Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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auf die Revolution Lenins und Trotzkis. Das Frappierende war: Lenins und Trotzkis Revolution war<br />
elitaristisch und wurde nicht vom Klassenstandpunkt erklärt, auch nicht aus materiellen Bedingungen<br />
der Beteiligten, sondern aus Seelenkräften. und nur darum gefiel sie den deutschen Bildungsbürgern.<br />
Eine demokratische Massenbewegung aus materiellen Motiven hätte bildungsbürgerlichen Ekel<br />
erregt. Man arbeitete sich beispielsweise an den Volksschulabsolventen der SPD ab, die durch<br />
Wahlen an die Macht gekommen waren und die konkreten Lebensbedingungen der gewerkschaftlich<br />
organisierten Arbeiter in den Großbetrieben gegenüber den übrigen Beschäftigten verbesserten.<br />
Werner Sombart hatte in die 7. Auflage seines Buches „Sozialismus und soziale Bewegung“ von 1919<br />
ein aktuelles Kapitel über den Bolschewismus eingefügt. Erst durch die Propaganda der Tat hätten die<br />
Bolschewiki den Sozialismus zum Kernproblem der europäischen Kulturmenschheit gemacht. Sie<br />
hätten die Ideen des Sozialismus geläutert, indem sie ihn zum entschlossenen Antikapitalismus<br />
umprägten und die Sowjetverfassung als einen Damm in die anschwellende Flut des mechanistischen<br />
Demokratismus und Parlamentarismus, dieser Ausdrucksformen des amerikaniwschen Bürgertums<br />
hineingebaut hätten. Durch den Bolschewismus sei die drohende Trennung zwischen Sozialismus und<br />
Heroismus vermieden worden.<br />
In Wahrheit gingen Marxscher Sozialismus und Sombart´scher Heroismus lange Zeit getrennte Wege.<br />
Wie sollte ein marxistischer Sozialismus, der sich naturgeschichtlich durch die langatmige Reife der<br />
Produktivkräfte entwickelt heroisch sein? Er ist so heroisch, wie die Reife der Kartoffel auf dem<br />
Kartoffelacker. Irgendwann im Oktober muß die evolutionär gewachsene Kartoffel revolutionär<br />
geerntet werden. Wer einmal Kartoffeln geerntet hat, konnte sich sein Bild vom Heroismus und<br />
revolutionären Elan selber machen. Es war umgekehrt, wie Sombart behauptete: Der Bolschewismus<br />
war die erstmalige, jedoch sehr weitgehende Vereinigung von Sozialismus und Heroismus, die<br />
Verbandelung des Marxismus mit dem Zarathustra, mit dem Kult der Tat, der Erde, des Bluts und des<br />
Führertums, wobei Marxens Intentionen von den materialistischen Füßen auf den idealistischen Kopf<br />
gestülpt wurden. Ob Marxens Lehre eine brauchbare Theorie war, ist eine ganz andere Fragestellung,<br />
es war jedenfalls eine andere Lehre. Marxens Theorie hat aus verschiedenen Gründen nicht<br />
funktioniert und war in ihrer traditionellen Ausprägung ein ideologischer Todeskandidat. Die<br />
Produktivkräfte beispielsweise entwickelten sich in Deutschland stürmisch, die Maschinen wurden<br />
immer moderner, die Ausbildung der Arbeiter immer besser, die Produzenten ersehnten jedoch keine<br />
bürgerlichen der Dampfmaschine entsprechenden Produktionsverhältnisse, sondern die des<br />
Zunftwesens. Das waren wirkliche Widersprüche! Der Korporatismus, der Nationalsozialismus und der<br />
Bolschwismus reagierten darauf, <strong>das</strong> war jedoch keine Weiterentwicklung des Marxismus, sondern die<br />
Antwort auf sein grandioses Scheitern. Entweder Marx musste in Richtung seiner demokratischen<br />
Bekenntnisse unter Aufgabe seines mechanistischen Entwicklungsdogmas „weiterverfolgt“ werden,<br />
oder total negiert. Der Leninismus war keine Weiterentwicklung des Marxismus, sondern seine<br />
Negierung in allen Grundfragen. Das leninsche Primat der Politik über die Ökonomie ist definitiv<br />
„unmarxistisch“, da unmaterialistisch und idealistisch.<br />
Den deutschen Intellektuellen, und nicht nur diesen, war <strong>das</strong> unbewusst klar. Viele sprachen und<br />
schrieben von einer neuen Menschheitsepoche, die von der Oktoberrevolution eingeleitet worden sei,<br />
wie zum Beispiel Alfons Paquet oder Johannes R. Becher.<br />
Alfred Kerr war abgestoßen und fasziniert zugleich:<br />
„Der Bolschewismus ist ein Irrtum. Doch dieser Irrtum war der einzige geniale Gedanke des<br />
versumpften Zeitalters.“<br />
Alfons Goldschmidt, Herausgeber der USPD-nahen Rätezeitung pries <strong>das</strong> Aristokratische, Führerhafte<br />
am Bolschewismus. Adolf Grabowsky erwärmte sich für <strong>das</strong> aktivistische, aristokratische und<br />
antidemokratische Element:<br />
„Der Konservative ... will die Masse geführt haben, weil er nicht glaubt, <strong>das</strong>s die Massen von sich<br />
heraus eben alles Gute und Schöne selbst produzieren. Genauso denkt auch der Bolschewismus.“<br />
Die alte Sozialdemokratie habe ein kleinbürgerlich-kapitalistisches Wesen gehabt, <strong>das</strong> von den<br />
Bolschwisten blosgestellt worden sei. 271<br />
Das DDP-Mitglied Ernst Troeltsch hatte die Sache bereits in seinem Spektator-Brief vom 20. Februar<br />
1919 auf den Punkt gebracht:<br />
271 zitiert in Gerd Koenen: Der Russland-Komplex, C.H.Beck, S. 229f.<br />
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