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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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sagte versuchsweise: "Für die Bahn nach Ratzenhausen wird die Stadt nun doch wohl den Beitrag<br />

bewilligen." Wulckow streckte den Kopf vor. "Ihr Glück. Wir haben sonst ein billigeres Projekt,<br />

darauf wird Netzig überhaupt nicht berührt. Also sorgen Sie dafür, daß die Leute Vernunft<br />

annehmen. Unter der Bedingung dürft Ihr dann auch dem Rittergut Quitzin euer Licht liefern." "Das<br />

will der Magistrat auch nicht." Diederich bat mit den Händen um Nachsicht. "Die Stadt hat Schaden<br />

dabei, und Herr von Quitzin zahlt uns keine Steuern...Aber jetzt bin ich Stadtverordneter, und als<br />

nationaler Mann -" "Das möchte ich mir ausbitten. Mein Vetter, Herr von Quitzin, baut sich sonst<br />

einfach ein Elektrizitätswerk, <strong>das</strong> hat er billig, was glauben Sie, zwei Minister kommen bei ihm zur<br />

Jagd - und dann unterbietet er euch, hier in Netzig selbst." Diederich richtete sich auf. "Ich bin<br />

entschlossen, Herr Präsident, allen Anfeindungen zum Trotz in Netzig <strong>das</strong> nationale Banner<br />

hochzuhalten." Hierauf mit gedämpfter Stimme: "Einen Feind können wir übrigens loswerden;<br />

einen besonders schlimmen, jawohl den alten Klüsing in Gausenfeld." "Der?" Wulckow feixte<br />

verächtlich. "Der frißt mir aus der Hand. Er liefert Papier für die Kreisblätter." "Wissen Sie, ob er für<br />

schlechte Blätter nicht mehr liefert? Darüber, Herr Präsident verzeihen, bin ich doch wohl besser<br />

informiert." "Die ´Netziger Zeitung´ ist jetzt in nationaler Hinsicht zuverlässiger geworden." "Und<br />

zwar -", Diederich nickte gewichtig, "seit dem Tage, an dem der alte Klüsing mir, Herr Präsident,<br />

einen Teil der Papierlieferung hat anbieten lassen. Gausenfeld sei überlastet. Natürlich hatte er<br />

Angst, daß ich mich an einem nationalen Konkurrenzblatt beteilige. Und vielleicht hatte er auch<br />

Angst" - eine bedeutsame Pause -, "daß der Herr Präsident <strong>das</strong> Papier der Kreisblätter lieber bei<br />

einem nationalen Werk bestellt." "Also, Sie liefern jetzt für die ´Netziger Zeitung´?" "Niemals, Herr<br />

Präsident, werde ich meine nationale Gesinnung so sehr verleugnen, daß ich an eine Zeitung<br />

liefere, solange noch freisinniges Geld drin ist." "Na schön." Wulckow stemmte die Fäuste auf die<br />

Schenkel. "Jetzt brauchen Sie nichts mehr zu sagen. Sie wollen bei der ´Netziger Zeitung´ <strong>das</strong><br />

Ganze. Die Kreisblätter wollen Sie auch. Wahrscheinlich auch die Papierlieferungen für die<br />

Regierung. Sonst noch was?" 179<br />

Alle diese Wünsche sollten mit Wulckows Hilfe in Erfüllung gehen, dienten sie doch der nationalen<br />

Sache.<br />

Wurde Wulckow durch die wirtschaftlichen Interessen Heßlings geleitet und angestachelt, oder<br />

versuchte Heßling, die Abneigung Wulckows gegen den Freisinn wirtschaftlich auszubeuten? Egal<br />

wie, die Entscheidungen fielen nicht auf dem Markt, sondern im Regierungspräsidium. Und <strong>das</strong><br />

zeichnet eine Zentralverwaltungswirtschaft aus.<br />

Alle ökonomischen Stände hat Heinrich Mann 1914 im "Untertan" charakterisiert. Der alte<br />

demokratische Knebelbart Buck als Vertreter des Richter´schen Liberalismus (ohne steifen Kragen,<br />

sondern mit seidener Halsbinde), Napoleon Fischer für die in den Revisionismus hinüberwachsende<br />

kaiserliche Sozialdemokratie, Heßling als Archetyp des gebundenen Unternehmers, den jungen Buck<br />

als neudeutschen Reformtyp und Lauer als sozial gesalbten Kapitalisten mit<br />

gesellschaftsreformerischen Ideen.<br />

1892 (Heinrich Mann nennt in seinem Roman sogar <strong>das</strong> Jahr) wurde Heßling bei einem Privatissimum<br />

bei Herrn von Barnim in die politischen Ideen eingewiesen, die der Hofprediger Stöcker ausgebrütet<br />

hatte:<br />

"...eine ständische Volksvertretung, wie im glücklichen Mittelalter: Ritter, Geistliche,<br />

Gewerbetreibende, Handwerker. Das Handwerk mußte, der Kaiser hatte es mit Recht gefordert,<br />

wieder auf die Höhe kommen wie vor dem Dreißigjährigen Krieg. Die Innungen hatten Gottesfurcht<br />

und Sittlichkeit zu pflegen. Diederich äußerte sein wärmstes Einverständnis. Es entsprach seinen<br />

Trieben, als eingetragenes Mitglied eines Standes, einer Berufsklasse, nicht persönlich, sondern<br />

korporativ im Leben Fuß zu fassen. Er sah sich schon als Abgeordneten der Papierbranche...." 180<br />

Die Arbeiterparteien und der Begriff der Arbeit<br />

„Arbeit ist die Religion des Sozialismus“ hatte Friedrich Ebert am 10.12.1918 verkündet. Der<br />

Arbeitsbegriff ist ein weiterer Schlüsselbegriff für <strong>das</strong> Verständnis der Weimarer Republik, und nicht<br />

nur für <strong>das</strong> Verständnis dieser Republik. Aber für die Weimarer Republik war er besonders wichtig, da<br />

179 Heinrich Mann: Der Untertan, Reclam, Leipzig, 1978, S. 276 ff<br />

180 H. Mann, Der Untertan, Reclam, Leipzig 1978, S. 45 f.<br />

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