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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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oder die Vervollkommnung der Rasse; - oder er wird schließlich behaupten, es handle sich um die<br />

schmerzliche Wahl zwischen zwei Übeln, der Anarchie auf der einen und der Herrschaft mit all<br />

ihrer zugestandenen Ausbeutung und Unterdrückung auf der anderen Seite: aber niemand wird,<br />

wir wiederholen es, jemals zu behaupten wagen, die Ausbeutung sei an sich kein Übel, sondern<br />

ein Gut. Niemand wird es wagen, auch nicht der verbissenste Oligokrat und Legitimist. Und mehr<br />

brauchen wir nicht, um den Streitfall zu entscheiden, als diese sehr wider Willen erfolgende<br />

Zustimmung aller unserer möglichen Gegner zu unserem Prinzip. Sie können nicht bestreiten, daß<br />

die Oligokratie vor dem Sittengesetz unter allen Umständen ein Übel ist, und werden sich damit<br />

begnügen müssen, zu erklären, es sei leider ein notwendiges Übel.“ 360<br />

Ludwig Erhard sprach in einer Rede zum 100. Geburtstag von Franz Oppenheimer 1964 an der FU<br />

Berlin über seine Frankfurter Zeit bei Oppenheimer:<br />

„Die Fortsetzung des Studiums in Frankfurt lag mal durchaus im Fahrplan der Diplomkaufleute.<br />

Aber dort ereignete sich etwas Merkwürdiges. Dort herrschte bereits der Massenbetrieb unserer<br />

heutigen Universitäten. Gerade in meiner Disziplin gab es einige sehr gesuchte Professoren - über<br />

die ich gewiß kein nachträgliches Urteil fällen möchte. Das war eben so, daß, wer sein Examen<br />

leicht und schnell hinter sich bringen mochte, zu dem und jenem Lehrer ging; also habe auch ich<br />

mir Vorlesungen angehört - und war todunglücklich. Denn ich suchte wirklich Brot und fand meist<br />

nur Steine. Als es mir zuviel wurde, ging ich ins Dekanat, faßte mir ein Herz und fragte, ob und wo<br />

man denn hier Wissenschaft geboten bekäme. Man sagte mir etwa: < Ja, da ist schon einer da; er<br />

heißt Franz Oppenheimer, aber ich muß Ihnen gleich dazu sagen, daß Sie bei ihm nicht<br />

promovieren können. Das ist ein Außenseiter an unserer Universität; er hat auch eine ganz<br />

spezifische Lehre entwickelt, aber damit können Sie im Examen überhaupt nichts anfangen.> Ha,<br />

<strong>das</strong> war immerhin eine Empfehlung und Trost für meine dürstende Seele. So also begegnete ich<br />

Franz Oppenheimer und war vom ersten Augenblick an fasziniert. Ich besuchte seine Seminare<br />

dazu, ohne auch nur einmal zu fragen, wie es um eine spätere Promotion bestellt wäre.“<br />

In seiner Rede von 1964 ging Erhard auch darauf ein, <strong>das</strong>s er als Neoliberaler bezeichnet werden<br />

würde:<br />

„Es mag so geschehen; ich wehre mich gar nicht dagegen, denn Gelehrte, von Walter Eucken<br />

angefangen über Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow zu Hayek und Franz Böhm, um nur einige zu<br />

nennen, haben im tiefsten Grunde Oppenheimersches Gedankengut in sich aufgenommen und in<br />

unsere Gegenwart übersetzt, indem sie einen leidenschaftlichen Kampf gegen die<br />

Beschränkungen des Wettbewerbs und vor allen Dingen gegen Monopole führten. Sie zerstörten<br />

wie Oppenheimer den Optimismus sowohl der klassischen Lehre als auch des üblichen<br />

Liberalismus, daß die prästabilierte Harmonie ein Eigengewächs der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

wäre. Nein, wenn und wo nicht ein vollständiger Wettbewerb besteht, wo immer Konkurrenz durch<br />

faktische oder rechtliche Maßnahmen unterbunden, unterdrückt oder geschmälert wird, gibt es<br />

keine Freiheit - dort gibt es auch keine Gerechtigkeit. Ich habe es mir angewöhnt, <strong>das</strong> Wort<br />

Gerechtigkeit fast immer nur in Anführungszeichen auszusprechen, weil ich erfahren habe, daß mit<br />

keinem Wort mehr Mißbrauch getrieben wird als gerade mit diesem höchsten Wert.“ 361<br />

Seine Studien beendete Erhard 1925 mit der Arbeit „Wesen und Inhalt der Werteinheit“. Die 1929<br />

beginnende Weltwirtschaftskrise vernichte <strong>das</strong> väterliche Geschäft, in dem Erhard tätig gewesen war.<br />

1929-44 war Erhard am Institut für Wirtschaftsbeobachtung an der Handelshochschule Nürnberg als<br />

Assistent des Leiters Wilhelm Vershofen tätig. Sein Spezialgebiet war hier die Markt- und<br />

Absatzforschung. Mit seinem Chef war Erhard recht selten ein Herz und eine Seele. Aus der<br />

Marktforschung entwickelte sich für Ludwig Erhard langsam die Überzeugung, <strong>das</strong>s der Kunde über<br />

die Produktion bestimmen müsse, und nicht die Industrie.<br />

Während deutsche Wirtschaftsprofessoren in der Weimarer Republik unter Anleitung der Komintern<br />

die sowjetische Planwirtschaft studierten, in der die Bedürfnisse des Kunden nicht vorkamen; während<br />

der Gotha der deutschen Industriellen die Sowjetunion besuchte, um eine Wirtschaft mit<br />

Genickschussanlagen und Galgen, aber ohne Gewerkschaften zu besichtigen; während Adolf Hitler<br />

sich auf die Machtübernahme konzentrierte, gab es in der fränkischen Provinz einen noch<br />

unauffälligen, aber hoffnungsvollen jungen Mann, der sich in gebotener Seelenruhe darauf<br />

360 F. Oppenheimer: Demokratie in: Der Staatsbürger, München u. a., Bd. 5, 1914, S. 18-35 und 57-68<br />

361 Ludwig Erhard, Gedanken aus fünf Jahrzehnten, Reden und Schriften, hrsg. v. Karl Hohmann, Düsseldorf<br />

u. a. 1988, S. 858 ff<br />

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