Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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wurden. Maltzan drängte in Erinnerung der russisch-preußischen Waffenbrüderschaft auf die<br />
Verbesserung der Beziehungen zu Sowjetrußland. Wer in Sowjetrußland gerade herumherrschte, war<br />
ihm dabei offenbar Wurst. Gleichzeitig war seit 1922 im Auswärtigen Amt von einer "Wiederaufnahme<br />
des Mitteleuropagedankens in veränderter Form" die Rede, wie Mommsen in "Aufstieg und Fall der<br />
Weimarer Republik" erwähnt.<br />
Eine Gelegenheit, die durch den Weltkrieg abgeschnittenen Bande nach Russland wieder zu<br />
verknüpfen bot sich ab 1921. In Sowjetrußland herrschte eine durch die Revolution verursachte<br />
verheerende Hungersnot, der etwa 40 Millionen Russen und Einwohner der russischen Kolonien zum<br />
Opfer fielen. Maxim Gorki verfasste einen Hilferuf an die internationale Gemeinschaft, der die Bitte um<br />
Lebensmittel- und Arzneimittelhilfe enthielt. Deutschland hatte schon in der Vorkriegszeit<br />
medizinisches Wissen als Beitrag im Sinne einer "Weltpolitik als Kulturmission" exportiert und war<br />
nicht unvorbereitet. „Die Dienstleistungen eines eigens für solche Fragen geschaffenen Referats in der<br />
Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes erstreckten sich von der Nachrichtenbeschaffung über<br />
auswärtige Medizinalangelegenheiten und der Geldbeschaffung bis hin zur Bereitstellung von<br />
Informationen über <strong>das</strong> deutsche Medizinalwesen. Grundsätzlich galten für die Medizin die gleichen<br />
Richtlinien, wie sie Außenminister Walter Simons (1861-1937) im Januar 1921 im Hauptausschuß des<br />
Reichstages für die auswärtige Kulturarbeit umrissen hatte: An eine offensive imperialistische<br />
Kulturpropaganda nach französischem Muster sei nicht mehr zu denken; Deutschland müsse sich<br />
vielmehr damit begnügen, durch herausragende Leistungen auf "sachlichem, wissenschaftlichem und<br />
technischem" Gebiet, aber auch "durch Festhalten an der deutschen Art" <strong>das</strong> Ansehen des Reiches<br />
im Ausland wiederherzustellen und zu festigen. Dabei hatte Simons die bedeutungsvolle Tätigkeit<br />
deutscher Ärzte im Ausland unterstrichen, die in herausragender Weise geeignet sei, einer solchen<br />
Zieldefinition zu entsprechen. ... Eines der ersten westlichen Länder, dessen Regierung sich um eine<br />
zentrale Hunger- und Medikamentenhilfe für Rußland bemühte, war die junge Weimarer Republik.“ 299<br />
Motor der Initiative war Walther Rathenau, der ohnehin der Meinung war, <strong>das</strong>s im Osten die Sonne<br />
aufgehe. Er bat Gerhart Hauptmann, den Hilfsappell Maxim Gorkis zu beantworten. Derselbe<br />
Hauptmann, der bei Kriegsausbruch auf den bellizistischen Pauken herumgetrommelt hatte, spielte<br />
nun die Friedensschalmei:<br />
"Was aber <strong>das</strong> deutsche, schwergeprüfte, doch allzeit hilfsbereite Volk betrifft, so ist es schon<br />
heute durch den Ruf aus dem Osten tief erregt und bewegt, und ich darf getrost sagen, daß Volk<br />
und Reichsregierung in dem innigen Wunsch einig sind, nach bestem Vermögen tatkräftige Hilfe zu<br />
leisten".<br />
Auf Rathenaus Einladung trafen sich im August 1921 beim Deutschen Roten Kreuz prominente<br />
Mitglieder der Deutschland-AG wie Borsig, Bosch, Duisberg, Hugenberg, Thyssen, Stinnes, Siemens,<br />
Einstein, Max Reinhardt und Gerhart Hauptmann um medizinische Hilfe für Russland voranzutreiben.<br />
„Der Vorgang war offensichtlich auch außenpolitisch nicht ohne Brisanz. Dem Auswärtigen Amt<br />
ging es vermutlich bereits in der Frühphase der Hilfsaktion keineswegs nur um altruistische oder<br />
seuchenpräventive Ziele, sondern um handfeste außenpolitische Interessen. Offensichtlich sollte<br />
die Hilfe für die Sowjetunion die Bereitschaft einer kulturellen und handelspolitischen Öffnung nach<br />
Osten signalisieren. An großer Presse war man auch deswegen nicht interessiert. Dies belegt eine<br />
interministerielle Demarche des Außenministers durch seinen Legationsrat Herbert Hauschild vom<br />
6. Dezember 1921. Das Auswärtige Amt habe , dabei müßten aber ; in Frankreich verfolge<br />
man . ... Am 17.<br />
September 1921 verließ <strong>das</strong> DRK-Sanitätsschiff Triton vollbeladen den Hafen Stettins und<br />
erreichte Petrograd sechs Tage später. Die "Hungerhilfe" Deutschlands für Rußland war<br />
angelaufen.“ 300<br />
Eine der wichtigsten Personen vor Ort im Katastrophengebiet war der Hygieniker Heinz Zeiss (1888-<br />
1949). Er blieb auf Bitten des sowjetrussischen Chemotherapeutischen Instituts noch 1924 bis 1932<br />
in der Sowjetunion. „Neben seinen vermutlich geringen Gehältern aus diesen neuen Funktionen<br />
erhielt Zeiss nach der Schließung der Bakteriologischen Zentralstelle – spätestens seit Dezember<br />
1924 – auch direkte Zuwendungen aus dem Etat des Auswärtigen Amtes, die ihm über die Deutsche<br />
299 Prof. Dr. <strong>Wolfgang</strong> Eckart, Institut für Geschichte der Medizin, Heidelberg, Copyright © Pressestelle der<br />
Universität Heidelberg<br />
300 s.o.<br />
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