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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Da war er wieder, der deutsche Anspruch sich als Kolonialmacht mitten in Europa aufzuspielen. So<br />

groß wie behauptet war der Abstand zwischen Rechts, der Mitte und Links eben nicht. Eigentlich gab<br />

es überhaupt keinen Unterschied in wesentlichen Fragen.<br />

Ab August 1922 kam es zu einem weiteren dramatischen Verfall der Reichsmark, die Regierung<br />

erklärte die Unfähigkeit zu Reparationszahlungen, Frankreich drohte mit Strafmaßnahmen und<br />

forderte "produktive Pfänder" bei Nichterfüllung von Verpflichtungen.<br />

Im Dezember 1922 vereinigte sich die Rest-USPD mit der SPD. In der SPD bedeutete diese<br />

Wiedervereinigung eine Rückwanderung von Parteimitgliedern mit dem politischen Format Rudolf<br />

Breitscheids.<br />

Der Rapallo-Vertrag hatte allen aufgezeigt, welch schwächlicher Papiertiger der Völkerbund war. Auch<br />

die Schwächsten konnten ihm auf der zahnlosen Schnauze herumtanzen. Das erkannten die Litauer,<br />

die am 10.1.1923 in <strong>das</strong> von Frankreich besetzte und verwaltete Memelland einmarschierten, was die<br />

Zerbrechlichkeit der Versailler Nachkriegsordnung erneut vor Augen führte. Frankreich und der<br />

Völkerbund wurden regelrecht vorgeführt, Deutschland wurde wiederum ein Teil seines Territoriums<br />

entrissen.<br />

Derweilen hatten die Türken unter Kemal Atatürk im August 1922 die griechische Armee vernichtend<br />

geschlagen. Am 9. September 1922 wurde die griechisch bewohnte Großstadt Smyrna erobert und<br />

rigoros abgefackelt. Eine Million Griechen wurden aus der Türkei vertrieben. Am 11. Oktober 1922<br />

schlossen die Siegermächte mit der Türkei <strong>das</strong> Waffenstillstandsabkommen von Mudanya, <strong>das</strong> die<br />

Souveränität der Türkei wiederherstellte. Im Friedensvertrag von Lausanne wurde der so gewonnene<br />

Status Quo am 24.Juli 1923 bestätigt.<br />

Nach Lausanne und Tilsit war allen klar: Die Siegermächte wollten die Ergebnisse des Weltkriegs<br />

nicht entschlossen mit der Waffe in der Hand festhalten und verteidigen. Die noch sehr ungefestigte<br />

Nachkriegsordnung stand offensichtlich zur Disposition.<br />

Nachrichten aus Italien<br />

„Einem guten Kriegsmanne klingt „du sollst“ angenehmer, als „ich will. Und Alles, was euch lieb ist,<br />

sollt ihr euch erst noch befehlen lassen.“ Nach dieser Anweisung Nietzsches entstanden in den<br />

zwanziger Jahren zahlreiche elitaristische Bünde, so auch in Italien.<br />

Bereits Ende 1921 hatte Mussolini die Fasci zu einer Partei umgeformt, zur Partito Nazionale Fascista.<br />

Etwa 200.000 Mitglieder repräsentierten ungefähr die Bevölkerungsstruktur Italiens, nur Studenten<br />

und Oberschüler waren überrepräsentiert. Wie die NSDAP in Deutschland waren auch die Fascisti<br />

Erben der Jugendbewegung der Vorkriegszeit. Von den Führungskadern waren 35 % Rechtsanwälte,<br />

22 % Schriftsteller und Redakteure und 6 % Lehrer. Auch diese Zusammensetzung entsprach<br />

bündischen Strukturen. Die Hälfte der Mitglieder des höchsten Leitungsgremiums waren ehemalige<br />

revolutionäre Linke; von den 136 Bundessekretären kamen 37 von der Linken, 22 waren Freimaurer.<br />

Ende 1921 stand die faschistische Liturgie entwickelt da: Zeremonien mit Fahnen und Sprechchören,<br />

Aufmärsche und pompöse Trauerfeierlichkeiten für die Gefallenen: Auf den Aufruf des Namens der<br />

gefallenen Kameraden antworteten die Spechchöre: "Presente!" (ist bei uns). Der Mythos des <strong>Neue</strong>n<br />

Rom wurde durch die Benennung der Einheiten der Schwarzhemdenmiliz nach römischen Legionen,<br />

Kohorten und Zenturien gefördert. Offene Rufe nach einer faschistischen Diktatur begleiteten diesen<br />

Vorgang. Anfang 1922 erklärte Mussolini: "il monde va a destra" - die Welt geht nach rechts, sie<br />

wende sich gegen Demokratie und Sozialismus, und <strong>das</strong> 20. Jahrhundert werde ein "aristokratisches"<br />

Jahrhundert neuer Eliten sein. Der Kult der Jugend und der direkten Aktion war auch in Italien vom<br />

Entwurf zur Ausführungsreife ausgebildet worden und befand sich im Stadium der Realisierung.<br />

Vom 1. bis 3. August 1922 organisierten die Sozialisten einen erfolglosen Streik gegen die Faschisten,<br />

die in der Po-Ebene und in Südtirol praktisch die Macht übernommen hatten. Am 28.10.1922<br />

marschierten die italienischen Faschisten nach Rom und Mussolini riß die Regierung an sich. Ein<br />

berufsständisch verfaßtes Regierungssystem hatte damit (wenn man von Mecklenburg-Strelitz und<br />

Fiume einmal absieht) erstmals seit 50 Jahren wieder auf dem europäischen Kontinent Fuß gefaßt.<br />

Als schlechtes Beispiel sollte <strong>das</strong> andere zu Nachahmungen verleiten.<br />

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