Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Verknüpfung mit den philosophischen Modeströmungen hinwies: "Lebensphilosophie, die Skepsis<br />
gegen Vernunft und Humanität sowie die romantische Verherrlichung von Instinkt, Blut und Trieb." 111<br />
Die Theosophie und ihre Folgesysteme<br />
„Ein Gegenstand lässt vermuten, <strong>das</strong>s es andere hinter ihm gibt,“ vermutete René Magritte. Ähnliche<br />
Gedanken hatten auch die Theosophen.<br />
Der Ursprung des <strong>Neue</strong>n <strong>Menschen</strong> lag nicht nur in Nietzsches Forderung: "Nicht fort sollt ihr Euch<br />
pflanzen, sondern hinauf", genauso bedeutend oder bedeutender war der ebenfalls durch Nietzsche<br />
ausgelöste antichristliche Affekt. Der von Gott entleerte Raum wurde von Intellektuellen bevölkert, die<br />
<strong>das</strong> entstandene spirituelle Vakuum schnell auffüllen wollten. Aus Nietzsches Werken zimmerten sie<br />
sich ihre Gewaltsreligion vom Recht des Stärkeren. Konkurrierend und als ideologisches<br />
Ergänzungsnahrungsmittel entstand fast zeitgleich die theosophische Theorie von Helena Petrowna<br />
Blavatsky mit ihrer Wurzelrassenlehre. Aus der Theosophie entstanden in der Folge die Ariosophie<br />
und die Anthroposophie. Die Anthroposophie war nur rassistisch, die Ariosophie war ein weiterer<br />
Entwicklungsschritt hin zum und ein fundamentaler Baustein des Nationalsozialismus.<br />
Frau Blavatsky war zunächst ein spiritistisches Medium, <strong>das</strong> den Lebenden erschwindelte Nachrichten<br />
von den Toten durchsagte. Später verdunkelte sie im Kontakt mit ihrem vermeintlichen Wahrsagegeist<br />
die Geschichte des Kosmos und der <strong>Menschen</strong>. Hinter der sichtbaren Welt verberge sich eine<br />
siebenstufige Geisterwelt, deren unterste Stufe die wirkliche Welt darstellt. Die darüber befindlichen<br />
Aether- und Astralstufen würden den Tieren und Pflanzen <strong>das</strong> Leben ermöglichen. Darüber befänden<br />
sich vier geistige Ebenen, die von Engeln verschieden hoher Hierarchie bewohnt würden. Der<br />
Entwicklungs- und Evolutionsgedanke von Darwin wurde mit diesem Ebenen-Modell verbunden. Der<br />
Mensch stiege von Ebene zu Ebene auf, wenn er den Stoff der jeweiligen Stufe kapiert habe.<br />
Förderlich für <strong>das</strong> Verstehen der jeweiligen Stufe sei Vegetarismus, Alkohol- und Tabakabstinenz und<br />
Abstinenz überhaupt. Adolf Hitler zum Beispiel hielt sich daran.<br />
Die fortgeschrittenen Seelen hätten die Höhere Schau und sind dazu vorgesehen, die niederen<br />
Seelen zu belehren. Die Lehre von den Weltzyklen und den Wurzelrassen beinhaltet seltsame<br />
Spekulationen. Aufeinander gefolgt seien Polarier, Hyperboreer, Lemurier, Atlantier und Arier. Die<br />
Arier zerfielen in indische, persische, ägyptisch-chaldäische, römisch-griechische angelsächsischegermanische<br />
und zwei kommende Wurzelrassen. Heute lebende <strong>Menschen</strong> gehörten zum Teil noch<br />
zu den Lemuriern, zum Teil zu den Atlantiern, zum Teil zu den Ariern. An der Spitze der<br />
Menschheitsentwicklung stünden die Arier. Manche Theosophen erwarten einen Epochenwechsel<br />
(New Age), andere wie die Sonnentempler sehen <strong>das</strong> Weltende voraus. 112<br />
Für Rudolf Steiner war die Theosophie der Grundstein für die Entwicklung der Anthroposophie. Auch<br />
bei ihm spielte <strong>das</strong> atlantische und <strong>das</strong> nachatlantische Zeitalter eine große Rolle und die<br />
Rassenlehre der Theosophie wurde weitgehend übernommen. Nebenher entwickelte er die Waldorf-<br />
Pädagogik. Eine niederländische Kommission hatte nach Rassismus-Vorwürfen gegen die Waldorf-<br />
Schulen 1996 bis 1998 etwa 150 Steiner-Zitate zu Rassen, Negern und Indianern analysiert. Dabei<br />
wurden 50 Zitate als "erklärungsbedürftig" eingestuft, 12 weitere als diskriminierend: "selbst die Neger<br />
müssen wir als <strong>Menschen</strong> ansehen", Indianer seien degeneriert oder unbrauchbare <strong>Menschen</strong>,<br />
niedrige Triebe bei Dunkelhäutigen usw. Unbedenklich sei der Satz, daß "Völker, welche schon in die<br />
Dekadenz gekommen sind...wie die Neger" durch ein "substantivisches Denken" sich "vollständig von<br />
der geistigen Welt abschnüren". Steiner warnte die Bauarbeiter, die am Goetheanum in Dornbirn<br />
arbeiteten, daß Schwangere durch <strong>das</strong> Lesen von Negerromanen Mischlingskinder gebären<br />
könnten. 113<br />
Der Friedrichshagener Christian Morgenstern wurde ein Jünger Steiners, Wassily Kandinsky und<br />
Heinrich Himmler wurde mehr durch die Theosophie und den Obskurantismus beeinflusst. Diese<br />
Anmerkungen nur, um zu zeigen, welche unerwarteten geistigen Befruchtungen möglich wurden.<br />
Guido von List entwickelte die Theosophie in eine germanentümelnde Richtung weiter: zur Ariosophie.<br />
Diese wurde eine Grundlage der völkischen und nationalsozialistischen Bewegung. List´s<br />
111 J. Fest: Hitler, Ullstein 2003, S. 100<br />
112 Georg Otto Schmied, Einführung in die Theosophie, www.relinfo.ch/theosophie-allgemein/info.html<br />
113 Materialdienst der EKD 5/98 in www.ekd.de/ezw/publ/ftexte/info0598-04.html<br />
87