alle können die Juden verdauen, weil sie an Agilität, Zähigkeit,<br />
Geschäftssinn und Energie den Juden gleichen, oft sie sogar übertreffen. Wir aber können sie nicht<br />
verdauen, uns bleiben sie Fremdkörper, die unseren Leib überwuchern und uns schließlich<br />
versklaven. Unser Volk kommt zum überwiegenden Teil aus den Bergen, unser Volk ist ein naives,<br />
treuherziges Volk, verträumt, verspielt, unfruchtbaren Idealen nachhängend, der Musik und stiller<br />
Naturbetrachtung ergeben, fromm und bieder, gut und sinnig! Das sind schöne, wunderbare<br />
Eigenschaften, aus denen eine herrliche Kultur, eine wunderbare Lebensform sprießen kann, wenn<br />
man sie gewähren und sich entwickeln läßt. Aber die Juden unter uns duldeten diese stille<br />
Entwicklung nicht. Mt ihrer unheimlichen Verstandesschärfe, ihrem von Tradition losgelösten<br />
Weltsinn, ihrer katzenartigen Geschmeidigkeit, ihrer blitzschnellen Auffassung, ihren durch<br />
jahrtausendelange Unterdrückung geschärften Fähigkeiten haben sie uns überwältigt, sind unsere<br />
Herren geworden, haben <strong>das</strong> ganze wirtschaftliche, geistige und kulturelle Leben unter ihre Macht<br />
bekommen.“....“Sehen wir dieses kleine Österreich von heute an. Wer hat die Presse und damit die<br />
öffentliche Meinung in der Hand? Der Jude! Wer hat seit dem unheilvollen Jahre 1914 Milliarden<br />
auf Milliarden gehäuft? Der Jude! Wer kontrolliert den ungeheuren Banknotenumlauf, sitzt an den<br />
leitenden Stellen in den Großbanken, wer steht an der Spitze fast sämtlicher Industrien? Der Jude!<br />
Wer besitzt unsere Theater? Der Jude! Wer schreibt die Stücke, die aufgeführt werden? Der Jude!<br />
Wer fährt im Automobil, wer praßt in den Nachtlokalen, wer füllt die Kaffeehäuser, wer die<br />
vornehmen Restaurants, wer behängt sich und seine Frau mit Juwelen und Perlen? Der Jude!“<br />
In Bettauers Roman finden zum Schlusse nach der Verjagung der Juden und dem einhergehenden<br />
Niedergang der Wirtschaft Neuwahlen statt und der antisemitische Spuk geht zu Ende. Der Autor<br />
selbst wurde im wirklichen Leben jedoch Anfang 1925 von einem Antisemiten erschossen.<br />
Etwas anders ging der Erfolgsschriftsteller Artur Landsberger in seinem Roman „Berlin ohne Juden“,<br />
der 1925 erschien, an die Thematik heran: Ein Wahlbündnis von Nationalsozialisten und<br />
Kommunisten erringt die Macht und weist ebenfalls die Juden aus:<br />
„Der Präsident hatte <strong>das</strong> Ergebnis kaum verkündet, da wurde auch schon die neue<br />
Regierungsvorlage bekanntgegeben, die nicht mehr und nicht weniger enthielt, als daß der<br />
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