Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
"Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Thier und Übermensch - ein Seil über einem<br />
Abgrunde."<br />
"Ich sage euch: man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu<br />
können. Ich sage euch: ihr habt noch Chaos in euch."<br />
"Zu meinem Ziele will ich, ich gehe meinen Gang; über die Zögernden und Saumseligen werde ich<br />
hinwegspringen. Also sei mein Gang ihr Untergang!"<br />
"Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit<br />
Blut: und du wirst erfahren, daß Blut Geist ist."<br />
"Die Luft dünn und rein, die Gefahr nahe und der Geist von einer fröhlichen Bosheit: so paßt es gut<br />
zueinander."<br />
"Ihr sollt den Frieden lieben, als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr als den<br />
langen."<br />
"Der Krieg und der Muth haben mehr große Dinge gethan, als die Nächstenliebe. Nicht euer<br />
Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verunglückten."<br />
"Ist es nicht besser, in die Hände eines Mörders zu gerathen, als in die Träume eines brünstigen<br />
Weibes?"<br />
"Der Mann soll zum Kriege erzogen werden, und <strong>das</strong> Weib zur Erholung des Kriegers: Alles andere<br />
ist Thorheit."<br />
Systematisch verstieß Nietzsche gegen fast alle Gebote, insbesondere gegen <strong>das</strong> erste, und <strong>das</strong><br />
vierte bis sechste. Der Übermensch war ein extremes Beispiel der Abgötterei und des<br />
Götzendienstes: er selbst sollte mit seiner beschränkten Vernunft die Stelle von Gott einnehmen. Der<br />
Kult der Jugend verstieß gegen <strong>das</strong> Gebot, den Vater und die Mutter zu ehren. Das Gebot, nicht zu<br />
töten, schließt <strong>das</strong> Mitleid mit dem notleidenden Nächsten ein. Hier brach Nietzsche am radikalsten<br />
mit der christlichen Anschauung. Mit dem sechsten Gebot haperte es auch: Statt den von Gott<br />
zugesellten Ehegatten zu ehren, wurde die Frau je nach Gelüst als Katze, Vogel, gefährlichstes<br />
Spielzeug, Gans, geputzte Lüge und Kuh bezeichnet und auf die Erholung des wildgewordenen<br />
Kriegers und <strong>das</strong> Gebären des Übermenschen reduziert. Der Mann sei am Grunde der Seele nur<br />
böse, die Frau aber sei dort unten schlecht. Des Mannes Gemüt wäre tief, <strong>das</strong> der Frau seicht usw.<br />
Über die übrigen Gebote kann man sich seine eigenen Gedanken machen. Es hat nur<br />
verhältnismäßig wenige Krieger gegeben, die nicht in Versuchung geführt worden sind zu stehlen, es<br />
hat auch einige Kriege gegeben, wo wissentlich oder unwissentlich über den Feind falsch Zeugnis<br />
ausgestreut wurde. Oft wurde <strong>das</strong> Haus, die Frau und <strong>das</strong> Vieh des Feindes nicht nur begehrt,<br />
sondern auch angeeignet. Der Krieg ist nicht idealtypisch die Situation, in der es leicht ist, den<br />
Geboten des Herrn umfassend nachzukommen.<br />
Das hauptsächliche Problem war: Nach der Abkehr von Gott hatte der Mensch keine übergeordnete<br />
Instanz mehr, die an guten und schlechten Tagen zur Seite stand: an guten Tagen hatte Gott den<br />
Triumph und Übermut gedämpft; an schlechten die Verzweiflung. Er hatte dem Egoismus Schranken<br />
gesetzt und notwendige Entscheidungen mitgetroffen. Er hatte Geduld und Fleiß eingefordert und Mut<br />
verliehen. Nach dem Tode Gottes war der Mensch auf sich selbst gestellt. Und von der ersten Minute<br />
seines Eigenlebens kam er auf Abwege, da er die ehernen Forderungen Gottes, nämlich alle 10<br />
Gebote ignorierte.<br />
Aus dem Übermenschen wurde der für die Zucht ausgewählte SS-Mann, der Abgrund hieß KZ, die<br />
Abschaffung des Mitleids nannte sich 50 Jahre später Euthanasie, und den begehrten Krieg gab es<br />
gleich im Doppelpack. Der Friede dazwischen wurde nicht sehr geliebt und zur Vorbereitung des<br />
nächsten Krieges benutzt. So wie Nietzsche in Naumburg und im nachklassischen Weimar an einer<br />
neuen Philosophie bosselte, seine Kritik über Empirismus und Vernunft ausgoß, <strong>das</strong> Handwerk, die<br />
Natur und den Übermenschen pries, so hatte in England bereits in den sechziger Jahren der<br />
Phantasyautor und utopische Sozialist William Morris mit der Bekämpfung der "kulturzerstörenden"<br />
Einflüsse der Industrialisierung begonnen. Er belebte alte Handwerkstechniken, um wieder zur<br />
mittelalterlichen Produktionsweise zurückzufinden. Neben seiner handwerklichen Tätigkeit lernte er<br />
<strong>das</strong> Isländische und übersetzte Heldensagen ins Englische. Bei der Produktion seiner Wandteppiche<br />
39