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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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verteufelt wurde? Reichte es nicht, sich seinen Ambitionen hinzugeben und sein edles Leben auf den<br />

Altärchen der Kunst und der Natur zu opfern?<br />

Ganz Kind des fin de siécle ließ sich Hitler in Wien treiben. Herr seiner eigenen Zeit stand er erst<br />

gegen Mittag auf, schlenderte durch Gärten, Parks und Museen, besuchte Büchereien und sehr oft die<br />

Oper. Allein "Tristan und Isolde" soll er dreißig bis vierzig Mal gesehen haben. Er entwarf<br />

Theaterbauten, Schlösser, Ausstellungshallen, selbst Abriß und Neubau der Hofburg beschäftigten ihn<br />

ernsthaft, ohne daß er ein Gefühl für die Realitätsferne dieser Planung entwickelt hätte. Neben<br />

Reformplänen für den Schulbetrieb entwarf er im Vorübergehn auch den deutschen Idealstaat und<br />

arbeitete an der Oper "Wieland der Schmied" weiter, die Richard Wagner hatte fallenlassen. Auch die<br />

Rechtschreibung war vor dem jungen Lebensreformer nicht mehr sicher, ganz im Zeitgeist schrieb er<br />

statt Theater "Teater" und statt Idee "Iede".<br />

Seinem Zimmergenossen gegenüber verdeckte er seine hochfahrenden Ambitionen mit einem<br />

sozialen Mäntelchen: "Ich arbeite an der Lösung des Wohnungselends in Wien und mache zu diesem<br />

Zweck bestimmte Studien." 134<br />

Nächste Station war Schwabing. Lenin hatte den Stadtteil bereits geräumt, als Hitler 1913 zuzog, auch<br />

der große Schwabinger Krach von 1904, als sich Antisemiten und Zionisten der "Kosmischen Runde",<br />

eines neuheidnischen Kreises um Ludwig Klages, Ludwig Derleth, Alfred Schuler und Karl Wolfskehl<br />

in die Haare gerieten, war bereits Geschichte. Auch in München überwogen im Leben Hitlers innere<br />

Trägheit und Kontaktnot, behauptet Joachim Fest. Nach eigenen Angaben versuchte er sich in<br />

München als Kunstmaler, einzelne erhalten gebliebene Werke stützen diese Behauptung.<br />

Alle Eigenheiten der seelischen Überspanntheit, des sozialwissenschaftlichen Sektierertums, des<br />

lebensreformerischen Obskurantismus und der durchaus zeitgemäßen Besserwisserei und<br />

Verbohrtheit, die sich bei der Jugend der Mittelschichten in der Reformzeit immer wieder beobachten<br />

lassen, trafen auch auf Hitler zu. Seine Nichtzulassung zur Kunstakademie betrachtete er als<br />

Zurückweisung durch die bürgerliche Welt. Joachim Fest merkte an, daß die erbitterten Anklagen<br />

gegen diese Scheinwelt, von denen Europa seit 20 Jahren wiederhallte, Hitler zahlreiche Vorwände in<br />

die Hand gaben, die erlittene Demütigung gesellschaftskritisch aufzuarbeiten. Doch Hitler habe sich<br />

von der modischen totalen Demaskerade, wie sie von Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka,<br />

Gustav Mahler oder Richard Strauss vorgeführt wurde, ferngehalten und sei den <strong>Klassik</strong>ern des<br />

Spätbiedermeiers und den Malern des Impressionismus und Jugendstils verfallen geblieben.<br />

Lieblingsmaler war Hans Markart, der die ständische Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts in<br />

opulenten Gleichnissen mit wahrlich brecht´schen Verfremdungseffekten darstellte: Eisenbahner<br />

steckte er beispielsweise in aufwändige Renaissancegewänder. In der Musik blieben für ihn Wagner<br />

und Bruckner die anerkannten Autoritäten. Mit Wagner verbanden ihn <strong>das</strong> Schulversagen, die Flucht<br />

vor dem Militärdienst, der krankhafte Judenhaß, ebenso wie der Vegetarismus und nicht zuletzt die<br />

Vorliebe für eine "unverwechselbare Mischung von Walhall, Revue und Tempeldienst". 135 Joachim<br />

Fest bemerkte zutreffend:<br />

"...es war die gänzliche Ästhetisierung des Lebens unter Führerschaft der Kunst.....Auf diese Weise<br />

sollte der Staat zur Höhe eines Kunstwerks erhoben und die Politik aus dem Geist der Kunst<br />

vollendet und erneuert werden. In der Theatralisierung des öffentlichen Lebens im Dritten Reich,<br />

der inszenatorischen Passion des Regimes, der Dramturgie seiner politischen Praxis, die nicht<br />

selten zum Zweck der Politik zu werden schien, sind Elemente dieser Programmatik unschwer<br />

feststellbar."<br />

Bereits in seiner Münchner Zeit beschäftigten Hitler Theaterprobleme: Bei seinen dramatischen<br />

Versuchen kam es ihm auf die möglichst großartige Inszenierung, den ungeheuren Aufwand an.<br />

Hinsichtlich der eingesetzten <strong>Menschen</strong>massen stellte der als Dramaturg arbeitende Hitler selbst<br />

Richard Wagner in den Schatten, wie Hitlers Mitbewohner Kubicek bemerkte. Neben Wagners<br />

Vorstellungen von germanischer Kraft, dem Fluch des Goldes, dem unterirdischen Wühlen minderer<br />

Unterrassen, Blutdurst, Drachentöterei und dem Glockengeläut am Theaterkarfreitag 136 beeinflußten<br />

Hitler darwinistische Vorstellungen.<br />

134 J. Fest: Hitler, Ullstein 2003, S. 64 f.<br />

135 J. Fest: Hitler, Ullstein 2003, S. 87 ff. Die Vegetarier behaupten, Hitler sei kein Vegetarier gewesen, weil er<br />

gelegentlich Lebernknödeln und Hühnchen gegessen hat. Aber auch ein Katholik, der gelegentlich den<br />

Beichtstuhl aufsuchen muß, ist noch ein Katholik.<br />

136 J. Fest: Hitler, Ullstein 2003, S. 90 und 100<br />

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