Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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dazugehörenden Technikverliebtheit wurde sie mit Streifen wie "Wille zur Macht" zur Reichsästhetin<br />
des Körperkults und der Massenszenen. Man mußte von der nichtdogmatischen Reformbewegung<br />
kommen, um so beseelt, so routiniert und so skrupellos zu sein. Es ist kein Zufall, sondern eine Art<br />
Seelenverwandschaft, daß der starrsinnige Reinhold Messmer und die starrsinnige Leni ein Herz und<br />
eine Seele waren, wenn die Höhenluft ungehindert einwirken konnte. Die Riefenstahl warf sich nicht<br />
<strong>das</strong> Büßergewand über, wie viele andere, sondern blieb hartnäckig bei ihrer Version der Geschichte<br />
von der ästhetischen Qualität ohne politische Dimension. Sie sei vor dem Kriege auch im Ausland<br />
anerkannt gewesen, und hinterher solle alles anders und falsch gewesen sein? Natürlich war es<br />
falsch, und falsch war auch die Anerkennung ihres Werks im Ausland. Was hatte es auch für einen<br />
Sinn, daß Hitlers Entwurf für die Nürnberger Parteitagsbauten auf der Weltausstellung 1937 in Paris<br />
den Grand Prix gewann? In Frankreich herrschte gerade die Volksfront herum.<br />
Technischer Fortschritt ist modern. Zu viel technischer Fortschritt ruft den Wunsch nach einem Leben<br />
in der unverdorbenen Natur hervor. Hier entschied sich Hitler wie seine Vorgänger kompromißlos für<br />
den Fortschritt, denn technischer Fortschritt ist Fortschritt in der Waffen- und Kriegstechnik. Alles<br />
Gejammer über die moderne Zivilisation wurde anders als im Kaiserreich abgedrängt und unterdrückt.<br />
Die Schneise von Nietzsche zur Technikbegeisterung wurde bereits vor 1933 und nicht wie man<br />
vielleicht vermuten könnte nach 1933 geschlagen. Bei den Futuristen reimte sich schon 1909 amore<br />
auf motore, auch Ernst Jünger hatte 1929 den Weg von der Technikfeindlichkeit Nietzsches zur<br />
Technikbegeisterung Hitlers vorweggenommen:<br />
"Ja, die Maschine ist schön, sie muß schön sein für den, der <strong>das</strong> Leben in seiner Fülle und<br />
Verhältnismäßigkeit liebt. Und in <strong>das</strong>, was Nietzsche, der in seiner Renaissancelandschaft für die<br />
Maschine noch keinen Raum hatte, gegen den Darwinismus gesagt hat, daß <strong>das</strong> Leben nicht nur<br />
ein erbärmlicher Kampf ums Dasein, sondern ein Wille zu höheren und tieferen Zielen ist, muß<br />
auch die Maschine einbezogen werden. Sie darf uns nicht nur ein Mittel zur Produktion, zur<br />
Befriedigung unserer kümmerlichen Notdurft sein, sondern sie soll uns eine höhere und tiefere<br />
Befriedigung verleihen. Wenn <strong>das</strong> geschieht ist manche Frage gelöst. Der kümmerliche Mensch,<br />
der in ihr plötzlich seine Ganzheit statt einer zweckmäßigen Zusammensetzung aus Eisenteilen<br />
sieht, der Stratege, der sich vom Banne des Produktionskrieges loszulösen strebt, sie sind an<br />
dieser Lösung ebenso tätig wie der Techniker und der Sozialist." 417<br />
Kein Mittel zur Produktion, sondern ein Mittel zur Kriegführung sollte die Maschine sein, Jünger war<br />
Soldat.<br />
"Erst unsere Generation beginnt sich mit der Maschine zu versöhnen, und in ihr nicht nur <strong>das</strong><br />
Nützliche, sondern auch <strong>das</strong> Schöne zu sehen." 418<br />
Jünger war kein Einzelgänger. In der heterodoxen Reformlandschaft waren immer wieder Außenseiter<br />
aufgetreten, die es mit dem technikfeindlichen Nietzsche nicht so genau nahmen. Gabriele<br />
d´Annuncio´s im Jahre 1910 erschienener Roman ›Forse che si forse che no‹ (Vielleicht, vielleicht<br />
auch nicht) kann als Prototyp einer neuen maschinenbegeisterten Flugdichtung gelten, bei der<br />
Nietzsches Übermensch als kriegerischer antiweiblicher Sportheroe erscheint. Der Romanheld Tarsis<br />
überwindet seine Todesfurcht, indem er mit der Maschine verschmilzt und sich im Rausch der<br />
Geschwindigkeit aus »weiblicher Schwer-Kraft« von »Mutter-Erde« befreit.<br />
Der Höhenflug war ein durchaus beliebtes Sujet der futuristischen Literatur und Dichtung. Als Beispiel<br />
mag Karl Vollmoellers ›Lob der Zeit‹ aus dem Jahre 1912 dienen:<br />
Dich sing ich, Zeit der Zeiten: meine Zeit!<br />
Ein heller Herbst verschollener Sagenblüten<br />
Wandelst du Gold und Silber blasser Mythen<br />
In Stahl der Wirklichkeit.<br />
Wie stöhnte noch <strong>das</strong> sinkende Jahrhundert<br />
Im selbstgewollten Fron und trüben Krampf<br />
Bei Ofen, Kran und Hammer, Qualm und Dampf -<br />
Nun schauen wir verwundert.<br />
417 Ernst Jünger: Feuer und Blut, Berlin 1929, S. 82<br />
418 Ernst Jünger: Feuer und Blut, Berlin 1929, S. 81<br />
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