15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

dazugehörenden Technikverliebtheit wurde sie mit Streifen wie "Wille zur Macht" zur Reichsästhetin<br />

des Körperkults und der Massenszenen. Man mußte von der nichtdogmatischen Reformbewegung<br />

kommen, um so beseelt, so routiniert und so skrupellos zu sein. Es ist kein Zufall, sondern eine Art<br />

Seelenverwandschaft, daß der starrsinnige Reinhold Messmer und die starrsinnige Leni ein Herz und<br />

eine Seele waren, wenn die Höhenluft ungehindert einwirken konnte. Die Riefenstahl warf sich nicht<br />

<strong>das</strong> Büßergewand über, wie viele andere, sondern blieb hartnäckig bei ihrer Version der Geschichte<br />

von der ästhetischen Qualität ohne politische Dimension. Sie sei vor dem Kriege auch im Ausland<br />

anerkannt gewesen, und hinterher solle alles anders und falsch gewesen sein? Natürlich war es<br />

falsch, und falsch war auch die Anerkennung ihres Werks im Ausland. Was hatte es auch für einen<br />

Sinn, daß Hitlers Entwurf für die Nürnberger Parteitagsbauten auf der Weltausstellung 1937 in Paris<br />

den Grand Prix gewann? In Frankreich herrschte gerade die Volksfront herum.<br />

Technischer Fortschritt ist modern. Zu viel technischer Fortschritt ruft den Wunsch nach einem Leben<br />

in der unverdorbenen Natur hervor. Hier entschied sich Hitler wie seine Vorgänger kompromißlos für<br />

den Fortschritt, denn technischer Fortschritt ist Fortschritt in der Waffen- und Kriegstechnik. Alles<br />

Gejammer über die moderne Zivilisation wurde anders als im Kaiserreich abgedrängt und unterdrückt.<br />

Die Schneise von Nietzsche zur Technikbegeisterung wurde bereits vor 1933 und nicht wie man<br />

vielleicht vermuten könnte nach 1933 geschlagen. Bei den Futuristen reimte sich schon 1909 amore<br />

auf motore, auch Ernst Jünger hatte 1929 den Weg von der Technikfeindlichkeit Nietzsches zur<br />

Technikbegeisterung Hitlers vorweggenommen:<br />

"Ja, die Maschine ist schön, sie muß schön sein für den, der <strong>das</strong> Leben in seiner Fülle und<br />

Verhältnismäßigkeit liebt. Und in <strong>das</strong>, was Nietzsche, der in seiner Renaissancelandschaft für die<br />

Maschine noch keinen Raum hatte, gegen den Darwinismus gesagt hat, daß <strong>das</strong> Leben nicht nur<br />

ein erbärmlicher Kampf ums Dasein, sondern ein Wille zu höheren und tieferen Zielen ist, muß<br />

auch die Maschine einbezogen werden. Sie darf uns nicht nur ein Mittel zur Produktion, zur<br />

Befriedigung unserer kümmerlichen Notdurft sein, sondern sie soll uns eine höhere und tiefere<br />

Befriedigung verleihen. Wenn <strong>das</strong> geschieht ist manche Frage gelöst. Der kümmerliche Mensch,<br />

der in ihr plötzlich seine Ganzheit statt einer zweckmäßigen Zusammensetzung aus Eisenteilen<br />

sieht, der Stratege, der sich vom Banne des Produktionskrieges loszulösen strebt, sie sind an<br />

dieser Lösung ebenso tätig wie der Techniker und der Sozialist." 417<br />

Kein Mittel zur Produktion, sondern ein Mittel zur Kriegführung sollte die Maschine sein, Jünger war<br />

Soldat.<br />

"Erst unsere Generation beginnt sich mit der Maschine zu versöhnen, und in ihr nicht nur <strong>das</strong><br />

Nützliche, sondern auch <strong>das</strong> Schöne zu sehen." 418<br />

Jünger war kein Einzelgänger. In der heterodoxen Reformlandschaft waren immer wieder Außenseiter<br />

aufgetreten, die es mit dem technikfeindlichen Nietzsche nicht so genau nahmen. Gabriele<br />

d´Annuncio´s im Jahre 1910 erschienener Roman ›Forse che si forse che no‹ (Vielleicht, vielleicht<br />

auch nicht) kann als Prototyp einer neuen maschinenbegeisterten Flugdichtung gelten, bei der<br />

Nietzsches Übermensch als kriegerischer antiweiblicher Sportheroe erscheint. Der Romanheld Tarsis<br />

überwindet seine Todesfurcht, indem er mit der Maschine verschmilzt und sich im Rausch der<br />

Geschwindigkeit aus »weiblicher Schwer-Kraft« von »Mutter-Erde« befreit.<br />

Der Höhenflug war ein durchaus beliebtes Sujet der futuristischen Literatur und Dichtung. Als Beispiel<br />

mag Karl Vollmoellers ›Lob der Zeit‹ aus dem Jahre 1912 dienen:<br />

Dich sing ich, Zeit der Zeiten: meine Zeit!<br />

Ein heller Herbst verschollener Sagenblüten<br />

Wandelst du Gold und Silber blasser Mythen<br />

In Stahl der Wirklichkeit.<br />

Wie stöhnte noch <strong>das</strong> sinkende Jahrhundert<br />

Im selbstgewollten Fron und trüben Krampf<br />

Bei Ofen, Kran und Hammer, Qualm und Dampf -<br />

Nun schauen wir verwundert.<br />

417 Ernst Jünger: Feuer und Blut, Berlin 1929, S. 82<br />

418 Ernst Jünger: Feuer und Blut, Berlin 1929, S. 81<br />

345

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!